Glaubensfrage? Bedeutung von Kleinkaliberwaffen für das Großkaliberschießen

Kleinkaliberschießen hat zweifellos seine Berechtigung. Aber wie geeignet ist Kleinkaliberschießen als Vorbereitung für das Schießen mit großen Kalibern? Dies scheint fast eine Glaubensfrage zu sein, wenn ich an das Gespräch mit einem sehr guten Freund zurück denke.

Ganz ähnlich verhält es sich mit Kurzwaffen. Zwar verfüge ich über eine Heckler & Koch USP in .40 Smith & Wesson, auf dem Kurzwaffen-Schießstand, den ich am meisten besuche, darf aber nur Kleinkaliber geschossen werden oder 9 x 19 mm Subsonic oder .38 Wadcutter. Ich kann mit meiner Waffe also dort nicht schießen und nutze eine 22 lfb-Vereinswaffe. Langsam habe ich mich das leichte Gewicht der Waffe gewöhnt und an den fehlenden Rückstoß, nach dem Erlebnis mit der Langwaffe frage ich mich allerdings, ob ich damit meiner Leistung mit der Großkaliber-Kurzwaffe einen Gefallen tue.
Ich bespreche diese Frage mit einem sehr guten Freund, einem ausgezeichneten Sportschützen. Er meint, er schieße gerne 22 lfb, denn erstens sei die Munition sehr günstig, zweitens könne man Abziehen und Visieren auch damit gut üben und drittens mache es ihm auch Spaß und man könne eben nicht überall und immer Großkaliber schießen. Man müsse das Gelernte eben auf Großkaliber übertragen können.
Er steht mit dieser Meinung nicht alleine. In vielen Armeen wird vor oder parallel zur Ausbildung mit dem großkalibrigen Sturmgewehr mit Kleinkalibergewehren geschossen. Die meisten deutschen Kasernen haben irgendwo dementsprechend einen KK-Stand. Ich selbst habe dies während meiner militärischen Ausbildung nicht erlebt. Wir haben den KK-Stand lediglich dafür benutzt, dort mit dem Gewehr G3 als Vorübung zum Schulschießen mit der so genannten „blauen Munition“ (Plastikgeschoß) zu schießen. Diese Munition verfügt u.a. über eine geringere Mündungsenergie als die normale Vollmantel-Munition und erinnert mich etwas an die so genannte Cineshot-Munition, die es für Schießkinos gibt. Ich habe diese Munition allerdings auch schon oft an normalen Schießständen gesehen. Diese Überlegung bringt mich auf eine weitere Fragestellung: Welchen Effekt hat es, nicht die normale Munition zu verschießen, sondern spezielle Übungsmunition mit geringerem Geschoßgewicht und geringerer Leistung? – Lassen wir bei der Verwendung der gleichen Büchse für Training und Jagd außer Acht, daß diese Munition andere ballistische Eigenschaften hat, als die normalerweise verwendete Jagdmunition und deshalb die Waffe neu eingeschossen werden muß. -


Wenn man die verschiedenen Übungsbesonderheiten – Kleinkaliber oder Munition mit verminderter Leistung – diskutiert, kommt man schließlich zu der Frage, ob man überhaupt immer mit Munition üben muß. Nicht nur die Bundeswehr führte vor dem Schulschießen eine Trockenübung mit verminderten Abmessungen durch, damit man sich an die Anschlagarten und den Ablauf gewöhnen konnte. Legendär ist die Anekdote aus Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, wo Dave Westerhout Soldaten der Rhodesian Defense Forces, die während der Unruhen unter dem Munitionsmangel des internationalen Boykotts litten zunächst schwerpunktmäßig ohne Munition trainierte. Man kann sagen, er stellte geradezu ein wissenschaftliches Experiment an, denn er trainierte eine Kontrollgruppe im Rahmen der normalen Schießausbildung mit Munition. Die Ergebnisse der Soldaten mit dieser vorangegangenen Trockenausbildung sollen signifikant besser gewesen sein, als die der nicht so vorbereiteten Soldaten wie Gabriel Suarez in seinem Buch „The Tactical Rifle“ berichtet. Suarez schlägt – allerdings als Vorbereitung für den taktischen Schußwaffeneinsatz – ein jeweils maximal 30-Minütiges Training vor und weist nachdrücklich auf die Sicherheitsbestimmungen dafür hin wie – generelle Sicherheitsüberprüfung aller Waffen, gesonderter Trainingsort für die Trockenübung, der frei von jeglicher Munition ist, Einhaltung aller üblichen Sicherheitsbestimmungen auch ohne Munition etc. Diese strenge Orientierung der Amerikaner an routinemäßigen Sicherheitsbestimmungen, die so gar nicht unserem Bild von den USA entspricht, hat der Verfasser dieses Beitrages selbst bei amerikanischen Soldaten erlebt und als extrem hilfreich gerade in unübersichtlichen Situationen empfunden.
Plausibel klingt auch die Erklärung, das „Muskelgedächtnis“ des Menschen präge sich bei entsprechender Übung Bewegungsabläufe ein, so daß man von diesen „gelernten“ Abläufen dann – in diesem Fall im scharfen Schubs – profitieren könne.


Meine instinktive Meinung zu diesen drei Möglichkeiten: Training für Großkaliber-Schießen mit Kleinkaliberwaffen, mit Munition mit verminderter Leistung oder gar ohne Munition ist eindeutig, aber ich bin natürlich – gerade beim Schießen – gerne lernbereit. Ich glaube nicht, daß es einen positiven Effekt hat, wenn man unter sozusagen künstlichen Bedingungen schießt, weil der positive Lerneffekt durch die Wirkung des großen Kalibers auf den Schützen (Waffengewicht, Waffenabmessungen, Lärm, Rückstoß) mehr als aufgehoben wird.
Ich bin jedoch bereit, diese erste Meinung selbst einzuschränken:
  • Je näher die Übungswaffe in kleinem Kaliber von ihren Abmessungen und ihrem Gewicht her der Großkaliberwaffe nahe kommt, desto größer dürfte der Übungseffekt sein (das wäre z.B. ein Grund für eine Großkaliber-Kurzwaffe mit Kleinkaliber-Wechselsystem, von denen es leider nicht viele gibt, schon gar nicht viele preisgünstige).
  • Wenn die Alternative aufgrund von Einschränkungen wie Kosten oder Erlaubnis heißt Kleinkaliber bzw. Munition mit verminderter Leistung oder gar nichts, ist es besser, das Kleinkaliber-Schießen bzw. die andere Munition in Kauf zu nehmen (z.B. regelmäßig Kleinkaliber-Stand und alle sechs Wochen Großkaliber-Stand gegenüber kein Kleinkaliber-Schießen und nur alle sechs Wochen Großkaliber-Stand).
  • Wenn nur Kleinkaliber oder Munition mit verminderter Leistung bestimmte Übungen ermöglichen (also z.B. das Drückjagd-Training im Schießkino mit Cineshot-Munition), hat beides ebenfalls seine Berechtigung.
In anderen Fällen bin ich auch nach sorgfältigem Nachdenken skeptisch, was den Wert von Kleinkaliber, Munition mit verminderter Leistung oder gar Training ohne Munition betrifft. Aber ich will mir nicht nachsagen lassen, dies zu sehr durch persönliche Erfahrung geprägt zu bewerten. Ich schlage in der Scharfschützen-Bibel „Ultimate Sniper“ von John L. Plaster nach. Er schreibt:


„Due to urban sprawl and a decline in nearby high-powered rifle ranges, some police snipers have acquired heavy barreled, small caliber rifles – such as .22 long Rifles or Hornady .17 caliber Magnum Rimfires – that offer good practice at 50-yard ranges. To be useful, such a training rifle must be of similar quality and heft to the officer’s normal sniper rifle. By no means can this substitute for regular, live-fire training with his duty weapon, but it does make it possible for the law enforcement sniper to get in more range time, and that’s unquestionably beneficial. Dem kann ich nur zustimmen.




Literatur
  • John L. Plaster: The Ultimate Sniper. Updated and Expanded. Boulder 2006.
  • Gabriel Suarez: The Tactical Rifle. The Precision Tool for Urban Police Operations. Boulder 1999.
Das Gespräch hatte sich ergeben, nachdem ich für meine Verhältnisse längere Zeit keine schwere Büchse geschossen hatte und dann mit meiner Mauser M03 in 300 Winchester Magnum auf den Schießstand gegangen war. Das Gewehr verfügt über einen schweren 65-cm-Matchlauf mit Rückstoßbremse, ein relativ schweres Glas und ein Zweibein und damit über ein Gewicht von 6 Kg. Zwar dämpft die Bremse den Rückstoß auf das Niveau einer .308 Winchester, aber sie macht den Mündungsknall etwas lauter und sorgt für einen Feuerball vor der Mündung. Für ein Gewehr im Kaliber 300 Win Mag ist diese Mauser wirklich angenehm zu schießen, aber es ist eben ein ganz anderes Gefühl, als ein viel kürzeres und leichteres Gewehr in .308, .223 oder ähnlichen Kalibern, geschweige denn von Kleinkaliberwaffen.