Dragunow-, Cugir-, Tigr-Selbstladebüchsen

Das sowjetische Gewehr Snaiperskaja Wintowka Dragunowa (kurz Dragunow oder SWD) ist kein Scharfschützengewehr im westlichen Sinne, sondern eher ein hinreichend präziser Selbstlader für einen Soldaten in einer Funktion ähnlich dem Designated Marksman. Wie andere sowjetische Waffen ist das SWD nicht nur umfangreich in den Streitkräften des Warschauer Paktes eingesetzt worden, sondern wurde und wird in legalen (z.B. Norinco in China) und illegalen Nachbauten auch in Asien und Afrika auf vielen Kriegsschauplätzen verwendet. Zuletzt nutzten irakische und afghanische Insurgenten es gegen US- bzw. NATO-Soldaten. Das SWD lebt u.a. in den Zivilversionen Cugir und Tigr weiter.
Obschon das SWD nicht die Präzision heutiger westlicher Scharfschützen- und Präzisionswaffen aufweist, sondern wie gesagt eher Waffen ähnelt, die inzwischen als Designated Marksman-Rifles verwendet werden, ist es falsch, dass SWD-Schützen des ehemaligen Warschauer Paktes ausschließlich in einer solchen Funktion eingesetzt worden wären. So heißt es in der DDR-Vorschrift „Einsatzgrundsätze für Scharfschützen“ aus den 60er Jahren: „… ihr Einsatz kann einzeln oder paarweise erfolgen. Den Einsatz befiehlt der Kompaniechef. … Das Scharfschützenpaar besteht aus dem Beobachter und dem Jäger, die ihre Aufgaben wechseln können. … Die Scharfschützen wechseln entsprechend der Gefechtsaufgabe selbstständig ihre Stellungen in der angegebenen Angriffsrichtung oder im Beobachtungsstreifen. … Die Aufgabe der Scharfschützen im Gefecht besteht im Vernichten gefährlicher und wichtiger Ziele. Dazu gehören Offiziere, Scharfschützen, Melder, Funker, Beobachter, MG- und Geschützbedienungen sowie PARL-Schützen des Gegners, aber auch Schießscharten, offene Fahrerluken und Raketen“. Angeblich verfügte die „Nationale Volksarmee“ über 2.000 SWD.
                                                    
                        
Der Gasdrucklader SWD im Originalkaliber 7,62 x 54 R, eine Neukonstruktion von Jewgeni Fjedorowitsch Dragunov (1920-1991), wurde 1963 in den sowjetischen Streitkräften eingeführt und stellt mit seinen 4,3 Kg (ungeladen) und seiner Länge von 1.225 mm andere Ansprüche an den Schützen als das kurze und wesentlich leichtere AK 47. Es verfügt über ein Zehn-Schuß-Magazin und einen Gasdruckregler, der sich verstellen lässt, um mit einer stark verschmutzten Waffe ohne Ladehemmungen schießen zu können. Allerdings wurde auch eine kürzere Präzision mit Klappschaft für Luftlande- und motorisierte Truppen entwickelt.
Die Patrone 7,62 x 54 R wurde bereits 1891 zusammen mit dem Mosin-Nagant Repetiergewehr in die russische Armee eingeführt. Man schreibt ihr ein in etwa ähnliches Leistungspotenzial wie der .308 zu. Heute wird diese Patrone hauptsächlich noch für Jagdwaffen, speziell russischer oder finnischer Herkunft hergestellt. Lapua und Sako verkaufen aktuelle Laborierungen.
                             
Auch zusammen mit seinem vierfach vergrößerndem PSO 1-Zielfernrohr (4 x 24) stellt das SWD entgegen der – sicherlich in Teilen der sowjetischen Propaganda geschuldeten – westlichen Annahmen vor 1989 kein Präzisionswunder dar, obwohl es neben herkömmlichen Armeepatronen auch spezielle Präzisionsmunition für den Einsatz gegen Personen und leicht gepanzerte Fahrzeuge (armor piercing) verfügte. Dem Auftrag, die Wirkgrenze insbesondere der Infanterie auf jenseits von 600 m zu verschieben entsprach das Gewehr – u.a. auch in Abhängigkeit von Munition und Vermögen des Schützen – schwerlich und gezielte Manntreffer jenseits der 1.000 m beim ersten Schuss stellten eher die Ausnahme dar. In der zitierten DDR-Vorschrift heißt es hinsichtlich der Entfernung dementsprechend, man solle in der Schießausbildung der SWD-Schützen auf „realistische Entfernungen (200 bis 600 m)“ schießen.            
                      
                  
               
Neben der sprichwörtlichen Robustheit sowjetischer Waffen spielte sicherlich der Preis von rund 1.000 Euro dabei eine Rolle, das SWD in Zivilversionen für westliche Sportschützen attraktiv werden zu lassen. Am deutschen Markt sind u.a. von Izhmash gefertigte Tigr-Gewehre und rumänische Cugir-Gewehre erhältlich – auch in anderen Kalibern. Vergessen wird oft, dass bereits in den 60er Jahren Zivilversionen als „Medved“ (Bären) Büchsen im Kaliber 9 x 53 mm bzw. in einer Exportversion in .308 angeboten wurden.
                    
Das Selbstladegewehr Tigr wird heute angeboten in den Kalibern 7,62 x 54R, 9,3 x 64 und 7,62 x 51 (.308 Win). Es verfügt über einen innen verchromten Lauf mit einer Länge von 530 mm bis 620 mm. Das Gewicht beträgt 3,9 bis 4,15 Kg. Das System ist gefräst und brüniert bzw. polymerbeschichtet und verfügt über Kunststoff- bzw. Holzschaft (darunter auch Klapp- und Skelettschäfte). Der Hersteller beschreibt: “Tigr self-loading hunting rifles are intended for big-and medium-size game hunting under various climatic conditions. The rifles are based on the venerable SVD Dragunov sniper rifle and differ in their improved accuracy of fire”.
                   
Russland ersetzte sein veraltetes SWD Ende der 90er Jahre gegen das Repetiergewehr SV-98, das westlichen Produkten ebenbürtig ist, aber in anderen Teilen der Welt bleibt das SWD im Einsatz. Die Russen selbst wurden im Tschetschenien-Krieg auch mit SWD-Feuer konfrontiert. Der russische General Mikhail Malofeyev wurde z.B. am 18.1.2000 durch tschetschenische Scharfschützen getötet. Die Tschetschenen setzten in Spezialteams erfolgreich SWD-Scharfschützen gemeinsam mit RPG- und Maschinengewehrschützen ein, um Vernichtungshinterhalte durchzuführen.
Im Bosnienkrieg setzten nicht nur die Konfliktparteien allerdings anders konstruierte jugoslawische SWD-Nachbauten ein, sondern auch die „neuen Verbündeten“ der NATO marschierten als IFOR und SFOR mit SWD-Waffen auf, wie der Verfasser dieses Beitrags erstaunt feststellte. Mehrfaches Schießen mit dem SWD verlief nicht nur beim Verfasser enttäuschend, sondern auch bei über jeden Zweifel erhabenen erfahrenen Schützen und Schießlehrern. Auch die Leistungen der 7,62 x 54R (Penetration verschiedener Materialien) enttäuschten – allerdings waren ursprünglich die Erwartungen auch wie sich später herausstellte unrealistisch hoch.
Zuletzt spielte das SWD im Irak in Form des Originals, aber auch des ähnlichen Nachbaus Al-Kadesih eine Rolle bei Heckenschützen, die die Koalitionstruppen angriffen. Wie John Plaster feststellte, standen erstmals dort westliche Truppen einem nennenswerten Einsatz des SWD gegenüber. Er vergleicht das SWD mit dem M1D Sniper Rifle und begrenzt seine tatsächliche Einsatzentfernung im Gefecht auf rund 600 yards. Erst Ende 2007 hatten die Koalitionstruppen den SWD- und Kadesih-Nachschub soweit abgeschnitten, dass ältere und untauglichere Waffen von den Heckenschützen eingesetzt wurden (wie das SKS Simonow).
                  
Literatur und Verweise
- Stefan Strasser: Sniper. Militärisches und polizeiliches Scharfschützenwissen kompakt. 2009.
John L. Plaster: The History of Sniping and Sharpshooting. Boulder 2008.
Einsatzgrundsätze für Scharfschützen. Dienstvorschrift der DDR MB-60/6. (unveränderter Nachdruck 1995)
- Scharfschützen, Designated Marksmen und Sturmgewehrschützen
- Scharfschützen und Spezialverbände im Falklandkrieg