Eins vorweg: Ich mag Böker. Eine Traditionsfirma aus Solingen. Die Böker-Manufaktur macht phantastische Messer. Böker hat einige wichtige Marken in Deutschland erst bekannt gemacht. Der Böker-Katalog hat mir damals zuerst Tops Knives, Fred Perrin, Spyderco und viele andere überhaupt erst vorgestellt. Das war lange, bevor ich Youtube-Kanäle wie „GideonsTactical“ (meiner Meinung nach der beste Messertester auf Youtube und vor allem unabhängig!) oder andere abonniert hatte.
Aber ich
habe selbst eine Reihe von Kritikpunkten an Böker. Und ich muss sagen: Nicht
erst seit heute. In den letzten Jahren bin ich immer unzufriedener geworden.
Wenn die Firma wirklich erstklassig ist, wird sie mit Kritik offen umgehen.
Ich mag auch
den „Waldläufer“. Klar kann man ihn auch kritisieren. Aber, dass er in den Clips
nicht druckreif spricht, viel zu häufig von seinen Hunden abgelenkt wird und
als „kleiner Mann“ gegen „die da oben“ auftritt ist wohl keine Pose. Das
bedeutet nicht, dass ich immer oder in diesem speziellen Fall seiner Meinung
bin. (Hierzu hat der Verfasser seine Meinung
aufgrund der veränderten Situation auch geändert. Siehe dazu das Update am Ende
dieses Beitrages!).
Kritikpunkt
1: Preis
Was
kritisiert der Waldläufer? Unter anderem die Preisentwicklung bei Böker –
insbesondere dort, wo sie als Generalimporteur eine starke Marktstellung haben
– speziell bei Real Steel, einer Firma, die er auch schon in einem ersten
Video aufgreift.
Zu Real
Steel und seinen Vorwürfen in diesem Zusammenhang kann ich nicht viel sagen.
Klar ist, dass der Handel die Preise festlegt und nicht der Hersteller (der nur
eine unverbindliche Preisempfehlung abgeben kann) oder ein Importeur.
Aber der Hersteller kann natürlich den Preis, den er von Händlern verlangt,
erhöhen. Was sich im Einzelnen zwischen Hersteller, Importeur und Händler (in
dem Fall dem Waldläufer) abgespielt hat, weiß ich nicht und kann ich deshalb
nicht bewerten. Aber ehrlich, ich persönlich habe keinerlei Interesse an in
China gefertigten Messern, schon gar nicht an solchen für über 100 Euro.
Deshalb ist es für mich unwichtig, ob und wie viel teurer sie geworden sind.
Für eine
Kritik, die mich überzeugt, hätte
der Waldläufer genauer erklären und vor allem belegen müssen, was genau
vorgefallen ist.
Weiter nennt
der Waldläufer Spyderco. Auch hierbei kann ich nicht bewerten, was sich
zwischen Importeur und Händler abgespielt hat. Ich kann aber den Preis, den
Böker selbst von Endkunden verlangt mit dem anderer Händler vergleichen. Nehmen
wir beispielsweise das Paramilitary 2 black.
Böker
verlangt dafür (16.04.2017) 253 Euro, Lamnia 188,10 Euro und Knives and Tools
184,95 Euro. Böker ist erheblich teurer - ganze 68,05 Euro. Aber ich muss als
Endkunde nicht dort kaufen. Ich muss nicht einmal mehr direkt in den USA
bestellen, weil es andere nach Deutschland liefernde Händler gibt, die das
selbe Messer sehr viel preiswerter anbieten. Das ist jedenfalls scheinbar kein
neuer Kritikpunkt, wie ein Blick in ein Messerform nahelegt.
Ich
erweitere meine Recherche etwas: Nachfolgend einige Preisbeispiele und
eine kleine Analyse. Diese Übersicht ist nicht repräsentativ, sondern ich habe
Messer ausgewählt, die mich selbst interessieren. Allerdings bestätigen sie
meine vorangegangenen Erfahrungen (Stand ebenfalls 16.04.2017).
Tops Knives
Tex Creek XL
- Böker: 226
Euro
- Lamnia:
180,42 Euro
-
Outdoormesser: 189,90 Euro
Böker liegt
preislich klar vorne und zwar ganze 45,58 Euro über dem niedrigsten Angebot
(rund 25%).
Tops Knives Tom Brown Tracker
- Böker: 341 Euro
- Lamnia: 272,55 Euro
- Knives and Tools: 339 Euro
-
Outdoormesser: 269,90 Euro (nicht lieferbar)
Der
billigste Laden ist nicht immer wirklich der billigste und die Lieferbarkeit
spielt selbstverständlich auch eine Rolle. Wie auch immer: Es geht wieder
deutlich billiger als bei Böker.
Tops Knives Tahoma Field Knive
- Böker: 332 Euro
- Lamnia: 214,97 Euro
- Knives and Tools: 254,95 Euro
Die
Preisdifferenz kann gewaltig variieren. Hier haben wir mit einer Preisdifferenz
zum billigsten, von mir findbaren Anbieter einen unglaublichen Preisunterschied
von 117,03 Euro (fast 55%).
Ontario Rat 3
- Böker: 141,95 Euro
- Amazon (Prime): 101,01 Euro
-
Wildnissport: 155,90 Euro
Es geht
deutlich teurer als bei Böker. Wildnissport verlangt tatsächlich noch einmal
13,95 Euro (fast 10%) mehr, als Böker. Der Preisunterschied zwischen
Wildnissport und dem billigsten, von mir gefundenen Laden liegt bei diesem
einfachen Standardmesser bei 54,89 Euro.
Böker
Jagdmesser Duo (Klappmesser)
- Böker: 219
Euro
- Amazon (Prime): 219 Euro
- Swords and More: 209 Euro (+ 6 Euro Versand)
Es meist
billiger, auch wenn der Preisunterscheid bei Böker-eigenen Produkten nicht sehr
groß ist – jedenfalls bei meinen zwei Beispielen. Wie man bei einem Warenwert
von über 200 Euro noch Versandkosten verlangen kann, verstehe ich nicht. Zumal
die Preisdifferenz nicht gewaltig ist. Bei solchen Läden kaufe ich selbst aus
Prinzip nicht ein.
Böker
Jagdmesser Quadro (Taschenmesser)
- Böker: 279
Euro
- Swords and More: 259 Euro (+ 6 Euro Versand)
- Frankonia:
279 Euro (+ 5,95 Euro Versand)
Auch hier
gibt es einen der es mit Versandkosten „schafft“, teurer als Böker selbst zu
sein. Wie gesagt, wer pauschal Versandkosten verlangt, egal, wie hoch der
Warenwert ist, muss auf mich als Kunde verzichten.
Douk Douk
Grand (Klappmesser)
- Böker:
27,95 Euro (+ 3,95 Versand)
- Amazon (Prime):
22,95
- Hertie:
22,95 Euro
- Waldläufer
Shop: 24,99 Euro (+ 3,79 Versand)
Hier ein
Beispiel mit geringem Warenwert. Kaum ein Händler verzichtet auf Versandkosten.
Dass ich bei Amazon Prime davon ausgenommen bin, weil ich für die
Prime-Mitgliedschaft bezahle, ist nicht repräsentativ. Interessant ist, dass
der Waldläufer nur geringfügig billiger ist als Böker. Bei diesem geringen
Warenwert ist das allerdings auch zu erwarten. Es zeigt sich aber am Beispiel
von Hertie wieder einmal, dass es fast immer billiger geht.
Nachteile
durch den Onlinehandel?
Es gibt vor
dem Hintergrund des Themas noch drei Dinge zu bedenken:
Erstens besteht natürlich die Gefahr von Produktfälschungen.
Ich habe allerdings bei den hier aufgeführten Online-Shops gekauft und vertraue
ihnen aufgrund der gemachten Erfahrungen. Ich habe den Eindruck, dass die
Fälschungsgefahr von Herstellern oder etablierten Händlern gerne übertrieben
wird, um ihr Fachhändlernetz bzw. ihren eigenen Vertrieb zu schützen. Ich
selbst würde aus Vorsichtsgründen allerdings nicht auf Online-Handelsplattformen
bei mir unbekannten Händlern oder gar Privatpersonen kaufen. Schon gar nicht
bei einem Warenwert von über 100 Euro und/oder einem Produkt, auf das ich mich
verlassen können muss.
Zweitens ist es zwar zutreffend, dass der
reine Online-Handel kostenmäßig Vorteile gegenüber dem stationären Handel hat
(z.B. muss kein oft Ladengeschäft unterhalten werden und es ist 7/24 „geöffnet“).
Aber das ist für meine Beispiele vermutlich nicht ausschlaggebend, denn Böker
besitzt zwar ein Geschäft in Solingen. Aber erstens befindet es sich auf
Werksgelände, zweitens wird dort auch preisreduzierte Ware „abgeschleust“ und
drittens hat es zweifelsohne auch Showroom-Charakter bzw. trägt zur
Imagebildung bei („Klingenstadt Solingen“, Nutzung bei Werksbesichtigungen
etc.). Mir ist nicht bekannt, wie hoch der Anteil des Ladenverkaufs am
Gesamtgeschäft ist. Böker hat aber sehr aufwändige Kataloge und der online-Shop
ist gerade überarbeitet worden und steht auch in Englisch zur Verfügung – keine
sinnvollen Investments, wenn diese Vertriebskanäle nicht eine große Bedeutung
hätten …
Drittens ist in mancherlei Hinsicht der
Verweis etablierter Händler oder Hersteller auf den (stationären) Fachhandel
in Abgrenzung zum Internethandel fragwürdig. Weder spielt die reine Größe
eines Händlers eine Rolle, noch die Frage, ob er sein Geschäft nebenbei
betreibt oder hauptberuflich, noch die Frage, welche Bedeutung das Internet
dafür hat. Anders ausgedrückt: Warum sollte beispielsweise ein (als Jäger,
Bushcrafter, Angler etc.) erfahrener Messeranwender, der abends eine Stunde
lang nebenbei seinen Webshop betreibt, grundsätzlich weniger gut in der Lage
sein, seine Kunden (die oft genug selbst ein hohes Maß an Sachkenntnis
besitzen) beim Messerkauf zu beraten, als ein Unternehmen mit drei Mitarbeitern
und einem Ladenlokal? Es kann genau so gut anders herum sein. Oder: Warum ist
für mich das eine Handelsformat besser als das andere, wenn ich genau weiß,
dass ich ein Spyderco Paramilitary 2 in schwarz möchte? Für mich ist dann
ausschließlich wichtig, dass es ein echtes Spyderco ist, dass es schnell
lieferbar ist, dass Reklamationen korrekt abgewickelt werden und, was es
kostet.
Kritikpunkt
2: Innovation
Ich habe den
Eindruck von dem großen Mythos "Klingenstadt Solingen" ist allgemein
nicht mehr viel übrig geblieben. Mag sein, dass die Arbeit in Deutschland teuer
ist, muss das aber dazu führen, dass ich wenig davon spüre, dass Solingen
weltweit ganz vorne mitspielt, was Messer betrifft? Könnte Solingen nicht
tonangebend beim Design von Messern sein, bei neuen Werkstoffen oder Arten der
Herstellung und Bearbeitung?
Es ist
natürlich innovativ, interessante neue Messermarken auf den deutschen Markt zu
bringen. Aber das ist eben die Innovation eines Händlers, nicht die eines
Herstellers.
Mein Sohn
sagte, er sehe bei Böker zu viel "alten Wein in neuen Schläuchen". Er
ist 15. Es ist nicht der Eindruck eines Experten, aber gerade deshalb macht es
mich hellhörig. Ich verstehe, was er meint. Es gibt phantastische Designs, wie
zum Beispiel die Applegate-Fairbarn-Dolche, den Grabendolch oder das Smatchet
(auch wenn sie historische Vorbilder haben), die Jim Wagner-Messer, die Optima-
oder Turbine-Klappmesser etc. Von denen gibt es immer wieder Mal neue
Versionen: andere Klingenformen, andere Stähle, andere Griffmaterialien etc.
Aber nach meinem persönlichen Empfinden tut sich bei der Entwicklung neuer
Messertypen eigener Herstellung in Deutschland zu wenig. Speziell, wenn ich das
mit „Innovationsmaschinen“ wie Tops Knives oder auch nur Pohl Force nebenan in
Burscheid vergleiche, die zu jeder Messe, die ich beobachtet habe, mit völlig
neuen Messertypen kommen. Ich kann diesen Eindruck allerdings nicht
quantifizieren.
Kritikpunkt
3: Position beziehen
Das deutsche
Waffenrecht ist eines der restriktivsten weltweit. Das gilt nicht nur für
Schusswaffen, sondern auch für Messer. Gegen weitere Restriktionen bei
Schusswaffen regt sich immer noch nicht so viel Widerstand, wie nötig wäre,
weitere unsinnige Verschärfungen zu verhindern, während Terroristen, Amoktäter
und Kriminelle auf dem Schwarzmarkt scheinbar nach wie vor ausreichend Zugang
zu illegalen Schusswaffen und Sprengstoff haben. Aber immerhin regt sich
Widerstand. Auch von Händlern und Herstellern.
Leider ist
das bei Messern nicht ansatzweise in gleicher Weise feststellbar. Obwohl Messer
mittlerweile eine immer stärkere Rolle bei der Straßenkriminalität spielen
(jedenfalls legt das die Berichterstattung nahe), drangsaliert der §42 a
rechtstreue Bürger in erheblichem Maße – nicht nur wegen der darin
festgeschriebenen Einschränkungen, sondern auch wegen der Rechtsunsicherheit,
die dadurch geschaffen wurde (Stichwort sozialadäquater Zweck bzw.
Verunmöglichung des Führens von Messern zur Selbstverteidigung). Natürlich
kümmern sich Kriminelle genau so wenig um die Paragraphen zum Messerrecht wie
um die zu Schusswaffen. Im Ergebnis gibt es keine Waffengleichheit zwischen
rechtstreuen Bürgern und Verbrechern.
Was hat das
mit Böker zu tun? Ganz einfach: Wer Geld mit Messern verdient, darunter auch
solchen, die unter das Führverbot fallen, hat meiner Meinung nach eine
moralische Verpflichtung auch dafür einzutreten, dass diese restriktiven und
vor allem unsinnigen Gesetze liberalisiert werden.
Ich habe die
Stimme von Böker in dieser Weise nicht vernommen (außer in der Rubrik
Waffenrecht auf ihrer eigenen Internetseite). Ich sehe noch nicht
einmal bei der Initiative „Messer sind Werkzeuge“ ein Böker-Banner. Und das
enttäuscht mich sehr. Ich bin kein Killer, sondern steuerzahlender
Familienvater, aber ich möchte nicht auf lächerliche unter 12 cm Klingenlänge
beschränkt sein, wenn wir in die Natur rausgehen. Wer sich als
Innovationsführer bezeichnet, sollte auf seinem Heimatmarkt meiner Meinung nach
auch eine deutlich vernehmbare Rolle dabei spielen, ein freieres
Waffen-(Messer-)Recht zu fordern.
Dass Böker
die Kurse mit Jim Wagner beendet hat, passt meiner Meinung
nach in dieses Bild. Position beziehen ist angesagt, nicht einknicken oder
ausweichen! Mir reicht es bei weitem nicht, wenn Böker – wie einem Foreneintrag entnehmbar – offenbar mit anderen
Herstellern über den Industrieverband IVSH anlässlich der Gesetzesverschärfung
interveniert hat. Erstens ist das lange her (2002) und zweitens verfügt der
IVSH heute noch nicht einmal mehr über eine online-Präsenz, die ich finden
konnte, geschweige denn, dass er laut Position bezieht.
Resümee
Was ist also
mein Resümee? Ich wünsche mir, dass Böker die Kritik des Waldläufer-Kanals
aktiv aufgreift und zwar inhaltlich und nicht rechtlich. Ich wünsche mir, dass
der Waldläufer substantiierter kritisiert.
Und ich
wünsche mir, dass Messer in Deutschland nicht nur gesellschaftlich wieder
besser akzeptiert werden, sondern unser Land auch bei der Entwicklung von
Messern wieder eine führendere Rolle einnimmt. Warten wir ab, wie sich die
Dinge entwickeln. Bis jetzt hat Waldläufers Video jedenfalls bereits 13.000
Zugriffe und es gibt eine Reihe von Videoantworten anderer Youtuber - quasi
erste Solidarisierungseffekte! Schon jetzt bewerte ich diese insgesamt über
25.000 Zugriffe als Problem für die Firma. Nicht erst, wenn der Funke sozusagen
überspringt und der erste US-Messer-Kanal das Thema aufgreift, sondern bereits
beim Durchschlagen auf Diskussionen über die Youtube-Amateur-Community hinaus,
kann es sich zu einer Image-Krise ausweiten......
Update Juni 2017
Mir gefällt
nicht, dass der Waldläufer sein Kritik-Video aus dem Netz entfernt hat, nachdem
er damit faktisch zunächst - wohl ähnlich einer Art David gegen den "Goliath" Böker
- Druck aufgebaut hat. Ich finde: Wer ein Problem in dieser Art öffentlich
macht, sollte auch seine Lösung ebenso deutlich offenlegen. Das ist meiner
Meinung nach aber nicht vollumfänglich geschehen.
In einer
weiteren Botschaft erklärt er sinngemäß, es habe eine
Kontaktaufnahme durch Böker gegeben und die Angelegenheit werde jetzt geklärt.
Auch von anderer
Seite erfährt er Kritik, beispielsweise hier und hier, die ich mir nicht zu eigen mache.
Was zwischen
ihm und Böker im Einzelnen besprochen wurde, entzieht sich natürlich meiner
Kenntnis. Aber diese, für mich überraschende Kehrtwende, nachdem man
viele Zuseher und auch andere Youtuber als Unterstützer hatte, und vor
allem das Löschen der vielen Videos mit den Vorwürfen (auf ihn werde
Druck ausgeübt, die Messerpreise würden in unfairer Art und Weise durchgesetzt
etc.) hinterlässt bei mir einen faden Beigeschmack.
Warum tut
man so etwas? Diese Frage mag sich jeder selbst stellen.
Die Erklärung, das Fehlverhalten einiger Mitarbeiter stehe nicht für eine ganze Firma oder Marke bzw. es gebe keinen Grund gegen eine Firma vorzugehen, die an ihren Fehlern gearbeitet habe, gefällt mir nicht. Das hätte man meiner Meinung nach genau dann auch in aller Offenheit und im Detail erläutern können.
Ich werde
mein Abonnement seiner Videos bei Youtube kündigen.