Der ukrainische und baltische Widerstand unter sowjetischer Besetzung


Die Geschichte des ukrainischen Widerstandes gegen die Sowjetunion reicht zurück bis 1919, als ca. 90 ukrainische Bewegungen unterschiedlicher Zielsetzung und Motivation aktiv waren. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg konnte und musste die junge Sowjetunion deshalb umfangreiche Counter Insurgency-Erfahrungen sammeln.
General M.N. Tukhachevsky, der 1937 auf Befehl Stalins hingerichtet wurde, sammelte nicht nur Erfahrungen im Kampf gegen die Ukrainer, sondern verfasste auch wegweisende militärwissenschaftliche Beiträge zu diesem Thema in den 20er Jahren.
In der Ukraine regte sich bewaffneter Widerstand in den 40er Jahren sowohl gegen die deutsche Besetzung im Zweiten Weltkrieg, als auch gegen die sowjetische Besetzung nach dem Abzug der Deutschen.
                 
Stepan Andrijowytsch Bandera (geboren 1909 in Galizien und gestorben 1959 in München) war einer der Anführer des ukrainischen Nationalismus. Er ist heute im Ausland nicht unumstritten, da ukrainischen Truppen u.a. ein Massaker 1941 in Lemberg vorgeworfen wird. In der Ukraine hingegen wird er heute mit neu errichteten Denkmälern und einem eigenen Museum als Nationalheld verehrt.
Bandera war seit 1929 Mitglied in der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und bekleidete dort ab 1931 den Rang des Propagandachefs und ab 1933 des OUN-Kommandeurs in Galizien. Bandera war wesentlich daran beteiligt, dass OUN-Netzwerk in Richtung Polen und in Richtung Sowjetunion auszudehnen. Er wurde in Polen 1934 zunächst zum Tode, später zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er für die Ermordung des polnischen Innenministers mitverantwortlich gemacht wurde. 1939 wurde er von den Deutschen befreit. Er befasste sich u.a. mit der Aufstellung ukrainischer Verbände mit und ohne deutsche Billigung und Unterstützung zum Kampf gegen die Sowjetunion. Bereits 1941 bis 1944 wurde er jedoch nach Ausrufung eines unabhängigen ukrainischen Staates von den Deutschen inhaftiert, die die Westukraine entgegen den Vorstellungen der Ukrainer und mit wenig Fingerspitzengefühl für die Befindlichkeiten der östlichen Völker von den Deutschen ausgerechnet dem polnischen Generalgouvernement einverleibt hatten. Bandera führte ab nach dem er nach dem Krieg nunmehr aus deutscher Haft befreit wurde ab 1947 die gesamte OUN. Er konnte 1959 vom sowjetischen Geheimdienst in München aufgespürt und wegen seiner antisowjetischen Tätigkeiten ermordet werden. Sein Mörder konnte von einem deutschen Gericht überführt und verurteilt werden.
                       
S.A. Bandera
                   
Vasyl Kuk war ein weiterer wichtiger ukrainischer Führer (1913 in Galizien geboren und 2007 gestorben). Er trat der OUN bei und ging 1937 nach Verfolgung durch die polnische Polizei in den Untergrund. Nachdem er 1942-43 im damaligen Reichskommissariat Ukraine gegen die Deutschen gekämpft hatte, übernahm er nach 1945 eine Führungsposition in der OUN und wurde Kommandeur der Militärorganisation UPA (Ukrainische Aufstandsarmee). 1954 wurde er von den Sowjets gefangen genommen und 1960 amnestiert. Er studierte und verfolgte danach eine bescheidene wissenschaftliche Laufbahn.
          
V. Kuk
                    
Die UPA kämpfte von 1942 bis 1949 hauptsächlich in der Westukraine gegen Deutsche und Sowjets mit dem Ziel eines vereinigten und unabhängigen ukrainischen Staates. In ihren Reihen dienten neben ethnischen Ukrainern auch (in gesonderten Formationen) Aserbaidschaner, Usbeken, Georgier und Tataren. Die UPA basierte auf Infanteriekräften und hatte nach deutschen Quellen zu ihren besten Zeiten eine Stärke von bis zu 200.000 Mann. Sowjetische Berichte nennen für 1944 bis 1946 rund 56.000 im Kampf gegen die Sowjets Gefallene, 108.500 Gefangene und 48.300 Mann, die kapituliert hätten. Ukrainische Quellen sprechen jedoch von nicht mehr als maximal 44.000 Mann. Nach dem Abzug der Deutschen, die sich gegen starke ukrainische Hinterhalte mit der Absicht, Waffen und Gerät zu erbeuten, zur Wehr setzen mussten, verstärkten sich 1944 die Kampfhandlungen, und sowjetische Truppen, darunter Spezialkräfte des NKWD, standen z.B. in einer Stärke von 30.000 Mann 5.000 eingeschlossenen UPA-Kämpfern in Hurby gegenüber. Ab 1945 wurden nach der deutschen Kapitulation freigewordene Kräfte der Roten Armee ebenfalls gegen UPA-Kräfte eingesetzt, die nach wie vor zu Offensivoperationen und Kommandoaktionen auch im sowjetisch besetzten Gebiet in der Lage waren. Ab 1946 setzten die Sowjets nicht nur mehrere Amnestien ein, um UPA-Kämpfer zu neutralisieren, sondern eroberten und blockierten auch Gebirgszüge, die zuvor von der UPA gehalten wurden und setzten erfolgreich verstärkt mobile Spezialkräfte ein, um UPA-Verbände aufzuklären und zu zerschlagen. Die UPA wurde stark dezimiert und verlegte einen erheblichen Teil ihrer Aktivitäten in den Untergrund. Auf ab 1945 polnischem Gebiet kämpften UPA-Verbände gegen die Deportation von Ukrainern in die Sowjetunion, verbündeten sich mit der Polnischen Heimatarmee und kämpften gegen die neuen polnischen Sicherheitskräfte. Polnische Offensiven führten 1947 zur Flucht großer UPA-Teile in die Sowjetunion oder nach Westdeutschland. Vereinzelte UPA-Truppenteile setzten den bewaffneten Kampf jedoch bis 1949 fort, um dann 1950 bis 1954 in den Untergrund zu gehen.
                             
Moderne Ukrainische Briefmarke mit Bandera-Motiv
             
Einer der ukrainischen Verbände mit Billigung und Unterstützung der Deutschen (der Abwehr Abteilung II) war das Bataillon Nachtigall, das aus westukrainischen Legionären bestand und 1940/41 auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer aufgestellt wurde. Es wurde von Oberleutnant Herzner geführt und begann unter dem Kommando des I. Bataillons Brandenburg im Juni 1941 den Kampf gegen die Rote Armee. Das Bataillon kämpfte u.a. bei Lemberg, Tarnopol und Winnicia. Das Bataillon bewährte sich naturgemäß insbesondere im Kampf in der Ukraine gegen sowjetische Truppen, verlor jedoch seinen Zusammenhalt, da die Deutschen die ukrainischen Landsleute dieser Legionäre nicht anders behandelten als die meisten Ostvölker. Nur wenige Teile des Bataillons wurden später in deutsche Polizeieinheiten eingegliedert.
Den Ukrainern des Bataillons Nachtigall wurden von sowjetischer Seite Kriegsverbrechen in Lemberg vorgeworfen. Wie Franz Kurowski in seinem Buch "Deutsche Kommandotrupps 1939 -1945" anhand von deutschen und amerikanischen Dokumenten belegt – darunter einer Untersuchung der US-Kongresses 1954 – folterte und ermordete jedoch der sowjetische NKWD in drei Gefängnissen und seiner örtlichen Zentrale in Lemberg mehrere Tausend Ukrainer und Polen – darunter auch Kinder – und auch einige gefangene Wehrmachtsangehörige. Diese Toten wurden zunächst von ukrainischen Soldaten des Bataillons Nachtigall gefunden, die Lemberg nahezu kampflos einnahmen. In weniger als einer Stunde folgten den Ukrainern Wehrmachtsangehörige der Division Brandenburg. Angesichts der Gräueltaten wurden rasch Angehörige der deutschen Militärjustiz und Feldärzte entsandt, die das Verbrechen untersuchten und auch überlebende ukrainische und polnische Zeugen befragten. Dass diese Verbrechen in Nürnberg 1945 auf Betreiben der Sowjets den Deutschen bzw. den verbündeten Ukrainern angelastet wurden und dies nach 1945 durch eine ebenfalls sowjetische Kampagne gegen den bundesdeutschen Minister Dr. Theodor Oberländer, der als Hauptmann als Berater des Bataillons Nachtigall eingesetzt war, fortgesetzt wurde, verwundert angesichts vergleichbarer Fälle wie z.B. dem von Katyn nicht. Das Landgericht Bonn kam jedenfalls nach dem Krieg zu dem Ergebnis: „In den ersten Kriegstagen erschoss der NKWD in jeder Stadt in der westlichen Ukraine alle politischen Gefangenen mit Ausnahme von einigen wenigen, die wie durch ein Wunder überlebten“. Eine internationale Kommission unter dem Schweizer Juristen Dr. Kurt Schoch stellte (u.a. nach Überprüfung von 232 Zeugenaussagen) ebenfalls die Unschuld der Nachtigall-Angehörigen fest.
                                  
„Waldwölfe“ – Baltischer Widerstand 1947 – 1950
Das Baltikum war und ist bis heute Schauplatz des Aufeinandertreffens des Interesses verschiedener Großmächte. Die kurze Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg, die u.a. in harten Kämpfen deutschen Freikorps abgetrotzt wurde und mit westalliierter Billigung erfolgte, ging rasch an die junge Sowjetunion verloren, die 1940-41 einen Angriffskrieg gegen die jungen baltischen Staaten führte. Im Zweiten Weltkrieg dienten Baltendeutsche und andere Balten (geschätzte rund 180.000 Esten und Litauer) in deutschen Verbänden, aber auch in unabhängigen Organisationen.
Lettische ehemalige Angehörige der 15. und 19. Waffen Grenadier-Division kämpften beispielsweise 1946 lange nach dem Abzug der Deutschen bzw. der Vernichtung des Kessels Kurland gegen die Rote Armee. Sie konnten Verluste durch neue Kämpfer ausgleichen, die in speziellen Lagern in den lettischen Wäldern ausgebildet wurden und trotzten umfangreichen und kampfstarken sowjetischen NKWD-Kommandos und regulären Rotarmisten. Sie konnten bis Ende der 40er Jahre teils größere Offensivoperationen durchführen, bis sie militärisch zerschlagen und in den Untergrund oder zur Flucht nach Westen getrieben wurden, wo bei sie in vielen Fällen erfolgreich Polen und die ehemalige DDR durchquerten.
                                
Waldbrüder
                      
Die Schätzungen der Anzahl der baltischen Widerstandskämpfer reichen von 20.000 bis 100.000. Ebenso ungewiss ist naturgemäß die Frage nach der Unterstützung der baltischen Widerstandskämpfer durch den Westen. Zwar gibt es viele Stimmen, die eine Unterstützung mit Waffen und Ausrüstung durch die USA, Großbritannien und Schweden behaupten, diese ist aber bislang nicht stichhaltig belegt worden. Anders dürfte es sich mit gegenseitigen Kontakten verhalten und es ist sicher zutreffend, dass die Balten Informationen über sowjetische Truppen weitergaben und im Gegenzug auch erhielten. dabei ist allerdings nicht von einem Arbeiten der Balten für den Westen auszugehen, sondern eher von einem Austausch von Informationen für die eigene Operationsplanung. Eine weiteres Dunkelfeld ist die Beteiligung Deutscher an den Kämpfen im Baltikum nach 1945. Es gilt als gesichert, dass nicht nur baltische, sondern auch deutsche Wehrmachts- oder Waffen SS-Angehörige aus dem Kessel Kurland ausbrechen konnten oder auf andere Weise hinter die Hauptkampflinie gerieten und sich zumindest zeitweise aus verschiedenen Motiven dem baltischen Widerstand anschlossen – nicht selten in den Reihen ihrer ehemaligen Untergebenen oder Kameraden.
                      
Eine Bewertung des baltischen Widerstandes, dem z.B. auch Raubzüge gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen werden, ist auch deshalb schwierig, weil erwiesenermaßen sowjetische Einheiten getarnt als baltischer Widerstand die Bevölkerung tyrannisierten, um einen Keil zwischen Widerstand und Landbevölkerung zu treiben. Es sprechen jedoch mehrere Gründe für eine grundsätzliche Übereinstimmung der Balten mit ihren Widerstandskämpfern: die lange Zeit, in der sich die Kämpfer der Nachstellung durch die Sowjets entziehen konnten, ihre große Zahl (die zwangsläufig nahezu jede baltische Familie mit ihnen in Kontakt brachte) und die heutige positive Bewertung dieser Männer und Frauen im Baltikum.
Für die sowjetischen Gegenmaßnahmen ist Becketts Einschätzung treffend: „The lessons [of counterinsurgency] were applied against the Ukrainian People’s Army and the Lithuania Freedom Party between 1945 and 1952 … The Soviet response to insurgency was marked by ruthlessness and cynics. The Marxist-Leninist ideology was often the stimulus to popular revolt.”
Nach der militärischen und nachrichtendienstlichen Zerschlagung des baltischen Widerstandes bis Anfang der 50er Jahre, führte eine Amnestie 1953 dazu, dass weitere Widerstandskämpfer die Waffen streckten. Reste des baltischen Widerstandes sollen jedoch bis weit in die 70er Jahre hinein existiert haben - allerdings eher als Flucht- und Untergrundorganisation.
              
Literatur und Verweise
- K. Anders: Mord auf Befehl. Der Fall Staschynskij. Eine Dokumentation aus den Akten. Tübingen 1963.
- Ian F.W. Beckett: Guerilla Warfare. New York 1999.
- Herbert Kriegsheim: Getarnt, getäuscht und doch getreu. Die geheimnisvollen Brandenburger. Berlin 1959.
- Mart Laar: Der vergessene Krieg: Die bewaffnete Widerstandsbewegung in Estland 1944 – 1956.
- Tillmann Tegeler: Der litauische Partisanenkampf im Lichte sowjetischer Akten. 2001.