Maisjagd - Kalt und heiß

Gastbeitrag

Drei, vier Stunden im Auto dem neuen Tag entgegen. Die Fahrt war nicht lang gewesen. Selbst frühmorgens nicht. Vorgestern erhielten wir die Nachricht. Jäger werden gesucht. Und gute Hunde. Heute ist es so weit. Der Sommer war erst sehr heiß. Dann war das Wetter wechselhaft. Für heute ist einer der letzten heißen Tage angesagt. Ich stehe kurz vor einer Jagdreise ins Ausland und will den letzten Sommertag in Deutschland mitnehmen. Ich weiß, es wird ein schöner, ein heißer Tag am Maisfeld werden.
Ich bin am Treffpunkt. Fünf Mann steigen aus drei Fahrzeugen. Noch ist es kühl. Man kann den Atem sehen. Peter lacht mich breit an. Er liebt die Kälte mehr als den Sommer. Sein Hund jault.

"Guten Morgen. Gut vorbereitet?"
"Wie man nur sein kann."
Peter redet niemals zu viel. Er weiß, dass ich viele Stunden im Schießkino und am Schießstand verbracht habe. Meistens war er ja dabei. Er weiß, wie ich mit der 8 x 57 IS schieße.Die Thermoskanne faßt nur einen halben Liter. Ich hatte sie für eine Gebirgsjagd gekauft. Sie ist leicht. Jetzt kommt sie mir lachhaft klein vor. Aber jetzt ist ganz Jagd. Die Hunde lärmen. Ihnen steckt die lange Fahrt in den Knochen. Wir richten uns ein, trinken einen letzten Kaffee. Dann gehen wir los.
               
Die Hunde sind nervös. Jetzt ist es schon warm genug, die Jacke auszuziehen. Das erste Feld ist rechteckig, wir stehen halbschräg, nach Norden fällt das Feld ab. Der Bauer kommt. Die Tabakspfeife zwischen den Lippen. Redet nicht viel. Weist Peter ein. Der riesige Kerl steht da wie immer leicht vorneübergebeugt mit dem viel kleineren, drahtigen Bauern mitten auf dem Feld. Sein Hund liegt bei ihm. So ein Bild. Ich möchte es mir einbrennen. Die beiden könnten auch vor 100 Jahren so gestanden sein. Sie reden ihren schweren, langsamen Dialekt und bewegen ihre schweren niedersächsischen Schädel ab und zu leicht. Aber signalrote Warnwesten tragen wir. Die Hunde und die Erntemaschinen kommen. Jetzt können wir auf unsere Positionen.
                         
Jetzt. Sie drücken durch. Sollen sie doch. Ich bin am Platz. Peter hält eisern auf Disziplin. Er kennt mich seit über 20 Jahren, weiß mehr über mich als die meisten anderen. Trotzdem hat er meinen Jagdschein noch kontrolliert. Aber er hat recht. Ordnung muß sein und wir dürfen uns nicht durch irgendeine Leichtfertigkeit gefährden. "Das, mein Freund", sagte er immer, wenn jemand seine Genauigkeit nicht verstand, "würde dann der ganzen Jagd angelastet. Und wir müssen sie schützen".
                  
Es dürfte gegen elf Uhr sein. Ich schwitze. Die Sonne strahlt uns kräftiger denn je. Ich stehe schon lange im alten olivgrünen Unterhemd da. An die orangefarbene Weste darüber habe ich mich auch gewöhnt. Peter trägt nur noch die Weste. Meine Feldflasche ist leer. Ich habe zwei Mal geschossen. Bisher ohne Erfolg. Wir sind am zweiten Feld. Die Felder sind riesig. Das hätte ich nicht gedacht. Bei uns zu Hause sind sie ganz gut überschaubar. "Was meinst Du, warum wir so viele Jäger brauchen", hatte Peter nachdenklich gemeint.
                            
Er hatte ein Mal geschossen. Natürlich erfolgreich. Und er hatte einen Überläufer mit der Saufeder gestochen. Peter konnte damit umgehen. Der fast zwei Meter lange Schaft verschwand in seiner Hand wie ein Spazierstock. "Ich mag es nicht, dass Jäger mit Schußwaffen durch das Feld gehen. Sicherheit, verstehst Du. Wennn eine Sau vor unseren Hunden steht, ist Abfangen mit kalter Waffe besser."
                        
Mir läuft der Schweiß herunter. Es wird heißer. "Mein Gott, wir sind nicht Afrika", schilt Peter. Die anderen schwitzen auch. Aber mir gilt die Ermahnung. Unsere Strecke ist noch gering. Meine Nerven sind angespannt wie auf der Pirsch. Das Rascheln im Feld. Das Geräusch. Schreie. Da kommen sie. Da. Ich muß ja auswärts, weg vom Feld blicken und schießen. Jetzt. Waffe an die Wange. Abwarten. Genau ansprechen. Abwarten. Dann läuft es wieder drüben raus. Lange nichts. Irgendwer schießt. Die Hunde. Verdammt noch Mal. Wer ist bei den Hunden.
                  
Es ist Mittag. Wir brechen ab. Wir sind alle im Unterhemd. Der Bauer gibt uns heißen Kaffee. Brot und Wurst haben wir selbst. Peter steht ganz zufrieden dar. Er hatte zwei geschossen und einen gestochen. Jochen hatte einen und Fred einen. Klaus, Rainer und ich nichts. Nach Mittag wollten wir rübermachen, auf ein anderes Feld.
                       
Die Sonne knallt weiter auf uns. "Alter Afrikaner", sagt Peter zu mir, "Alter Afrikaner, Dir macht die Sonne nichts." Und wirklich, ich bin in diesem Jahr gebräunter als sonst. Meinen Sonnenbrand hatte ich schon weg. Er stellt mich an die breite Seite. Mich ganz allein. "Damit Du nicht schwatzt". Er weiß ganz gut, dass ich nicht gerne mit leeren Händen heimfahren würde.
                   
Dann komme ich doch ins Sinnieren. Ach, was können diese Spinner noch an der Maisjagd bekritteln. Bleifreie Munition. Mein Gott. So ein Unsinn. Wir führen kein Infanteriegefecht in den Maisschlägen. Wie viele Geschosse liegen denn da. Wenig. Und die Abprallgefahr bei Weicheisen. Auch beim sicheren Schuß. Na ja, trifft ja nur einen von uns. Danke, die Herren. Der gleiche Unsinn wie bei der Wasserjagd.
                    
Die Hitze läßt nicht nach. Die Sonne brennt und es geht kein Wind. Man riecht den Acker. Die Hunde lechzen nach Wasser. Peter schleppt jetzt eine Wildwanne ran. Bob, Peters Hund, trinkt. Peter schaut milde. Sein Hemd klebt am Körper. Er lacht jetzt herüber. In den Händen hält er seine Saufeder. Schweiß klebt daran. Auf dem Rücken hat er den 98er. Sieht wie ein Spielzeuggewehr bei ihm aus. Die Hunde trinken. Keiner redet. Jagdliche Ruhe herrscht weiter. Man hört Bob trinken.
Peter winkt lautlos. Es geht weiter. Die Sonne strahlt jetzt stärker denn je. Hunde. Schüsse. Nicht bei mir. Ich höre Peter rufen. Verstehe ihn nicht. Das gilt nicht mir. Ich halte die Klappe. Wenn es ein Problem gibt, sprechen wir per Funk. Verdammt altmodisch im Zeitalter des Mobiltelefons. Aber wir kennen es so und nicht anders. Lange höre ich nichts. Ich stehe immer noch mit dem Rücken an der Maiskante. Werde hier auch nicht wegmachen. Ausgeschlossen. Schützen schießen nur nach vorne. Und dumm war, wer jetzt lärmte oder wegging. Für so jemand ist bei uns kein Platz.
                     
Oft genug wechselten Sauen nach dem leisen Treiben die Richtung oder verharrten sowieso im Mais und lassen sich kaum herausdrücken, um dann plötzlich abzugehen. Jedenfalls war es bislang oft so. Stehen bleiben.
Da geht einer. Rechts von mir geht er ab. Waffe zur Wange. Schuß. Geht fünf Meter. Sechs. Zehn. Liegt. Gut. Ganz gut. Ich habe mit der 8 x 57 geschossen. Das müßte reichen. Hoffentlich ist gleich wieder Aufbrechpause. Ich sehe auf die Uhr. Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Diese Maisjagd fordert alle Sinne. Den ganzen Mann. Ich bin sehr durstig.
                     
Ich lausche gespannt. Da höre ich es. Es wird abgeblasen. Das war es für heute. Eine Sau gestreckt. Insgesamt eine ganz gute Strecke. Keine Nachsuche. Natürlich keine Zwischenfälle. Man merkt an vielen Details, wie Peter die Jagd geführt hat. Die Aufbrechpausen sind festgelegt und es wird schnell und genau gearbeitet. Er erläutert wieder und wieder das Verhalten bei Fehlschüssen. Es gibt eines der besten Nachsuchegespanne, das ich kenne in Bereitschaft. An- und Abmarsch erfolgen ohne Bellen, ohne Gequatsche und selbst ohne Stiefelknarren. Wir wissen ja, wie man das vermeidet. Auch wenn es unappetitlich ist.
                     
Wir gehen zum Streckenplatz. Es ist eigentlich unnötig, weil es noch hell ist, aber natürlich brennen trotzdem Feuer. Ich höre, was die anderen geschossen haben. Keine Nachsuche ist dabei. Kein Jäger und kein Hund fehlt. Jetzt geht's nachher zum Schüsseltreiben. In dem alten Gasthaus mit der niedrigen Decke und den Eichentischen ist ein abschließbarer Waffenraum parat. Die Türe immer im Blick. Das Bier steht schon am Platz. Ich habe immer noch großen Durst. Es riecht nach Braten.
                         
Peter zieht seine Büchse noch kurz durch und wischt sie ab. "So viel Zeit muß sein", sagt er. Und dann stellt er sie weg und schließt er die Türe ab. Ich gehe mich schnell waschen. Oben im ersten Stock ist für jeden ein Zimmer reserviert. Um neun wird es Frühstück geben. Bis dahin ist es aber noch lange. Und jetzt möchte ich nicht der letzte am Tisch sein.