.357 SIG als Fangschuß- und Selbstverteidigungspatrone

Das Pistolenkaliber .357 SIG (9 x 22 mm) wurde entwickelt, um nach dem Verschwinden der Revolver aus den Arsenalen der Behörden die Leistung einer .357 Magnum aus einer Selbstladepistole mit höherer Magazinkapazität mindestens zu duplizieren.
Die Firma Glock, die heute selbst 3 Modelle in .357 anbietet (Full Size, Compact, Subcompact), beschreibt die ballistischen Eigenschaften der Patrone so: "Höchste Rasanz und Durchschlagskraft - auch gegen leichte Panzerung".
Die .357 SIG ist eine gemeinsame Entwicklung von SIG-Sauer und dem Munitionshersteller Federal aus den Jahren 1993-94 (zunächst für die Pistole Sig P229) und die erste Bottleneck-/Flaschenhalspatrone seit den 60er Jahren. Dieser Patronenform wird nachgesagt, Zuführungsprobleme aus dem Magazin zu verhindern. Alan Newcombe, damals Marketing Director von SIG, wird als ihr "Vater" angesehen. Die erste Laborierung war die Federal 125 Grains JHP (Jacketed Hollow Point).
     
Papierballistik
Das Standardwerk "Ammo & Ballistic" führt 20 kommerziell erhältliche Laborierungen für die .357 SIG auf. Für die 9 x 19 gibt es 135 und für die .40 S&W 82.
Die Laborierungen verfügen über Geschoßgewichte von 80 Grains (Cor-Bon Glaser Safety Slug), 105, 115, 124, 125 Grains (Schwerpunkt) sowie 140 und 147 Grains.
Im Folgenden vergleichen wir eine Patrone .357 SIG (Federal 125 Grains JHP) mit einer 9 x 19 (Federal 115 Grains JHP) und einer .40 Smith & Wesson (Federal 155 Grains Hydra Shok JHP).

     
Kompakte Glock 32 in .357 SIG

     
Relative Recoil Factor
Ammo & Ballistics gibt für jede Lang- und Kurzwaffenpatrone einen Relative Recoil Factor an, der nur im Vergleich von einem Wert zu Werten anderer Patronen, die dem Schützen aus eigener Erfahrung gut bekannt sind, Sinn ergibt.

Recoil Factor 9 x 19: 0,65
Recoil Factor .357 SIG: 0,76
Recoil Factor .40 S&W: 0,74

Mündungsgeschwindigkeit (Muzzle Velocity: feet/second)
9 x 19: 1.180
.357 SIG: 1.350
.40 S&W: 1.140

Mündungsenergie (Muzzle Energy: feet-lbs)
9 x 19: 355
.357 SIG: 510
.40 S&W: 445

Taylor KO Index
Man berechnet den Knock-out Index nach John "Pondoro" Taylor wie folgt: Geschoßgewicht (in Grains) x Geschoßgeschwindigkeit (in Feet/per second) x Geschoßdiameter (in Inch) geteilt durch 7.000.
9 x 19: 6,9
.357 SIG: 8,6
.40 S&W: 10,1

Zusammenfassung: Die .357 SIG verfügt über einen unwesentlich höheren Rückstoß als die .40 S&W und ist auch in einer leichten Pistole wie der Glock gut beherrschbar. Bei signifikant kleinerer Patronenauswahl hat man mit dieser Patrone eine sehr präzise, rasante Lösung mit hoher Energieabgabe und Durchschlagskraft. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Patrone für ein Pistolenkaliber für vergleichsweise weite Entfernung und Bekämpfung von Personen hinter Deckungen (wie Fahrzeugen) und mit leichter Panzerung (ballistische Weste) bekannt ist.
   


    
Selbstschutz- und Behördenwaffe
Ereignisse wie der Miami Fire Fight hatten den Bedarf an höherer Magazinkapazität geschaffen und für ein Umdenken bei der US-Polizei gesorgt, das zum Ende des Revolvers bei den US-Behörden führte. Die Ablösung durch Selbstladepistolen im Kaliber 9 x 19 war wegen der geringeren "Stopping Power" jedoch unbefriedigend und andere Kaliber wie .45 ACP oder .10 mm Auto wiesen andere Schwächen auf (geringe Mündungsgeschwindigkeit oder schlechte Beherrschbarkeit durch den Durchschnittsschützen). Marshal und Sanow fassen in dem bemerkenswerten Buch "Stopping Power" deshalb zusammen:
   
"Nothing, it seemed, had the velocity, energy, and ultimately the street effectiveness of the .357 Magnum they used to carry. ... The .357 SIg is one of the most powerful bottleneck auto pistols ever developed. ... According to the Fuller Index and actual street results the .357 SIG outperforms nearly all the 9 mm +P, .40 S&W, and .45 ACP loads. ... The .357 SIG is the answer to cops (and all handgunners) who like the idea of a load that has been proven on the street rather than in the lab."
  
Und tatsächlich setzen inzwischen viele US-Behörden die .357 SIG ein. Während das FBI bei der .40 SW bleibt, ist die .357 SIG das Standardkaliber u.a. bei den Bundesbehörden Secret Service und Federal Air Marshals, bei den Highway Patrols u.a. von Texas, Montana, North Carolina, Tennessee, Oklahoma und Mississippi und den Polizeien u.a. von Delaware, Rhode Island und Virginia.
   
John Farnam vergleicht in einem Aufsatz die "Stopping Power" von Kurzwaffenpatronen im Behördeneinsatz. Dabei geht es weniger um Papierballistik, als um echte Ergebnisse "von der Straße":
   
"John Farnam wants the defensive handgun to incapacitate a person within three seconds at least 50 per cent of the time. He gives 'excellent' rating to the .357 Magnum, the .40 S&W, the .45 ACP and the .357 SIG."
  
Er verwendet dafür keine Labordaten, sondern ausschließlich Ergebnisse echter Schußwechsel. Dass sein Urteil einen Mangel an vergleichbaren Bedingungen aufweist, muß in Kauf genommen werden. Er vergleicht u.a.: a) Patronenzuführung (Feeding Reliability), b) Terminal Performance und c) Kontrollierbarkeit.
  
9 x 19: a)  superior, b) good, c) superior
.357 Magnum: a) n/a, b) excellent, c) poor
.40 S&W: a) excellent, b) excellent, c) good
.357 SIG: a) excellent, b) excellent, c) excellent
   
Jagdwaffe
Für die Jagd mit der Kurzwaffe dürfte die .357 SIG trotz allem wenig geeignet sein - obwohl ein Impala für die Küche aus nächster Distanz sehr wohl damit zu strecken ist. Chuck Hawks konstatiert jedenfalls:
  
"The .357 SIG cartridge ... offers performance above that of the .38 Super, but somewhat below that of a full house .357 revolver load. The only factory load offered by the Big 3 is from Federal, a 125 grain bullet at 1350 fps with 510 ft. lbs. of ME. This should be an excellent defense load, but the bullet may be a little light for deer hunting. It should be fine for smaller animals."
  
In Deutschland brauchen wir keine Kurzwaffe zum ersten Schuß auf Wild, sehr wohl aber für den Fangschuß. Man bekommt hier problemlos rund 6 bis 8 verschiedene Laborierungen und zwar sowohl für den Fangschuß (JHP) als auch für das Training (FMJ) und zwar mit gleichen Geschoßgewichten. Viele Jäger geben einem 4-zölligen .357 Magnum Revolver den Vorzug und zwar wegen seiner Zuverlässigkeit und leichten Handhabbarkeit. Diese Wahl ist mit Sicherheit gut und es gibt preiswerte Fangschußrevolver in diesem Kaliber (z.B. von Arminius für rund 300 Euro Neupreis). Die .357 SIG ist allerdings in einer modernen Selbstladepistole eine gleichwertige Alternative (etwa was die leichte Handhabbarkeit einer Glock angeht). Man mag für den Fangschuß nicht die Munitionskapazität einer Glock 31 benötigen. Sicher. Im Hinblick auf die gleichwertige Qualität der Waffe zum Selbstschutz ist dies aber sicherlich kein Nachteil. Man muß auf der Jagd das Magazin ja nicht komplett laden. Da es die Glock für unter 600 Euro als Neuwaffe gibt, ein Preis, an den ein teurer Qualitätsrevolver wie von Smith & Wesson nicht herankommt, ist das sicherlich eine gute Überlegung wie auch ein Artikel der Zeitschrift Visier denken läßt:
  
"Wer will kann die G31 [Glock 31 = Full Size Glock in .357 SIG] mit dem längeren Lauf kontrollieren und schnell geschossene Doubletten treffsicher stanzen - regelmäßiges Training und Ehrgeiz vorausgesetzt. Bei vergleichbarem Energieeinsatz vor der Mündung kann man so manchen Revolver in .357 Magnum schwieriger bändigen."
  
Dieser Einschätzung kann sich der Verfasser nur anschließen.
Abschließend eine Einschätzung von Lutz Möller zur Patronenwahl für die .357 SIG als Fangschußwaffe:
  
"Falls der Bewuchs den Gebrauch einer Langwaffe zu sehr behindert, bieten sich Kurzwaffen an. Hier ist eine Pistole mit vorgespanntem Abzug ohne gesonderte Sicherung geeignet, die immer schussbereit zu führen ist. Als Munition bietet sich die .357 SIG mit einem 10,2 g TMF–Geschoß an, das die Tiefenwirkung einer .44 Magnum bietet, dazu Schulterstabiliserung und große Magazinkapazität, die kein Revolver je erreicht.“
 
Verweise
- Glock - Eine Pistolenlegende wird 30
- Die .44 Magnum als Fangschuß- und Sportpatrone
- Robert Forker: Ammo & Ballistics 4. Long Beach 2010.
- Rainer Emde und Sven Helmes: Glock Dienstpistolen. In: Visier 7/2009.
- Armin Liese: Fangschuß - aber womit? In: DJZ 10/2012.
- Evan P. Marshal und Edwin J. Sanow: Stopping Power. Boulder 2001.
- Chuck Hawks: Handgun Hunting
- Dave Workman: Sig Sauer’s P250 Packs a Knock-Down Wallop