Bluttat von Lörrach: Weder Anlaß für Sensationalismus, noch Waffenrechtspopulismus

Gastkommentar aus Lörrach
Das beschauliche Lörrach mit seinen nicht einmal 50.000 Einwohnern, das immer etwas im Schatten der benachbarten Großstadt Basel steht, ist Ort eines schweren Verbrechens geworden. Nach bisherigen Erkenntnissen tötete am Sonntagabend eine 41-jährige Frau ihren kleinen Sohn, ihren ehemaligen Lebensgefährten und einen Pfleger eines nahe gelegenen Krankenhauses. Diese tragische Tat hat sehr wenig mit dem Waffenrecht zu tun, aber sehr viel mit der Hygiene des Waffenrechtsdiskurses in Deutschland - ja mit der Hygiene des öffentlichen Diskurses überhaupt.

                  
Die Beschreibung der Tat, wie sie in halbstündlicher Aktualisierung in den Online-Medien nachzuverfolgen war, macht sprachlos und betroffen: Ein kleiner Junge ist getötet worden, vermutlich erschlagen, ein Mann ist erschossen worden, eine Wohnung wurde in Brand gesetzt und ein weiterer Mann, ein gänzlich Unbeteiligter, wurde erstochen. Und, es darf nicht vergessen werden, die Frau die diese durch nichts zu rechtfertigende Tat begangen hat, ist ebenfalls ums Leben gekommen. Die in manchen Medien geäußerte Befriedigung über diesen Umstand ist schäbig. Sicher, die Frau hat mehrere schwere Verbrechen begangen, aber wie verzweifelt muß ein Mensch sein, der sich zu einem solchen Schritt entschließt und sich nicht einfach selbst tötet, sondern andere, darunter das eigene Kind, in den Tod mitnimmt. Erweiterter Selbstmord nennen Experten ein Phänomen, wo der Täter durch das Begehen einer Tat die Tötung durch Polizisten herbeiführt.
                       
Dass die Berichterstattung verwirrend ist, ist verständlich, zu wenige valide, d.h. überprüfte Informationen können aus dem abgeriegelten Zentrum einer Kleinstadt nach draußen dringen, in dem sich mehrere Hundert Polizisten, Sanitäter, Helfer und auch Schaulustige befinden. Es zeugt deshalb nicht von besonderer Haltung, wenn man die Verwirrung um die Tatwaffe (Maschinenpistole, Gewehr, Pistole, Messer etc.) zum Anlaß nimmt, die Kompetenz der Berichtenden grundsätzlich zu hinterfragen. Oder um die Einordnung des psychologischen Phänomens streitet: Amokverbrechen, erweiterter Suizid, Famizid.
              
Gewalttaten wie die von Lörrach machen sprachlos. Auch Medien. Es ist jedoch keine gute Strategie, dieser Sprachlosigkeit dadurch zu entgehen, indem man in den alten Fehler zurückverfällt und berichtet, wo es noch nichts zu berichten gibt, und Bilder zeigt, wo es noch keine gibt. So folgten bereits zwei Stunden nach der Tat auf n-tv Konservenbilder mit dem unvermeidlichen Harry Schober vom Aktionsbündnis Winnenden, und man ging anstatt die Sondersendung über Lörrach zu beenden in eine Rückschau auf Winnenden über. Steht diese Art der Berichterstattung für Kompetenz? Sicher nicht. Sie erinnert viel mehr an den Prüfling, der anstatt über die Mücke zu referieren, dazu übergeht, das Mücken gerne auf Elefanten sitzen und dann lang und breit vom Elefanten spricht, zu dem er zufällig etwas zu sagen weiß. Zur Bewältigung einer durch Unsicherheit gekennzeichneten Situation ist eine solche Berichterstattung, ein solches Sendeminuten-Füllen, denkbar ungeeignet.
             

Genau so zweifelhaft ist es, das Gewicht auf die Gewalttätigkeit dieses Verbrechens zu legen. Es sind nicht gerade die herausragendsten deutschen Medien, die Schlagzeilen formulieren wie "Mit 300 Schuß Munition in die Klinik". Es sind solche wie Web.de, eigentlich ein e-mail-Portal, die die Bluttat von Lörrach unpassenderweise unter der Rubrik "Panorama" abhandeln und davon schwafeln, die Kleinstadt Lörrach stände unter Schock.
Die Lörracher Bürger sind besonnene und bodenständige Südbadener. In der Stadt geht alles seinen geregelten Gang. Beachtenswert unaufgeregt geht der Durchschnittsbürger mit dem Verbrechen um. Am 20.9. abends und am darauffolgenden Tag war selbst am Tatort nichts außergewöhnliches feststellbar. Keine Schaulustigen, keine Kundgebungen, kein Heerlager der Polizei. Ein einsamer RTL-Sendewagen steht am Busbahnhof um die Ecke. Die meisten Sensationsmedien haben zum Glück die Stadt wieder verlassen.
                         
Auch die Stadtverwaltung und die Polizei in Lörrach handeln erfreulich verantwortungsbewußt und bewältigen die Situation so gut es geht, ohne sich selbst zum Gegenstand der Berichterstattung zu machen: man kümmert sich um die Obdachlosen, berichtet das, was abgesichert bekannt ist und organisiert eine Spendenaktion für die Hinterbliebenen.
               
Lörracher Innenstadt am 21.9.2010: Besonnene Bürger, kein Medienhype
                         
Bietet die Tat von Lörrach eine Projektionsfläche für eine erneute Legalwaffendiskussion, wie es nur vereinzelt Medien, wie die in diesem Zusammenhang hinreichend bekannte Zeit, wohl herbeizuschreiben versuchen? Ist es angemessen, solchen Mini-Initiativen wie "Mordwaffen" Raum für Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit Lörrach zu geben, wie die taz es tut? Nein.
Es ist nicht entscheidend, ob die Tatwaffe legal besessen wurde oder nicht, ob die Frau Sportschützin war oder nicht. Die gebetsmühlenartig wiederholte Kennzeichnung Anwältin und Sportschützin bringt keinen Erkenntnisgewinn im Zusammenhang mit dem Grund für dieses Verbrechen. Wer in seiner Verzweifelung so weit geht, einen Menschen aus nächster Nähe mit dem Messer zu töten oder sein eigenes Kind ermordet und in der eigenen Wohnung Feuer legt, ist nicht auf eine zufällig besessene Sportwaffe angewiesen. Von daher sind die unmittelbaren Anknüpfungen an das Waffenrecht nicht nur pietätlos, sondern auch schlicht falsch und irre führend. Pietätlos deshalb, weil diese unvorstellbar brutale und tragische Tat genutzt wird, um letztlich weltanschaulich motivierte Forderungen durchzusetzen (Gegnerschaft gegen privat besessene Waffen an sich). Dieses Anknüpfen an aktuelle Verbrechen hat etwas von emotionaler Nötigung an sich, weil man auf der Basis dieses Leids jede Versachlichung zunichte machen kann. Falsch und irre führend sind solche Forderungen, weil sie erstens den Anschein erwecken als bestünde ein Zusammenhang zwischen legalem Waffenbesitz und Verbrechen, und zweitens als ließen sich Verbrechen durch Verbote verhindern. Die Lörracher Tat wäre ohne Kleinkaliberwaffe genau so möglich gewesen. Seinen Lebensgefährten überraschend aus der Nähe zu töten, erfordert keine Schußwaffe und keine besondere Fertigkeit im Umgang damit.
Die Tat von Lörrach ist deshalb mitnichten Anlaß, über legalen Waffenbesitz nachzudenken. Auch nicht, wenn Schlagzeilen wie "Amokläuferin war Sportschützin" durchs Internet geistern. Aber sie ist Anlaß, etwas mehr bei der Komplexität menschlicher Tragödien zu verweilen: Das beliebte Täterschema: junger Mann, "Waffennarr" (mittlerweile medial salonfähig gewordene Diskriminierung), einsam, Schulabbrecher, Versager, Videobotschaften, paßt nicht zur Lörracher Tat. Und die Mär von der besonders gefährlichen "Polizeiwaffe", die der Täter von Winnenden benutzt hat, ist nicht nur durch die vielen Amokverbrechen mit Messern (die in China 2009/2010 in erschreckenden Ausmaß zugenommen haben, aber auch im beschaulichen Sankt Augustin 2009 statt fanden) oder die Verwendung anderer Tatmittel widerlegt, sondern auch durch Taten mit Kleinkaliberwaffen (die Morde 2009 in Eislingen oder eben dieses Verbrechen in Lörrach). So wenig wie es Patent-Täter gibt, gibt es Patent-Lösungen, um ihre Taten zu verhindern. Behörden und Medien sollten sich darauf konzentrieren, diese konkrete Tat aufzuklären bzw. zu berichten und das offensichtliche Defizit professioneller Hilfe für schwere psychische Ausnahmezustände zu beseitigen. Was bleibt nach der Tat von Lörrach außer der Trauer um die Opfer, besonders den kleinen Jungen, und den Ärger über diejenigen, die diese Tat für Kommerz oder Weltanschauung instrumentalisieren ? Das muß man ein Stück weit für sich selbst beantworten. Sich vorzunehmen, seinen Mitmenschen gegenüber noch aufmerksamer zu sein, wäre jedenfalls ein guter Anfang.
              
Verweise:
Legalwaffenbesitz und Innere Sicherheit
Wissenschaftliche Fakten zum Legalwaffenbesitz
Amokverbrechen an Schulen