Ich besuchte im Juni 2018 etwa um die Jahreszeit, zu der damals gekämpft wurde das Schlachtfeld und kam abends zufällig an einem Gehöft vorbei, das genau so aussah wie eine Kulisse des berühmten Waterloo-Filmes aus den 70ern.
Dieses Gemälde von 1870 zeigt die Kämpfe (rechts im Bild das Haupttor des Gehöfts) |
Das Gehöft heißt La Haye Sainte und liegt an der Straße nach Brüssel. Es wird immer noch bewirtschaftet und ist eigentlich nicht zu besichtigen. Ich wußte das nicht und sah es mir am nächsten Morgen genau an.
Unweit des Gehöfts steht das Denkmal der King's German Legion (KGL), einer deutschen Formation, die zur britischen Armee gehörte (Personalunion der englischen Krone mit dem Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg bzw. Königreich Hannover) und von der ich auch noch nie gehört hatte.
Das Gehöft liegt äußerlich unverändert an der Straße nach Brüssel |
La Haye Sainte stand damals am linken Flügel Wellingtons und Hougemont, ein Schloß, eigentlich eher ein anderes Gehöft mit Herrenhaus, am rechten Flügel. Während Hougemont von schottischen Gardisten gehalten wurde, die von nassauischen Truppen unterstützt wurden, verteidigte im Wesentlichen die King's German Legion La Haye Sainte.
Insgesamt kämpften außer Niederländern, Flamen und Wallonen (den Staat Belgien gab es damals noch nicht) und natürlich Engländern, Schotten, Walisern und Iren vor allem Deutsche unter Wellingtons Befehl.
Nur die King's German Legion war dabei ein Bestandteil der britischen Streitkräfte und kein Alliierter. Sie wurde 1803 aus Soldaten der untergegangenen hannoverschen Armee gebildet, später auch aus Emigranten aus verschiedenen Teilen Deutschlands, die vor Napoleon geflohen waren und verfügte zu ihrer Hochzeit zwar um insgesamt 18.000 Mann, darunter Infanterie, Kavallerie und Artillerie, wurde aber nie als geschlossener Verband eingesetzt, sondern immer zusammen mit anderen britischen oder alliierten Truppenteilen. Ihre Heimatgarnison war Bexhill an der englischen Kanalküste. 1816, nach dem endgültigen Ende Napoleons, wurde die Legion aufgelöst.
Das 1815 schwer umkämpfte Haupttor von Innen gesehen |
Das 2. leichte Bataillon der KGL war von der Ausbildung und den Einsatzgrundsätzen her im Vergleich zur starren Linien-Infanterie ein unabhängiger operierender Jäger-Verband. Der Verband wurde zur Verteidigung dieses Gehöfts eingesetzt, das während des ganzen Tages der Schlacht von Waterloo immer wieder von einer großen Übermacht französischer Truppen angegriffen wurde.
Beide Gehöfte behinderten nicht nur das Vordringen der Franzosen, machten die französischen Truppen zwischen ihnen verwundbarer, sondern blockierten auch weitere Positionen, beispielsweise für französische Artillerie. Die Verteidiger von La Haye Sainte unter ihrem Führer, Major Georg Baring, waren als leichte Infanterie mit Büchsen mit gezogenen Läufen ausgerüstet, die zwar langsamer geladen werden konnten, aber präziser und weiter schossen als die glatten Läufe der Masse der Infanterie und deshalb u.a. gegnerische Offiziere und Artilleristen ausschalten konnten. Trotz der Übermacht wurde Hougemont, das man heute besichtigen kann, gar nicht und La Haye Sainte nur kurz eingenommen, als die KGL sich kurzzeitig daraus zurückziehen musste, weil sie keinerlei Munition mehr hatte. Am Ende waren von rund 400 Mann von Barings Bataillon nur 42 kampffähig. Der Rest war tot, schwer verwundet, gefangen genommen oder vermisst.
Der Löwenhügel erinnert an den Befehlshaber des niederländischen Kontingentes, den Prinzen von Oranien |
Der Historiker Brendan Simms (Cambridge) beschreibt in seinem äußerst empfehlenswerten Buch "Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo" nicht nur den genauen Ablauf dieses Schlachtausschnitts, sondern belegt auch, welch wichtigen und mit anderen Ereignissen schlachtentscheidende Bedeutung er hatte.
Darüber hinaus weist Simms darauf hin, dass Barings Verhalten, in aussichtsloser Situation den Rest der Männer, die ohne Munition und vielfach verwundet, nicht mehr lange hätten kämpfen können, durch ein Zurückgehen auf hinter dem Gehöft stehende Truppenteile zu retten, ein bis heute beispielhaftes Führungsverhalten sein kann. Eine viertel oder halbe Stunde längerer Widerstand wog in dieser Schlacht weniger, als die Verantwortung, ein sinnloses Opfer zu vermeiden, zumal die Männer weiter am Kampf teilnahmen und sich u.a. in die Karrees (meist rechteckige, geschlossene Infanterieformationen, die sich in alle Richtungen verteidigen konnten) einreihten, die den französischen Kavalleristen bei ihren stundenlangen wütenden Angriffen so erbitterten Widerstand leisteten, dass kein einziges aufgebrochen werden konnte - ein weiterer schwerwiegender Grund für die Niederlage Napoleons.
Die alte Garnisonsstadt Bexhill erinnert - anders als das heutige Deutschland - an die Kämpfe. |
Ein Besuch in Waterloo und eine Besichtigung seiner Museen und historischen Stätten lohnt sich in jedem Fall. Und wenn man dort ist, tut man gut daran, auch an die deutschen Legionäre zu denken, die als Freiwillige auch für die Freiheit Europas von napoleonischer Besetzung kämpften und heute vergessen zu sein scheinen.