Kinder und (Spielzeug-)Waffen. Erfahrungen einer Mutter

Die spektakuläre Berichterstattung über Amokverbrechen von Jugendlichen, insbesondere so genannten School Shootings, und die Sprachlosigkeit von Medien und Experten zu den Ursachen verunsichern offensichtlich Eltern von Kindern, die mit Spielzeugwaffen spielen. Nicht nur zwei Artikel in Elternzeitschriften, sondern auch eine Reihe von Fragen in Familienforen im Internet zeugen davon. Das wenig überraschende Ergebnis: Kinder dürfen mit Spielzeugwaffen spielen. Ich denke, diese Problematik gewinnt durch ein paar Erfahrungen „aus dem wirklichen Leben“.


Schädigung durch „echte“ Legalwaffen im Haus?
Selbstverständlich dürfen Kinder nicht mit echten Waffen spielen oder Zugriff auf sie bekommen. Nicht nur, weil es gesetzlich verboten ist, sondern schon deshalb, weil Waffen Werkzeuge sind, die einen vorsichtigen und sorgfältigen Umgang erfordern, zu dem Kinder nicht in der Lage sind. Wenn Waffen im Haus sind, versteht sich, dass nur der Berechtigte zu ihnen Zugang hat.
Grünen-Chefin Claudia Roth irrt dramatisch, wenn sie meint, die Existenz von insbesondere Schusswaffen im Elternhaus würde Kinder beeinträchtigen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Normalität privaten Legalwaffenbesitzes nimmt bei korrektem Umgang damit dem Thema Waffen meistens jeglichen Reiz. Wenn Vater oder Mutter jagen und die Kinder auch schon Mal einen Blick – aus der Entfernung versteht sich – auf ein Jagdgewehr genommen haben oder in einer Jagdzeitschrift oder einem Katalog geblättert haben, sind Jagdwaffen für sie normal und unspektakulär. Sie sind meistens schon deshalb nicht erstrebenswert, weil ihnen das Verbotene und Geheimnisvolle fehlt.
Erfahrungsgemäß kann Kindern leicht klar gemacht werden, dass Waffen potenziell gefährlich sind und ausschließlich von dem erwachsenen Waffenbesitzer berührt werden dürfen. Waffen, die der Erwachsene mit zur Jagd nimmt, wieder mitbringt, reinigt und wegschließt, sind für die meisten Kinder genau so langweilig, wie das Wildbret oder das Geweih. Oder wie die Angel, die man auch nicht anfassen darf, weil sie zerbrechlich ist und man sich an den Haken verletzen kann.
Die in Deutschland zu Unrecht viel geschmähte National Rifle Association (NRA) schlägt in einem Elternprogramm in ganz ähnlicher Weise vor, das Thema Waffen offen anzusprechen und zwar schon, wenn das Kind sich für Spielzeugwaffen interessiert. Ziel ist es dabei ebenfalls das Geheimnisvolle und Besondere zu zerstören: „There is no particular age to talk with your child about gun safety. A good time to introduce the subject is the first time he or she shows an interest in firearms, even toy pistols or rifles. Talking openly and honestly about gun safety with your child is usually more effective than just ordering him or her to ‘Stay out of the gun closet’, and leaving it at that. Such statements may just stimulate a child's natural curiosity to investigate further. As with any safety lesson, explaining the rules and answering a child's questions help remove the mystery surrounding guns.”

Desinteresse an Waffen - Eigene Erfahrungen
Beim Tag der offenen Tür bei der Polizei, den wir mit der Familie besuchten, gab es allerlei zu sehen, vor allem echte Polizisten und ihre Ausrüstung. Ein Polizist erklärte einer Gruppe von Kindern, was er alles am Koppel mit sich trug. Erstaunlicherweise zeigte er auch seine Pistole vor. Meinen Fünfjährigen interessierte die Pistole überhaupt nicht. „Wir haben selbst eine“, sagte er. Er wollte die Handschellen und das Funkgerät sehen und anfassen. Beides kannte er nicht. Weil nur der Polizist so ein Fesselwerkzeug und ein merkwürdiges Kommunikationsmittel hatte, war er davon fasziniert. Meine ältere Tochter hingegen interessierte sich weder für die Dienstwaffe noch für die restliche Ausrüstung. Auf dem Polizeimotorrad sitzen wollten jedoch beide.
Am Tag der offenen Tür einer Kaserne betrachteten beide ähnlich gelangweilt die ausgestellten Infanteriewaffen. „Nicht vor der Mündung stehen“, wies eines der Kinder einen Soldaten zurecht. Die Unterweisung in die Gefährlichkeit von Waffen hatte gefruchtet. Aber sonst? Soldaten in Uniform kannte man von zu Hause. Klar haben die auch Waffen. Irgendwelche Gewehre und Pistolen waren also unspannend. Anders war es mit dem ferngesteuerten Kleinstroboter zur Entschärfung von Sprengladungen und erst recht mit dem Feuerwehrauto, in das man sich sogar reinsetzen durfte. Beides erfuhr intensive Aufmerksamkeit.
Die beiden Söhne meiner Kusine (zu diesem Zeitpunkt 12 und 14) kannten keine Waffen und durften auch nicht mit Spielzeugwaffen spielen. Sie durften mit nichts spielen, das irgendeinen Gewaltbezug hatte und erhielten statt dessen „Schulungen“ ihrer grün engagierten Mutter über die Schändlichkeit von Waffen. Wenn sie alleine bei ihrer Großmutter waren, mutierten beide augenblicklich zu unausstehlichen Rabauken, die stundenlang Krieg spielten und sich beim kleinsten Anlass prügelten. Irgendwoher mussten sie sich Kenntnisse über Kampfhandlungen verschafft haben, denn ich beobachtete sie, wie sie Tennisbälle als Handgranaten in den Schuppen schleuderten und mit einer aus einem zersägten Besenstiel gebastelten Maschinenpistole „schossen“.

 Spielzeugwaffen? Was meinen Elternzeitschriften?
Die Zeitschrift „Eltern“ gibt ganz zutreffend mein Beispiel wieder. Dort heißt es: „’Ich schieß dich!’ Wenn Eltern kleiner Jungs Sätze wie diese hören, erschrecken Eltern. … Die erste Reaktion der meisten Eltern: Pfeil und Bogen, Schwert und Schild, Pistolen und Gewehre werden verboten. Meist mit mäßigem Erfolg: Dann werden eben Äste zu Pistolen geknickt und Kanonen aus Lego gebaut“.
Das Blatt konsultiert einen Kinderpsychologen, der meint „’Gerade für Jungs haben Spielzeugwaffen eine wichtige Funktion. Sie sind ein Medium der Auseinandersetzung.’“ Er findet deshalb „die Bewaffnung im Kinderzimmer nicht schlimm“. (Spielzeug-)Waffen würden Kindern helfen, mit Aggressionen umzugehen, die eigene Rolle zu finden“. (Spielzeug-)Waffen würden das Kind erleben lassen, „dass man den Räuber, den Angreifer, den Wolf neutralisieren kann.“
Von dem Unwort „neutralisieren“ abgesehen, muss ich ihm zustimmen. Als mein Sohn kleiner war, litt er wie viele Kinder beim ins Bett gehen und nachts unter diffusen Ängsten vor Monstern und Drachen (obwohl er natürlich keinen Zugang zu derartigen Filmen oder Bildern hatte). Diese Ängste konnte man ihm nicht durch rationale Maßnahmen nehmen. Wirkungslos waren z.B. Erklärungen, dass es keine Monster gibt, der Verweis auf die starken Türschlösser oder das Ableuchten des Hofes mit einer starken Taschenlampe, während er vom Fenster aus zusehen konnte. Wenn er hingegen sein Cowboy-Kostüm anhatte, zu dem selbstverständlich ein Spielzeugrevolver in einem Holster gehörte, hatte er das Gefühl sich wehren zu können. Er legte seine Cowboy-Ausrüstung nachts auf einen Stuhl vor sein Bett, um sie „notfalls“ rasch zur Hand zu haben. Über sein Bett wünschte er sich ein Poster von Old Shatterhand, der ihn „nachts beschützen“ sollte.
Der Psychologe führt weiter aus, Kinder „trainieren die Rolle des Siegers und des Unterlegenen und üben, mit Frust und Gewalt umzugehen - ohne dass es Konsequenzen hat. … ‚Kinder, die sich im Spiel ausreichend mit ihren - auch negativen - Impulsen beschäftigt haben, können Frust leichter bewältigen’.“ Auch hier bin ich aus meiner Erfahrung geneigt, dem Psychologen zuzustimmen. Obwohl meinen Kindern ausreichend viele „bewaffnete“ Playmobilfiguren und sogar (Gott sei bei uns!) Spielzeugsoldaten zur Verfügung standen, spielten sie selten damit Kampfhandlungen. Selbst schwer bewaffnete Playmobilfiguren, deren kleine Schwerter, Gewehre und Pistolen liebevoll in kleine Schränke verstaut wurden, schliefen, aßen oder feierten weit öfter, als sie kämpften.
Insofern kann ich den Kinderpsychologen verstehen, der sagt, es bringe nichts, Waffen zu verdammen, denn „Das macht die Waffe als solche erst zum Thema.“ Und wir verfahren zu Hause ganz wie er weiter empfiehlt: „Spielzeugwaffen sollten nicht zu realistisch sein. Statt des originalgetreuen MGs tut es auch eine Holzpistole. Außerdem braucht es Regeln: Waffen – egal, ob Astgabel oder Plastikrevolver – gehören nicht ins Gesicht, niemand darf ver-letzt werden, und ‚Spielstopp’ heißt tatsächlich ‚Stopp’“. Ihm sekundiert ein anderer „Kinderexperte“ (der ausgerechnet Peter Struck heißt): „Verbote bringen dagegen wenig - sie machen Waffen eher interessanter.“

Waffen = männlich?
Was mir bei den Ausführungen des Psychologen nicht gefällt, ist die Fixierung auf Jungen. Da heißt es: „Jungen erleben Frustration stärker als Mädchen. ‚Sie werden vom Durchsetzungsprinzip gelenkt. Wer nicht gewinnt, verliert’, … In einer Welt, in der der Mann vielen noch immer als der Beschützer der Familie gilt, sind kämpferische Cowboys und mutige Ritter willkommene Vorbilder. … Jungs haben ein großes Bedürfnis nach körperlichem Kräftemessen.’“. Meine Kinder wissen, dass ich als Frau ebenfalls mit einer Pistole umgehen kann und auch eine besitze. „Mama hat eine Pistolenausbildung“ stellten sie im Grunde uninteressiert fest, als ich deswegen einen Tag abwesend war und sie das lang ersehnte „Papa-Wochenende“ genossen. Warum sollten sie von der falschen Annahme ausgehen, dass Waffen Männersache sind?
Wenn sie Wildwest spielen, gibt es selbstverständlich eine „Cowboyrin“, einen weiblichen Cowboy, und wenn sie eine Playmobillandschaft aufbauen, und Piraten oder andere bewaffnete Figuren der Elfenwelt oder Tierklinik zu nahe kommen, wird diese selbstverständlich bewacht. Meine Tochter korrigierte Rollenklischees, die ihr begegnen. Als sie älter war, durfte sie einen Winnetou-Film sehen. Winnetou hat sich ihre Sympathie sofort verscherzt, als er zu einer Indianerin sagte, er sähe nicht gerne Waffen in Frauenhänden. „Frauen können auch kämpfen“, kommentierte sie und fand im weiteren Verlauf des Filmes zahlreiche „Fehler“ Winnetous beim Anschleichen oder Bekämpfen der Verbrecherbande, so als wolle sie beweisen, was man als Mann doch alles auf diesem Gebiet falsch machen könne.
Der von „Eltern“ bemühte Kinderexperte Struck erklärt deshalb zutreffend: „Das Interesse an Waffen ist kulturell gemacht und nicht, wie man vermuten könnte, eine Sache der Gene.“ Allerdings meint er: „Väter rangeln und balgen gern mit ihren Söhnen und erwarten von ihnen Mut, Risikobereitschaft und Stärke.“ Mein Mann tobt mit Töchtern und Sohn und natürlich erwarten wir auch von den Mädchen Mut und Stärke.

Unterscheidung echt vs. Spielzeug
In einem anderen Artikel in „Eltern“, findet ein Vater es zwar „doof“, dass seine Söhne mit Waffen spielen, aber er erlaubt es ihnen. Ähnlich unqualifiziert wie das Adjektiv „doof“ bei einem Erwachsenen finde ich die Gleichsetzung von „Waffen“ mit „männlich“ („Die meisten Mädchen finden Waffen doof. Die meisten Jungs sind da ganz anderer Meinung.“). Der Mann gestattet einem Jungen von 15 den Umgang mit Softairwaffen („Es verschießt kleine Plastikkügelchen und ist harmlos. Aber es sieht sehr gefährlich aus.“). Damit verletzt ausgerechnet dieser erklärte „Kriegsdienstverweigerer“ meiner Meinung nach ein Tabu (und geltendes Recht). Bei uns zu Hause gibt es einen sichtbaren Unterschied zwischen echten Waffen und Spielzeugwaffen. Spielzeugwaffen sehen anders aus (farbig) und schießen selbstverständlich nicht, auch nicht mit „harmlosen“ Plastikkügelchen. Jedes Schießen ist meiner Meinung nach eine ernsthafte Angelegenheit und sollte auch ernsthaft betrieben werden und zwar auf einem sicheren Areal und mit Sicherheitsregeln und wenn es altersmäßig zulässig ist. Selbst bei unseren Spielzeugwaffen war klar, dass man nicht auf einander zielte. Im Wald konnte man fiktive „Wildschweine“ oder „Hirsche“ schießen oder auch bärtige Verbrecher (so stellten die Kinder sie sich vor).

Auch eine Pädagogin verfällt in ihrer Abschlussarbeit in den Irrglauben, Spielzeugwaffen dürften oder müssten sogar besonders realistisch aussehen: „Reizstarke Farben und veränderte Waffenformen sollen die Identifikation der Waffe als solche erschweren und von einem Gewaltpotential ablenken“, schreibt sie. Diese ‚getarnten Waffen’ repräsentieren derzeit herrschende Auffassungen der Kriegs- und Gewaltmoral.“ Diese These gehört in den Bereich „Verschwörungstheorie der Spielzeughersteller“.

Und der „Kriegsdienstverweigerer“ vermischt nicht nur verbal echte Waffen mit Spielzeugwaffen („Und wenn ich meinen Söhnen den Umgang mit Waffen verbiete, tun sie es vielleicht heimlich. Dann reden wir lieber offen darüber!“) und erweist seinen Kindern damit meiner Meinung nach einen Bärendienst. Aber das ist nicht das einzige, was er nicht weiß. Er schreibt: „Wahrscheinlich … ist es ein archaisches Erbe, dass Männer Waffen lieben, sogar dann, wenn sie noch gar keine Männer sind. In der Evolutionspsychologie erklärt man das so, dass Männer ganz, ganz früher dafür zuständig waren, Fleisch in die Steinzeithöhle zu schaffen … Aber Emil [der 15jährige] erlegt keine Mammute. Er isst Fischstäbchen und Schnitzel und die gibt’s im Supermarkt und beim Metzger.“ Neben der penetranten Männlichkeitsbetonung (ich könnte fast glauben, dass der friedensbewegte Autor heimlich stolz ist, dass seine Söhne so „harte Kerle“ sind, vielleicht gerade, weil er selbst „den Dienst an der Waffe“ vermied) kauft er natürlich seine Nahrung ohne Reflektion über ihre Herkunft. Kann er seinen Söhnen erklären, dass Wild gejagt und erlegt, Fische gefangen und getötet und Nutztiere geschlachtet werden, oder werden sie Fisch nur als konturlose Stäbchen kennen lernen und Fleisch als fertig panierte Substanz?

Helden und Krieg spielen
Der Psychologe von „Eltern“ verweist zu recht darauf, dass Kinder-Helden zu allen Zeiten bewaffnet waren: ‚Kinder kompensieren ihre eigenen Schwächen mit Figuren, von denen sie sich ein Stück Stärke holen.’ Und ob Siegfried oder Lucky Luke - wahre Helden besaßen zu allen Zeiten Waffen.“ Allerdings drücken moderne „Kinder-Helden“ im Fernsehen Gewalttätigkeit nicht nur durch Waffen aus. Anders als der stets durch Klugheit siegende Wicki beinhalten modernere Kinderprogramme meiner Beobachtung nach mehr Gewalttätigkeit als die älteren. Auch deshalb spielt der Fernseher bei uns keine große Rolle, und wenn etwas angesehen werden darf, z.B. am Wochenende, dann viel häufiger ein Kinderfilm auf DVD.

Interessanterweise nehmen einige Experten und Autoren eine meiner Meinung nach ideologiebedingte Trennung von „guten“ und „bösen“ Spielzeugwaffen vor. Alles, was historischen Kontexten, Berufskontexten aus dem Alltag oder Science Fiction-Welten entspringt (Wild West, Ritter, Piraten, Polizist und Verbrecher sowie kommerzielle Figuren wie Power Rangers, Ninja Turtles oder He-Man) gehört tendenziell eher zu den guten. Spielzeug, das mit Soldaten oder Jagd zu tun hat, eher zu den schlechten. Die Tatsache, dass Tod und Verwundung im Mittelalter oder durch Kriminalität nicht besser oder schlechter sind als moderne Kriegs- oder Gewaltphänomene gibt Anlass zu der Vermutung, dass diese Einteilung auf der Ideologie der Eltern beruht.
Aber dies ist kein neues Phänomen. Offenbar gab es bereits in den 50er Jahren Diskussionen im Bundestag, ob man Kriegsspielzeug verbieten soll, weil es mitauslösend für den Zweiten Weltkrieg gewesen sei. Ein Antrag der CDU (die wenig später die Wiederbewaffnung der Deutschen einleitete), Kriegsspielzeug zu ächten, wurde 1950 angenommen.
In der Elternzeitschrift von heute heißt es ganz ähnlich: „Bei Kriegsspielzeug hört für viele Eltern aber der Spaß auf: Originalgetreue Modelle von Panzern und moderne Soldaten erinnern an die echten Kriege und Tragödien, von denen wir täglich in den Nachrichten erfahren. Die meisten Spielzeughersteller sehen das genauso und verzichten freiwillig auf den Verkauf von Kriegsspielzeug. Bei den Firmen Geobra (Playmobil) und Lego beispielsweise haben bereits die Firmengründer festgelegt, dass Kriegsspielzeug aus ethischen Gründen nicht ins Programm kommt.“ Diese Beschreibung ist natürlich inkonsequent und unaufrichtig: Erstens ist Krieg kein Phänomen der Neuzeit, zweitens ist der Charakter einer bewaffneten Auseinandersetzung im Mittelalter kein grundlegend anderer als heute und drittens geht es meiner Überzeugung nach den Herstellern mitnichten um Pädagogik, sondern eher um Verkauf unter den geänderten Bedingungen einer modernen Gesellschaft. Der neue Playmobil SEK-Polizist mit ballistischer Weste, Helm, Pistole und Präzisionsgewehr mit Lichtmodul eignet sich natürlich genau so, um Töten zu spielen, wie die Lego-Steine, mit denen man (das macht gerade ihren Reiz aus) alles nachbauen kann – Panzer, Festungen und Burgen – und für die es Ritter und bewaffnete Science Fiction-Figuren als Zubehör gibt.

Resümee: Was mache ich?
In der Internetbefragung von „Eltern“ erklärten rund 32 Prozent der 151 Befragten, dass ihre Kinder bei jeder Gelegenheit mit Waffen spielten, 50 Prozent erklärten, das sei zeitweilig der Fall und nur bei 18 Prozent spielen die Kinder (nach Wissen der Eltern!) nie mit Waffen.
Offenbar stimmen Elternmedium und wissenschaftliche Literatur darin überein, dass das Spielen mit Spielzeugwaffen kein Problem darstellt, sondern normal ist: Jedenfalls heißt es da: „Für Eltern müssen die Waffengänge ihrer Jungen noch lange kein Grund zur Sorge sein: Erstens gehört das Spiel mit Macht und Gewalt nach Meinung von Wissenschaftlern zur Entwicklung eines Kinds einfach dazu. Und zweitens ebben die hoch dramatischen Kampf-Phasen in der Regel nach einigen Monaten von ganz alleine ab. … Bis heute gibt es keinen Beweis dafür, dass diese Spiele für die weitere Entwicklung von Kindern irgendwie gefährlich sind.“
Bei der Pädagogik heißt es: „Abschließend kann also festgehalten werden, dass Kriegsspielzeug und Waffen das Auftreten unangemessener, aggressiver Verhaltensweisen kurzfristig verstärken, sie aber letztlich nicht verursachen. … Waffen als Objekte lösen nur in Verbindung mit beobachteten Verhaltensweisen möglicherweise Aggressionen aus. Waffenspiele können Aggressionen binden und zu einer momentanen Entspannung beim Kind führen.“
Ich habe für mich entschieden, Kindern deshalb Spielzeugwaffen nicht vorzuenthalten, wenn sie diese wünschen. Das gilt schon aufgrund der Konkurrenzsituation in Kindergarten und Schule oder im Freundeskreis. Das mag für andere Eltern und andere Situationen anders sein – so wie alle meine persönlichen Betrachtungen selbstverständlich anderen Eltern nicht die Verantwortung und eigene Schlussfolgerungen abnehmen sollen.

Ich stimme dem Kinderpsychologen zu, der im Gegensatz zu Spielzeugwaffen gewaltverherrlichende Computerspiele ablehnt „’Hier sollen Eltern ganz klar einschreiten’, rät Michael Thiel, Kinder- und Jugendpsychologe in Hamburg. ‚Diese Ballerspiele sind gewaltverherrlichend. Bei ihnen steht nicht der Spieleffekt im Vordergrund, sondern das Töten’, warnt Thiel.“ Ergänzend bin ich der Meinung, dass nicht nur Gewalt verherrlicht wird, sondern auch Kriminalität und Anarchie – lesen Sie nur die Beschreibung des Computerspiel-Klassikers „Grand Theft Auto“.

Komplett ausblenden kann man auch die Gewaltdarstellungen im Fernsehen, im Internet oder auch im öffentlichen Raum, z.B. durch entsprechende Werbung, nicht. Ich bin deshalb dem Rat der NRA gefolgt und habe den Kindern erklärt, wie die Darstellung von Waffen und Kampfhandlungen dort zu verstehen ist und, dass sie wenig mit der Wirklichkeit gemein hat. Die NRA sagt: „It is also advisable, particularly with very young children, to discuss gun use on television as opposed to gun use in real life. Firearms are often handled carelessly in mov-ies and on TV. Additionally, children see TV and movie characters shot and ‘killed’ with well-documented frequency. When a young child sees that same actor appear in another movie or TV show, confusion between entertainment and real life may result. It may be a mistake to assume that your child knows the difference between being ‘killed’ on TV and in reality.”

Ebenfalls stimme ich der Meinung zu, dass bei der spielerischen Darstellung übermäßiger Gewalt hinterfragt werden muss, ob das Kind nicht in seinem außerfamiliären Umfeld Gewaltopfer ist und diese Situation spielerisch zu bewältigen versucht (die innerfamiliäre Situation kenne ich schlueßlich). Zum Glück habe ich dies bisher nicht erleben müssen. Mit einer Ausnahme: Offensichtlich können auch traumatisierende Erlebnisse, die nicht gewaltgeprägt sind, durch Gewalttätigkeit kompensiert werden. Auch wenn das Beispiel das „Scheidungskind-Klischee“ wiedergibt: Ein Freund meiner Kinder, der durch außergewöhnliche Aggressivität auffiel, die bis hin zum Verletzen anderer Kinder mit einem Spielzeugmesser oder Stöcken reichte, benötigte mehrere Jahre nach dem Scheidungserlebnis, das wie man mir versicherte ohne Gewalttätigkeit und auch weitgehend ohne böse Worte ablief, bis er zu einem einigermaßen normalen Spielnachmittag in der Lage war. Nach jedem Zusammentreffen mit seinem Vater, erlebte er in seinem Sozialverhalten einen heftigen Rückschlag, der einige Tage andauerte. Nebenbei bemerkt, verblaßte das Image dieses "harten Burschen" etwas, als sich das Kind bei einer Schnitzeljagd von einem Mädchen führen lassen mußte, das wußte, was Spuren sind und wie man mit offenen Augen für viele kleine Zeichen durch die Natur geht. Wo hatte sie das wohl gelernt?

Im Falle privaten Legalwaffenbesitzes oder Dienstwaffenbesitzes halte ich es für selbstverständlich, alle gesetzlichen Auflagen strengstens zu erfüllen (insbesondere die sichere Aufbewahrung betreffend), Kindern darüber hinaus klar verdeutlichen, dass ausschließlich der Waffenbesitzer Zugriff auf seine Waffen hat und im Übrigen das Thema so unspektakulär und natürlich wie möglich zu behandeln. Insbesondere im Kontext der Jagd mit all ihren Facetten von der Tierbeobachtung über die Hege bis hin zur Verwertung des Wildbrets besitzt der Teilaspekt Jagdwaffe wenig besondere Bedeutung. Zum Thema Verantwortung, sich über die aktuelle Gesetzeslage inklusive möglicher Änderungen zu informieren schreibt die NRA: „It is the individual gun owner's responsibility to understand and follow all laws regarding gun purchase, ownership, storage, transport, etc. Contact your state police and/or local police for information regarding such laws. … Store guns so that they are inaccessible to children and other unauthorized users.” Allerdings muss ich sagen, dass ich bei der Kreispolizeibehörde nicht immer eine erschöpfende Auskunft bekomme, wenn ich dort eine konkrete waffen- oder sprengstoffrechtliche Frage stelle. Aber dann hat der Bearbeiter für mich versucht nachzuschlagen und wenn das nichts half, wurde mir wenigstens sinngemäß gesagt, dass man diesen oder jenen Spezialfall nicht kenne und deshalb das Vorgehen X oder Y empfehle, um auf der sicheren Seite zu sein.

Schließlich finde ich, darf die Aufmerksamkeit gegenüber echten und Spielzeugwaffen nicht dazu führen, die heute erhebliche reale Gewalt nicht ernst genug zu nehmen, insbesondere in der in Deutschland alltäglichen Ausprägung des Mobbing in der Schule (unter dem rund jeder dritte Schüler leidet) sowie der Straßengewalt. So ist allein bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung mit Opfern im Alter von 6 bis 14 Jahren in den letzten 20 Jahren kontinuierlich eine dramatische Zunahme zu verzeichnen (1989: 1.119 Fälle und 2008 5.503 Fälle). Bei den Jugendlichen ist bei höheren Zahlen die gleiche Entwicklung festzustellen (1989: 3.018 Fälle und 2008: 16.642 Fälle). Diese Zahlen aus der polizeilichen Kriminalitätsstatistik bestätigen den Eindruck, den man nach Medienberichten spektakulärer Fälle ernsthafter Gewalt unter Jugendlichen gewinnt. Dazu zählen die anlasslose Ermordung eines jugendlichen Discobesuchers in Hamburg im Mai 2010 oder die Ermordung von Dominik Brunner, der Kindern zur Hilfe kommen wollte, die sich einer Erpressung durch Jugendliche ausgesetzt sahen. Für alle diese Fälle verstellt die Hysterie aus Anlass der extrem seltenen School Shootings den Blick. Mich macht die Situation für meine Kinder besorgt. Und natürlich kann ich auch nicht für jeden Discobesuch einen sicheren Transport organisieren oder das Ausgehen komplett verbieten. Mich stört sehr, dass sich zu diesem Thema keine „Aktionsbündnisse“ oder kirchlichen Stiftungen bilden, dass es in den Medien nicht stattfindet (außer in wenigen Extremfällen, meist mit der gefährlichen Aufforderung verbunden, Zivilcourage zu zeigen) oder sich in speziellen Erziehungsprogrammen in Kindergarten oder Schule niederschlägt. Im nachdrücklichen Fordern eines Einschreitens staatlicher Institutionen sollten sich mehr Eltern hervortun, als durch die Forderung nach einer diffusen Friedenserziehung oder dem überzogenen und kontraproduktiven Verbot von Spielzeugwaffen.

Die Verfasserin beschreibt ihre eigenen Erfahrungen und ihre Meinung und gibt ausdrücklich keine Ratschläge für andere Eltern oder Erzieher.


Quellen