Gelbe Karte für den Landesjagdverband

Wir sind nicht mehr in den 60er und 70er Jahren, als Protest von Bürgern oft die Domäne weltfremder und in Teilen ferngesteuerter Friedensaktivisten oder Straßenrowdys war. Im Gegenteil können wir bei vielen gesellschaftlichen Anliegen sehen (z.B. angesichts der Schulreform in Hamburg oder von Phantasieprojekten wie Stuttgart 21), dass Protest nicht nur moderne Formen annimmt (z.B. online kommuniziert und dezentral gesteuert wird) und in der Mitte der Gesellschaft ankommt, sondern auch dort entsteht. Glücklicherweise ist das auch bei den Legalwaffenbesitzern der Fall.

Die Kritik des Landesjagdverbandes Nordrhein-Westfalen (LJV NRW) bzw. Deutschen Jagdschutzverband (DJV) an diesem bürgerlichen Protest ist deshalb nicht nur verwerflich, sondern schlicht realitätsfern. Modernisierung tut Not.
Der Glaube daran, dass Honoratiorenzirkel heute noch in der Lage sind, im Alleingang politische Entscheidungen zu beeinflussen, ist falsch. Weder reicht es, wenn das Forum Waffenrecht mit Politikern und Beamten aus dem Bereich Innenpolitik spricht, noch reicht es, wenn der DJV oder Landesjagdverbände mit jagdpolitischen und innenpolitischen Experten sprechen. Um es klar zu stellen: Diese Gespräche sind sehr wichtig. Sie ermöglichen nicht nur die vertrauliche und damit offenere Diskussion von teilweise sehr kontroversen Standpunkten, sondern auch den Austausch von (wissenschaftlich erhobenen) Fakten an Stelle medientauglicher Emotion. Wie man aber an den letzten jagdpolitischen und Waffenrechtsentscheidungen sieht, die nicht nur von roten oder grünen Fundamentalkritikern verantwortet wurden, sondern mehr noch von vermeintlich konservativen CDU-Politikern, reicht diese Form der Artikulation nicht aus. Sie stellt einen wichtigen Teil dar, aber mehr nicht.
                     
Es ist heute zwingend, dass Betroffene selbst auch das Wort ergreifen, sich an Medien wenden, selbst Medien erschaffen, sich untereinander austauschen und vielfältige Informations- und Protestformen versuchen. Angesichts einer zunehmend digitalen Demokratie bedeutet das zwingend auch die Nutzung des Internet und es bedeutet zwangsläufig, dass Betroffenheit und Protest nicht regional begrenzt sind. Umwelt- und Tierschutzorganisationen haben das bereits vor Dekaden erkannt und leben vielfach davon.
               
Wir brauchen jede demokratisch legitimierte Form der Artikulation

Von daher ist es unserer Meinung nach nicht nur unverständlich, sondern auch unbegreiflich rückwärtsgewandt, wenn Jochen Borchert als Präsident des DJV und LJV NRW im Rheinisch-Westfälischen Jäger (8/2010) erklärt: „Der Städtetag in Baden-Württemberg hat ein Gutachten erstellen lassen, um die Einführung einer Waffensteuer als rechtmäßig zu begründen. Der DJV widerspricht dieser Aussage vehement und wird sich dagegen zur Wehr setzen. Aber richtig, denn populistischer Aktionismus hilft uns nicht weiter. Derzeit werden bundesweit Unterschriftenlisten der Fördervereinigung legaler Waffenbesitz versandt, in denen man sich mit einem Jetzt reicht’s dagegen verwahren soll, … Die Dachverbände der Jäger (DJV) und Sportschützen (DSB) und die im Forum Waffenrecht zusammengefassten Verbände sprechen sich eindeutig gegen eine derartig pauschale und verallgemeinernde Auseinandersetzung mit der Politik aus. Wer soll denn Adressat einer solchen Erklärung sein? DJV und DSB haben in Stuttgart bereits zielführende Gespräche geführt. … Die Stadt Stuttgart, die derzeit als einzige Großstadt diese Steuer diskutiert, wird sich angesichts ihres leeren Stadtsäckels kaum von Unterschriften aus Dortmund oder Köln beeindrucken lassen. … Solche Schwarmschüsse, unabgestimmt und zur Unzeit, sind das Gegenteil sinnvoller konstruktiver Verbandsarbeit.“
                            
Diesen Aussagen möchten wir entschieden widersprechen. Uns wundert allerdings, dass die sonst gelegentlich recht hartleibige Fördervereinigung das Projekt nicht weiterverfolgt zu haben scheint.
  • Eine Unterschriftenaktion, auch eine mit klarer, einfach formulierter Botschaft, ist kein Populismus, sondern legitimer und öffentlicher Ausdruck von Unzufriedenheit und einer anderen Position, als sie der Adressat einnimmt. Es ist sinnvoll, dies auch öffentlich zu artikulieren, um erstens potenzielle Unterstützer zu informieren, die sich diesem Protest anschließen können und zweitens inhaltlichen Gegnern oder Unbeteiligten zu beweisen, dass man keine Einzelmeinung vertritt. Von daher ist der Populismusvorwurf abwegig. Vermeintlich populistische Aktionen wie die Unterschriftenabgabe gegen Sportwaffen des so genannten Aktionsbündnisses in Berlin sind bewiesenermaßen erfolgreich gewesen und treiben die öffentliche Meinung weiter zu waffenrechtlichen Restriktionen. Schlecht, wenn man dieses Instrument dem inhaltlichen Gegner überlässt.
  • Ebenso unverständlich ist der Vorwurf des fehlenden oder falschen Adressaten mit dem Hinweis, man habe schon zielführende Gespräche geführt. Erstens ist der Adressat genannt und besteht darüber hinaus auch in Medien und breiter Öffentlichkeit. Zweitens ist es zwar erfreulich, dass DJV und DSB Gespräche geführt haben, dies substituiert aber nicht weitergehende oder andere Protest- und Artikulationsformen. Drittens wollen wir doch lieber abwarten, bis die Entscheidung in Stuttgart fällt, bevor wir diese Gespräche als „zielführend“ bezeichnen. Zielführend sind sie ausschließlich dann, wenn die Waffensteuer ersatzlos fällt.
  • Weiters ist es irrig anzunehmen, den Verantwortlichen einer Großstadt als Wirtschafts- und Tourismusziel seien nur Stimmen aus der Stadt selbst wichtig. Warum gibt es denn Stadtmarketing und Imagekampagnen? Warum versuchen Städte (mit teils fatalen Folgen) Großveranstaltungen mit vielen Gästen für sich zu gewinnen? Warum werben sie um Gäste, Investoren und Neubürger? Natürlich ist eine in der Fläche Deutschlands (und darüber hinaus) verbreitete kritische Stimmung gegen Stuttgarter Verantwortliche äußerst nachteilig für die Stadt. Wie an anderer Stelle erläutert, benötigt der Aufbau eines positiven Images lange Jahre und umfangreiche Mittel, seine Zerstörung oft nur eine nicht-korrigierte Fehlentscheidung.
  • Und schließlich gibt es keinen Alleinvertretungsanspruch des DJV und des DSB für die Interessen von Jägern und Sportschützen und das ist auch gut so, wenn man sich den Widerspruch zur jüngsten Waffenrechtsreform 2009 ansieht – wo andere schießsportliche oder jagdliche Vereinigungen (z.B. der LJV Bayern) sich deutlicher artikuliert haben. Bürgerlicher Protest wird außerdem nicht in Pressestellen und von Verbandsfunktionären gemacht. Er entsteht von selbst und bricht sich Bahn – das macht gerade seine Wirksamkeit aus. Auch wenn der Vergleich überzogen wirkt, nutzen wir ihn nicht inhaltlich, sondern um auf die Mechanik hinzuweisen: Regime- und Technologiewechsel werden nicht verordnet, sondern finden statt. Die Legalwaffenbesitzergemeinschaft ist heterogen und deshalb gibt es sie noch.
Dieser Beitrag stellt eine deutliche Kritik an der Auffassung des DJV zu modernen, bürgerlichen Protestformen dar. Keine Kritik am DJV als solchem oder seinem wertvollen Tun in anderen Bereichen. Im Gegenteil. DJV, DSB und Forum Waffenrecht sind wichtige und unterstützenswerte Organisationen und ihre Spaltung und Schwächung (wie z.B. durch den Austritt des LJV Bayern) ist bedauerlich. Diese Organisationen stellen aber nur einen, wenn auch wichtigen Teil des Spektrums der Legalwaffenbesitzer dar. Die weiteren Teile sind nicht nur möglich, sondern auch möglich. Die Fördervereinigung hatte mit ihrer Aktion ganz recht.

Vereint für legalen Waffenbesitz
Waffensteuer rechtswidrig
Graswurzelbewegung?