Das neue Jahr ist nicht einmal eine Woche alt und schon sorgen einige Vorfälle für Schlagzeilen, bei denen Schusswaffen zum Einsatz kamen: In Salzgitter schoss Rentner Ali K. (68) auf ein zwölfjähriges Mädchen, das nur durch eine Notoperation gerettet werden konnte, in Beckingen erschoss der 64jährige Ernst S., ein angesehener Lokalpolitiker (SPD), seinen 29jährigen Sohn bei einem Streit, in Stadtallendorf zog ein Mann bei einem Ehestreit einen Revolver und schoss in die Luft und in Berlin bedrohten gleich mehrere Männer Feuerwehrleute im Einsatz mit Schusswaffen. Der Aufschrei über die hier offensichtlich werdende Verfügbarkeit illegaler Waffen blieb jedoch aus.
Diese vier Fälle weniger Tage, die immerhin zu einem Todesopfer, einer Schwerverletzten und einer Reihe möglicherweise traumatisierter Personen führten, haben eins gemeinsam: Sie wurden alle mit mutmaßlich illegalen Waffen begangen.
Ich habe eine ganze Menge Medienberichte der letzten Woche durchgesehen: Sachlich und nüchtern werden die Tatumstände von den Medien berichtet. Kein Generalverdacht wird geäußert, keine systematischen polizeilichen Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Waffenbesitzes und Handels werden gefordert und es wird nicht nach dem Gesetzgeber und Strafverschärfungen geschrien. Auch entsprechende Forderungen von Politikern oder Behördenvertreter habe ich in diesem Zusammenhang nicht im Netz gefunden.
Wie anders würde die Lage aussehen, wenn alle diese Fälle von Legalwaffenbesitzern begangen worden wären? Wie schnell würde man Forderungen selbst obskurer anti-Legalwaffen-Initiativen sogar in sogenannten "Qualitätsmedien" entdecken? Wie viele ungenaue und irreführende Legalwaffenstatistiken solcher "Experten" würden zitiert werden? Wie schnell würde es Initiativen von Behörden und Politik geben und wie weitreichend würden diese sein? Nun, erfahrungsgemäß würde einiges davon nicht lange auf sich warten lassen.
Mich stört das und ich recherchiere weiter: Was sagen eigentlich Statistiken über die Deliktrelevanz von illegalen Waffen im Verhältnis zu der legaler Waffen? Nicht viel. Leider.
Das Bundeslagebild Waffenkriminalität für 2016, das das Bundeskriminalamt herausgegeben hat, unterscheidet diese beiden Waffenarten nicht. Allgemein heißt es darin beispielsweise: "Dabei unterscheidet die PKS [polizeiliche Kriminalitätsstatistik] zwischen den Begehungsweisen 'mit Schusswaffe gedroht' und 'mit Schusswaffe geschossen'. Mit einer Schusswaffe gedroht ist dann zu erfassen, wenn sich wenigstens ein Opfer subjektiv bedroht fühlte (auch z. B. durch eine Spielzeugpistole). Im Jahr 2016 wurden insgesamt 9.967 Straftaten unter Verwendung von Schusswaffen registriert (+10,7 %). Der Wert liegt knapp über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre (9.895)." Man sieht, dass bei der Bedrohung mit Schusswaffen nicht einmal Spielzeug- oder Schreckschusswaffen herausgerechnet werden. Schade.
Es allerdings zahlreiche Stimmen aus Wissenschaft und Praxis, die deutliche Hinweise darauf geben, dass legaler Waffenbesitz nicht kriminalitätsrelevant ist. Aber warum werden diese nicht laufend aktualisiert (und veröffentlicht!), in Medien zitiert und im Zuge aktionistischer politischer Debatten zu Rate gezogen? Sind einige Verantwortliche auf dem "Auge" Legalwaffenbesitz "blind", weil gar kein Interesse daran besteht, die aktuelle Kriminalitätsrelevanz legaler Waffen darzustellen?
In Deutschland sind im Nationalen Waffenregister (Stand Ende 2016) Informationen zu rund 1,7 Millionen Personen und rund 6 Millionen legalen Schusswaffen gespeichert. Die FAZ schätzt hingegen rund 20 Millionen illegaler Waffen. Unglaublich eigentlich ein solches Zahlenverhältnis. Und unglaublich, dass kein Aufschrei durch Medien, Politik und Bevölkerung geht, die Existenz dieser möglichweise 20 Millionen Waffen (die wohl bestimmt nicht als Sportgerät, zur Jagd oder zur Erhaltung ihres kulturhistorischen Wertes im Rahmen einer Sammlung angeschafft wurden!) dringend zu bekämpfen. Aktionen wie die Möglichkeit zur Amnestie für illegalen Waffenbesitz halte ich übrigens für nicht nachhaltig zielführend, denn welcher Amokläufer, Terrorist oder Kriminelle trennt sich schon von seinem Tatmittel?
"Vergessen" wird von vielen Diskursteilnehmern auch: Legale Waffenbesitzer werden nicht nur hinsichtlich ihres Bedürfnisses (in der Regel Jagd, Sportschießen oder Sammeln kulturhistorisch relvanter alter Waffen), sondern auch in Bezug auf ihre Eignung behördlich überprüft. Sie können anlasslos hinsichtlich der Aufbewahrung von Waffen und Munition aufgesucht werden. Ungeeignet für einen legalen Waffenbesitz sind nicht nur z.B. Kriminelle, Drogensüchtige und Alkoholiker. Schon die Zugehörigkeit zu einer Szene (z.B. Rockermilieu oder sogenannte "Reichsbürger") oder eine Verurteilung ab bestimmer Grenzwerte können ausreichen, um legale Waffen entzogen oder gar nicht erst eine Waffenerlaubnis zu bekommen. Illegale Waffenbesitzer können naturgemäß nicht überprüft werden ...
Warum, so frage ich mich, kann man den Eindruck bekommen, populäre und oft genug populistische Forderungen gegen legale Waffenbesitzer stehen schneller auf der Agenda, als Taten wirklich komplett kriminalistisch, juristisch und vor allem wissenschaftlich aufgearbeitet sind, während Taten mit illegalen Waffen scheinbar oft keine solchen Folgen haben?
Spielt der Einfluss von Waffengegnern eine Rolle, für die legale Waffenbesitzer schlicht "greifbarer" sind, als illegale (welche Terroristen, Kriminelle oder Amokläufer sind schon im Vorfeld polizeilich oder gar öffentlich bekannt?)?
Ist es die Komplexität des Themas, die Medien schlicht überfordert, die manchmal nicht einmal Waffenbesitzkarte von Waffenschein unterscheiden und mit dem Rechtsbegriff der "Kriegswaffe" nichts anfangen können?
Oder ist es eine, bei einigen Akteuren des öffentlichen Diskurses vorhandene diffuse Waffenangst oder eine andere, möglicherweise irrationale Einstellung, die alle diejenigen ablehnt, die Waffen für irgendeinen Zweck besitzen wollen, auch wenn er vom Gesetzgeber ausdrücklich gebilligt wird?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass jedweder Diskussion um die Gefährlichkeit von Waffen eines gut tun würde: eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Fakten und eine nüchterne und distanzierte Analyse. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wieder die nächste Legalwaffendiskussion ausbricht.