Mit Karl May zur Jagd - Das Motiv des Jägers

Es ist heute schwierig, in irgendeinem Buchladen einen Band Karl May zu finden. Sei's drum. Es gibt ja Amazon oder die Internetseite des Karl May Verlags. Karl May mag nicht nur den ein oder anderen Impuls dazu gegeben haben, dass man sich schließlich als Erwachsener für die Jagd, das Fischen und das Reisen entschieden hat. Seine Werke sind auch nach wie vor überraschend lesenswert.
Einige Autoren von Abenteuerliteratur behandeln auch die Jagd, z.B. die Deutschen Balduin Möllhausen (z.B. "Erzählung aus meinem Jagdleben in Illinois") und Charles Sealsfield alias Karl Postl ("Nathan der Squatter-Regulator") oder der Amerikaner James Fenimore Cooper („Wildtöter“ oder „Lederstrumpf“). Aber erstens ist Karl May natürlich mit Abstand erfolgreicher mit einer Auflage von schätzungsweise 100 Millionen Büchern in 30 Sprachen (alleine heute werden jährlich noch 250.000 in Deutsch verkauft). Und zweitens ist die Jagd bei ihm auch häufig eng mit der Handlung verknüpft und wird von den Protagonisten nicht nur zur Nahrungsbeschaffung oder zum Schutz vor Raubwild ausgeübt, sondern auch in einigen Fällen als Bewährungsprobe. Vor allem aber aus jagdlicher Passion - und stets werden die Trophäen mit Stolz getragen. Zwei Beispiele:
             

                                                                                 
Im ersten Band des großen Orient Zyklus „Durch die Wüste“ gerät der Deutsche Kara Ben Nemsi zwischen die Fronten einer Auseinandersetzung einiger Nomadenstämme. Diese Bände entstanden zwischen 1881 und 1888 und wurde in der Zeitschrift "Deutscher Hausschatz in Wort und Bild" veröffentlicht, 1892 dann in einer zusammenhängenden Buchreihe.
Kara Ben Nemsi schließt sich in diesem Konflikt einer Partei an und unternimmt für sie einen Kundschafter-Ritt, für den er später als Dank und Anerkennung das legendäre Pferd „Rih“ erhält. Auf diesem Ritt wird er kurzzeitig gefangen genommen und in das Lager eines gegnerischen Stammes gebracht. Dort bekommt er mit, dass ein Panther im Umfeld des Lagers gesichtet wird und die Menschen in Angst versetzt. Er bietet an, den Panther zu erlegen und nach erfolgreicher nächtlicher Jagd gelingt ihm schließlich die Flucht mit Hilfe seiner Waffen, die er zur Jagd zurückerhielt. Er nimmt das Pantherfell als Trophäe mit.
                       
In „Der Schut“, dem letzten Band der Reihe, verfolgen Kara Ben Nemsi und seine Freunde schließlich das Oberhaupt einer Verbrecherbande durch den Balkan, bis sie ihn stellen können. In der Hütte eines Kohlenhändlers machen sie Rast. Sie unterbrechen die Verfolgung, um einen in der Gegend sein Unwesen treibenden Bären zu erlegen, der zuletzt die Hütte und Weiden des Kohlenhändlers immer wieder aufgesucht hatte, um Tiere aus dessen Herde zu reißen. Kara Ben Nemsi und Halef warten nachts auf den Bären an der Stelle, wo er zuletzt ein Tier gerissen hat. Als sie ihn sehen, schießt Halef aus Jagdeifer mit einem untauglichen Langwaffenkaliber. Der Bär ist angeschweißt und greift erneut die Hütte an. Schließlich tötet Kara Ben Nemsi ihn mit blanker Waffe. Er schenkt das Bärenfell Halef:
              
"Wir verließen also das Dorngewirr und umschritten es. Der Punkt, an welchem der Bär hineingedrungen war, ließ sich schnell finden. Er lag gegen den Wald zu und war daran zu erkennen, dass die niedergerissenen Zweige und Ranken nach einwärts gerichtet lagen. Da, wo sie nach auswärts lagen, musste er herausgekommen sein. Diese Stelle lag gegen das Wasser hin. Ich suchte nach der Fährte, fand aber nur einzelne, kaum mehr zu lesende Tritte, welche nach dem Bach führten. Wir gingen ihnen nach und kamen zu der Stelle, wo Petz getrunken hatte. Das Wasser schien trübe geworden zu sein, und er war darum mit den Vorderpranken hineingestiegen. Jetzt floss es kristallrein über die Stelle, und nun erkannten wir im weichen Grund des gar nicht tiefen Baches die deutlichen Abdrücke der Tatzen. Er hatte sie während des Trinkens nicht bewegt und sie dann so behutsam herausgenommen, als ob er die Absicht gehabt habe, uns ja recht genaue Abdrücke seiner Patschen zu hinterlassen. Meine vorhin ausgesprochene Vermutung bestätigte sich: der Bursche war von bedeutender Größe. Seine Sohlen waren stark gepolstert, woraus man leicht schließen konnte, dass er eine ansehnliche Masse von Fett mit sich herumtrage. Von hier war er nach einer sandigen Stelle getrollt, auf welcher er sich gewälzt hatte. Von da an gab es keine deutliche Spur mehr. Nur aus leisen Anzeichen ließ sich vermuten, dass er in den Wald zurückgekehrt sei. … Dann brach ich mit Halef auf. Dieser hatte sich vorher sorgfältig überzeugt, dass ihm sein Gewehr nicht versagen werde. Ich nahm nur die Büchse mit; der Stutzen konnte mir einem solchen Bären gegenüber nichts nützen. »Jetzt sollte der Kerl schon dort sein, wenn wir kommen,« meinte Halef. »Es ist so finster, dass wir ihn erst sehen würden, wenn wir vor ihm ständen.« »Eben darum dürfen wir jetzt nicht in gerader Linie gehen. Die Luft streicht von hier hinüber, und er müsste uns unbedingt riechen. Wir machen einen Umweg, indem wir einen Bogen schlagen, so dass wir dann so ziemlich aus der entgegengesetzten Richtung kommen.« … Unsere Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Uhr, deren Zeiger ich mit der Fingerspitze befühlte, sagte mir, daß es bereits Mitternacht sei. … Es klang wie das Knacken eines Astes von rechts herüber. Das Tier kam den steilen Abhang der Waldzunge herab. Und jetzt roch ich ihn wirklich. Wer Raubtiere nur im Käfig gesehen hat, dem fiel wohl stets die hässliche Ausdünstung auf, welche sie verbreiten, besonders die großen katzenartigen. Wenn sich das Tier aber in der Freiheit befindet, so ist der Geruch viel, viel stärker. Scharf, stechend, wie der Geruch von Melissengeist oder Opodeldok, fährt er in die empfindliche Nase und ist schon von fern zu bemerken, wohlgemerkt, immer von einem geübten Geruchsorgan. Dieser »wilde« Duft wehte mir jetzt entgegen. … Halef knackte die Hähne seines Gewehres auf. »Keine Voreiligkeit!« warnte ich. »Du sollst unbedingt erst nach mir schießen, verstanden! Wenn du nicht gehorchst, wirst du mich ernstlich zornig machen. Du bist imstande, mir das Tier zu vertreiben.« Er antwortete nicht, aber ich hörte seinen Atem vernehmbar gehen. Es war um die Ruhe des Hadschi geschehen - das Jagdfieber hatte ihn ergriffen."
            
Im Winnetou Zyklus (Winnetou 1 bis 3), der in Nordamerika spielt und 1893 als Buch veröffentlicht wurde, lernt der Ich-Erzähler Old Shatterhand, der als Deutscher in den USA lebt, die Grundlagen der Jagd und des Überlebens im Westen erst von seinem väterlichen Freund Sam Hawkens, später von seinem Blutsbruder, dem Indianer Winnetou:
                
»Ja. Ich habe noch nie Bisons gesehen und möchte diese hier so gerne belauschen.« Ich fühlte jetzt nur das Interesse des Zoologen; das war dem kleinen Sam vollständig unbegreiflich. Er schlug die Hände zusammen, und meinte: Belauschen, nur belauschen. Grad so, wie ein kleiner Junge seine Augen neugierig an eine Ritze des Kaninchenstalles legt, um die Karnickels zu belauschen! O, Greenhorn, was muß ich alles an Euch erleben! Nicht beobachten und belauschen, sondern jagen werde ich sie, wirklich jagen!«                                   
Heut, am Sonntage!« Das fuhr mir so unbedacht heraus. Er wurde wirklich zornig darüber und herrschte mich an: »Haltet gefälligst Euren Schnabel, Sir! Was frägt ein richtiger Westmann nach dem Sonntage, wenn er die ersten Büffel vor sich sieht! Das gibt Fleisch, verstanden, Fleisch, und was für welches, wenn ich mich nicht irre! Ein Stück Bisonlende ist noch herrlicher als das himmlische Ambrosius oder Ambrosianna, oder wie das Zeug hieß, von welchem die alten griechischen Götter lebten. Ich muß eine Büffellende haben, und wenn es mich das Leben kosten sollte! Die Luft ist uns entgegen; das ist gut. Hier, an der linken, nördlichen Talwand ist nur Sonne; drüben rechts aber gibt es Schatten. Wenn wir uns in diesem halten, werden uns die Tiere nicht vorzeitig bemerken. Kommt!«
... Dabei erklärte er mir, nun wieder in milderem Tone sprechend: »Es sind zwanzig Stück, wie ich sehe. Aber seid einmal dabei, wenn tausend und noch mehr Stück über die Savanne brausen! Ich habe früher Herden von zehntausend und darüber gesehen. Das war des Indianers Brot; die Weißen haben es ihm genommen. Der Rote schonte das Wild, weil es ihm Nahrung gab; er erlegte nur so viel, wie er brauchte. Der Weiße aber hat unter den ungezählten Herden gewütet wie ein grimmiges Raubtier, welches auch dann, wenn es gesättigt ist, weiter mordet, nur um Blut zu vergießen. Wie lange wird es dauern, so gibt es keinen Büffel und dann nach kurzer Zeit auch keinen Indianer mehr."

Zwar wird der Begriff Waidgerechtigkeit nicht verwendet, aber der Ich-Erzähler lehnt auf allen Handlungsschauplätzen z.B. das "sportliche" Abschlachten von Büffeln, das würdelose Behandeln eines erlegten Tieres, das Liegenlassen von verwertbarem Wildbret und einen "Kriegszug" zahlreicher Jäger zu Pferde und mit Hunden auf ein Wild ab. Kara Ben Nemsi jagt in der Regel zu Fuss und pirscht oder sitzt auf Raubwild an. Old Shatterhand reitet auch, etwa bei der Jagd auf Bison oder Niederwild, er erlegt aber Bären ebenfalls stets zu Fuss. Nicht zu Unrecht kann man also sagen, dass Karl May Generationen von Heranwachsenden zumindest eine grobe Vorstellung davon vermittelt hat, wie man Wild ethisch behandeln sollte.
              
                                               
Aber Karl Mays Werk war in vielen Fällen nicht nur für Kinder oder Jugendliche gedacht, sondern durchaus auch für den erwachsenen Leser. Die Rezeptionsgeschichte seiner Arbeit mit dem Personenkult um den Schriftsteller selbst, der schließlich dazu führte, dass er zeitweilig behauptete, die von ihm beschriebenen Abenteuer tatsächlich selbst erlebt zu haben, belegt die fesselnde Wirkung auf ältere Leser. So altertümlich heute manche sprachliche Wendung oder Anschauung zu sein scheint, so modern war Mays naturschützerische und menschenfreundliche Haltung, z.B. die Achtung von Leben und Kultur nordamerikanischer oder afrikanischer Völker, denen der Ich-Erzähler begegnet.
                
Carl Friedrich May, * 25. Februar 1842 in Ernstthal,
† 30. März 1912 in Radebeul im Kostüm Old Shatterhands

Obschon May viele Beschreibungen der Landschaft und ihrer Bewohner geographischen und ethnographischen Werken der damaligen Zeit entnommen hat, hat er es anerkanntermaßen vermocht, dieses Stückwerk zum Hintergrund seines einmaligen schöpferischen Werks zu machen und es mit vielen spannenden Haupt- und Nebenhandlungen und teils weltberühmten Charakteren auszustatten, die in das kollektive Gedächtnis mehrere Generationen von Lesern in vielen Ländern eingegangen sind.
Vor allem sind die Bücher Mays aber sehr unterhaltsam und dementsprechend erfolgreich - das müssen Kritiker neidisch den sogenannten „Volksschriftstellern“ zuschreiben.
Wenn man sich – unbeeindruckt von den heute oft eher komisch wirkenden 60er Jahre Kino-Filmen – Karl May nähert, tut man das am besten mit den klassischen kleinen grünen Bänden des Karl May Verlages (je 19,80 Euro) und beginnt den Orient-Zyklus von Anfang an oder greift alternativ zu den Geschichten über den „Wilden Westen“ mit Winnetou 1 bis 3. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man sich exzellent unterhalten und weitere Bände kaufen.
Weiters ist ein Besuch im Karl May-Museum in Radebeul lohnenswert, dem ehemaligen Haus des Schriftstellers mit vielen vertrauten Exponaten (u.a. von May in Auftrag gegebene „Nachbauten“ der legendären Waffen) und der Originalbibliothek und Jagdtrophäen.
Und schließlich muss auf eine Verfilmung aufmerksam gemacht werden, die im Gegensatz zu den genannten Kino-Produktionen, sehr nah am Original ist und mit einer Reihe damals namhafter deutscher Schauspieler der 70er Jahre aufwarten kann. Heute sind dazu zwei Staffeln mit den damaligen TV-Folgen erhältlich.
Abschließend ist zu sagen, dass immer noch stimmt, was Arno Schmidt 1955 über Karl May schrieb: "Der bisher letzte Großmystiker unserer Literatur."


Karl May Gesellschaft (Sekundärliteratur und kostenlose Volltexte)
Karl May Museum (Radebeul bei Dresden)
Karl May Verlag
TV-Serie des Orient Zyklus