Alphen: So geht’s auch – niederländische Presse berichtet sachlich und differenziert über Schießerei

Bisher sind die Niederländer von „Amokläufen“, „School shootings“ oder ähnlichen Verbrechen verschont geblieben. Tragischer Weise hat sich dieser Umstand am 9. April 2011 schlagartig geändert. Der 24-jährige Tristan van der Vlis ist in ein Einkaufszentrum in Alphen am Rhein gestürmt und hat das Feuer auf Passanten eröffnet. Seine primäre Tatwaffe war ein halbautomatisches Gewehr Smith & Wesson M&P15-22 im Kaliber .22 lfb (nicht wie fälschlich berichtet eine Maschinenpistole oder gar ein Maschinengewehr).
Neben dem Gewehr führte er Kurzwaffen mit sich und trug eine ballistische Schutzweste. Er tötete sechs Personen zwischen 42 und 91 Jahren und verletzte 17 weitere Menschen. Einige der Verstorbenen waren gehbehindert: Sie saßen in Elektromobilen und waren für den Täter leichte Opfer. Van der Vils tötete sich im Anschluss an sein Verbrechen durch einen Kopfschuss.
Der Mörder hatte zeitweise die Genehmigung für fünf Waffen inne. Offensichtlich hat er sich mehrfach in psychatrische Behandlung begeben und war scheinbar auch in einem Fall in Konflikt mit dem Waffengesetz gekommen. Wir wollen es an dieser Stelle bei einer Darstellung der Fakten belassen und nicht Versuchen, die Umstände die zur Tat geführt haben zu analysieren. Dafür ist die Informationslage zu dünn. Es geht uns vielmehr darum, aufzuzeigen, wie sich die niederländische Presse mit diesem Fall beschäftigt hat und Parallelen zur hiesigen Situation zu ziehen.
                 
In allen niederländischen Medien überwog natürlich zunächst Trauer und Entsetzen über die Tat. Eine Sondersendung des niederländischen Fernsehens am 9. April erreichte Rekordquoten. Ähnlich wie in Deutschland kamen früh Fragen auf wie: „Wäre die Tat vermeidbar gewesen?“; „Reicht das geltende Waffenrecht aus?“ oder „Welche Maßnahmen gilt es zu ergreifen, um solche Verbrechen zukünftig zu vermeiden?“
                         
Aber statt nach schnellen Pauschallösungen zu suchen, findet in niederländischen Zeitungen eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Legalwaffenbesitz statt. So lässt etwa der Telegraaf, die auflagenstärkste Zeitung bei unseren westlichen Nachbarn, ausführlich einen Waffensachkundigen zu Wort kommen. Dieser widerlegt die Mär von der sicheren Zentrallagerung: „Die Aufbewahrung von Feuerwaffen bei Schützenvereinen und nicht länger bei den Schützen zuhause ist eine sinnlose und sogar gefährliche Maßnahme (…)“ [1]
Ganz selbstverständlich wird in dem Artikel auf die jahrhundertlange Tradition des Sportschießens und auf die strengen Hürden für den legalen Waffenerwerb hingewiesen. Als Kernproblem erkennt der Telegraaf die notorische Unterbesetzung der Polizei, die ausreichende Kontrollen von Legalwaffenbesitzern nicht gewährleisten können. Die Volkskrant sekundiert zur Zentrallagerung: „Bei jedem Vorfall kommt wieder diese Debatte hoch (…) bei zentraler Lagerung in Vereinsheimen erhöht sich das Risiko eines Einbruchs (…) Die Regelungen für die Aufbewahrung zu Hause sind streng und gut handhabbar“ . [2]
                       
Auch die Volkskrant konstatiert: „Es stellt sich doch die Frage, ob nicht die Polizei im Fall von Tristan van der Vlis versagt hat (…)“ . [3] Die leidige Frage wie häufig und intensiv die Lagerung von Waffen in der Privatwohnung durchgeführt werden sollten, stellt auch das Algemeen Dagblad. Die Zeitung konstatiert aber, dass eine Vollüberwachung kein Allheilmittel sein kann: „Jemand kann kontrolliert werden und alles ist in bester Ordnung und am nächsten Tag passiert trotzdem eine Katastrophe. Das kann keine Kontrolle verhindern“ . [4]
                
Bei der Suche nach Erklärungen für die Tat beleuchtet das Algemeen Dagblad auch intensiv den Drogenkonsum von van der Vlis, der Stammgast in diversen „Coffeshops“ war. [5] In der Diskussion über das Waffenrecht, interviewt der öffentlich-rechtliche Radiosender den Vorsitzenden des niederländischen Schützenbundes (Koninklijke Nederlandse Schutters Associatie) Sander Duisterhof . [6] Der Reporter stellt eingangs die These auf, dass das niederländische Waffenrecht völlig ausreichend ist und lässt im weiteren Verlauf Duisterhof ausführlich zu Wort kommen. Viele der Argumente kennen wir auch aus Deutschland: 1. Illegale Waffen sind das eigentliche Problem 2. Zentrallagerung ist keine Lösung 3. Das beste Waffengesetz nützt nichts, wenn die Kontrollen versagen.
                  
Eins ist klar – natürlich hört man auch aus der niederländischen Politik und der Bevölkerung vereinzelt den Ruf nach Verschärfung bis hin zu einem Totalverbot. Die ganze Debatte läuft aber viel unaufgeregter, sachlicher und vor allem fairer. Die große Mehrheit der Niederländer macht es sich nicht so leicht, eindimensional nach vermeintlichen Schuldigen und einfachen Lösungen zu suchen. Man begegnet der Tragödie von Alphen mit dem angemessenen Respekt, kommt aber auch mehrheitlich zum Schluss dass die Ursache wohl im von Drogen und Psychosen geprägten Privatleben des Täters zu suchen ist und nicht im Schießsport. An dieser Stelle geht ein großes Kompliment an die niederländischen Journalisten, die sich im krassen Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen um eine objektive und faktenbasierte Berichterstattung bemüht haben.
Das schreckliche Beispiel von Alphen zeigt deutlich, dass man als Gesellschaft auch anders mit solchen Ereignissen umgehen kann, als dies hierzulande leider der Fall ist. Bei aller Anerkennung des Verhaltens unserer Nachbarn möchten wir aber abschließend auch ausdrücklich unser Mitgefühl für die Opfer zum Ausdruck bringen. Wir hoffen inständig, dass sich solche Wahnsinnstaten nie wieder ereignen – in keinem Land.

Nachweis der genannten Zitate
[1] „De opslag van vuurwapens bij een vereniging, en niet langer bij sportschutters thuis, is een zinloze, zelfs gevaarlijke maatregel(…)“ Quelle aufgerufen am 13.4.2011
[2] Zitat in voller Länge:Bij ieder incident steekt deze discussie de kop op. Sportschutters reizen naar andere verenigingen om daar te schieten. Maar minstens zo belangrijk: bij centrale opslag in clubgebouwen verhoog je het risico op inbraak daar. En dan zou het veelal om honderden wapens gaan, die daar zouden liggen. De regels voor het thuis opbergen zijn streng en goed hanteerbaar.” Quelle aufgerufen am 13.4.2011
[3] Zitat in voller Länge: “Het is de vraag of de politie niet heeft gefaald in het handhaven van de regels in het geval van Tristan van der Vlis.” ebd.
[4] Iemand kan gecontroleerd worden en zijn zaken goed op orde hebben, maar de volgende dag kan het helemaal misgaan. Daar heeft zo'n controle geen invloed op“ Quelle aufgerufen am 14.4.2011
[5] Quelle aufgerufen am 14.4.2011 [6] Interview in voller Länge: Quelle aufgerufen am 14.4.2011


Ein Gastbeitrag von M. v. Oost