Splitter oder Block? Sind wir diskursfähig?

In der neueren Geschichte demokratischer Staaten gibt es verschiedene Beispiele, in denen soziale Bewegungen Entscheidendes verändert haben: die Bewegung gegen den Vietnamkrieg, die Anti-Atombewegung, die Friedensbewegung, der Widerstand in der DDR, Bewegungen zur Gleichberechtigung der Frau oder der Homosexuellen. Nicht alle hatten Bestand, von allen sind aber entscheidende Impulse ausgegangen. Und: Keine dieser Bewegungen basierte auf einer einzigen monolithischen Organisation.
Es gab keine vorherrschende „Raus-aus-Vietnam-Organisation“; „Atomkraftkritiker-Zeitschrift“ oder „Nieder-mit-der-SED-Initiative“. Diese Schulbeispiele für den Erfolg sozialer Bewegungen beweisen gerade durch ihre Diversität Kraft. Atomkraftgegner waren eben nicht nur langhaarige Schüler und Studenten, sondern auch Studienräte und Journalisten und Ärzte und Handwerker usw. Nicht alle haben in den gleichen „Vereinsfarben“ gleichzeitig demonstriert und denselben Protestbrief geschrieben und sich an der selben Stelle angekettet und mit den gleichen Leuten argumentiert und Leserbriefe an die gleichen Medien geschrieben und entsprechend gewählt. Die Ärzte hatten ihren Verein (was sicher keinen gehindert hat, auch in anderen mitzuwirken) und die Studenten ihren und manche hatten eben gar keinen Verein, sondern haben eine Zeitung gemacht oder einfach mitdemonstriert oder auch nur mit ihren Nachbarn geredet.

Zu viele Legalwaffenbesitzer starren auf die NRA und wünschen sich so etwas bei uns: eine große Legalwaffenlobby mit unzähligen PR-Leuten, Juristen und Lobbyisten. Und zu viele denken aus diesem oder einem anderen Grund, viele Vereine und Initiativen und Organisationsformen im Bereich Legalwaffenbesitz sind schlecht. Zwei Beispiele belegen dies. Erster Fall: In den einschlägigen Foren wird diskutiert, ob denn der neue Verein „Pro Legal“ gut ist oder nicht, weil es ja schon andere Vereine gibt und sich die Kräfte zersplittern. 

Zweiter Fall: Als wir vom JagdWaffenNetzwerk eine Pressemitteilung an die Fachpresse versendet haben, hat ein Journalist geantwortet, sie druckten das nicht, weil es zersplittere ja die Kräfte. Beides ist grundfalsch. Die genannten Beispiele zeigen, daß das Gewicht einer sozialen Bewegung (und mit 2 bis 3 Millionen Betroffenen und ihren Angehörigen und einer nicht näher bekannten Zahl von Sympathisanten ist die kritische Größe einer sozialen Bewegung lange erreicht) nicht von ihrer Uniformität und einer einheitlichen Organisationsform abhängt. Schon wenn wir die Gegner des Waffenbesitzes ansehen, stellen wir fest, daß die sich nicht in der einen „Anti-Waffen-Vereinigung“ sammeln, sondern ihr Gewicht eben in ihrer Vielfältigkeit und regionaler Präsenz besteht. Deshalb ist es zwar absolut vernünftig, wesentliche Ziele ähnlich zu definieren und die Kräfte wo nötig zu bündeln (wie z.B. in den Protestaktionen vor der letzten Gesetzesverschärfung vielfach geschehen), aber absolut überflüssig, uniform in einem Verein darauf zu warten, daß die große Legalwaffenwende kommt. Das Motto „Getrennt marschieren, aber vereint schlagen“ hat seine Berechtigung. Es ist überhaupt kein Problem, wenn es mehrere Großvereine zum Thema Waffenrecht gibt (der eine eben industrienäher, der nächste näher am Sammler, der andere am Sportschützen etc.) und mehrere andere Organisationsformen (Jagdschutzverband, Sportschützendachverbände, einzelne Clubs und Hegeringe) und mehrere Medien (die kommerziellen Zeitschriften für Schützen und Jäger und auch die inzwischen zahlreichen Weblogs, Foren und Vereinswebsites mit unterschiedlichem Schwerpunkt – übrigens, kleiner Seitenhieb, „Medium ist man nicht dadurch, daß man kommerziell ist und Medium draufschreibt.“) und Freundeskreise und Einzelpersonen und und und. Wichtig ist es, daß man vernetzt ist (z.B. durch Mehrfachmitgliedschaften und Lesen dessen, was die anderen schreiben und natürlich miteinander reden), aber nicht, daß wir alle den gleichen Wimpel zu Hause haben. Und keiner soll in diesem Zusammenhang „Teile und herrsche“ zitieren und glauben, das Problem seien viele Organisationen. Das Problem sind viele Organisationen, die sich gegenseitig bekämpfen, die nicht integrativ wirken, sondern sich abgrenzen – und sich primär mit sich selbst und ihrem Anderssein befassen. Wir Deutschen werden keine NRA bekommen und wir brauchen auch keine. Wir leben in einer zivilen und pluralistischen Gesellschaft und wir können ganz gut auch als Legalwaffenbesitzer vielfältig sein.