OAS: Eine militärisch bewaffnete Terrororganisation

Die Geschichte der Untergrundarmee „Organisation armée secrète“ (OAS) kann als Schulbeispiel der Auseinandersetzung eines Staates mit einem asymmetrischen Gegner betrachtet werden, der über einige wesentliche Voraussetzungen verfügte, um erfolgreich zu sein. Dazu zählten eine einfach zu verstehende gemeinsame Idee und ein ebensolches Ziel, hochmotivierte, professionell ausgebildete und handelnde Aktivisten, eine straffe und hierarchische Organisation, ausreichende finanzielle Mittel, eine große Zahl Sympathisanten sowie Experten für Kommunikation inklusive psychologischer Kriegführung und politischem Massenprotest. Dennoch ist die OAS gescheitert. Deshalb lohnt eine Analyse ihrer Entstehung und ihres Kampfes gegen die französische Regierung sowie ihren zweiten Gegner, die Front de libération nationale (FLN).

         
Entstehung der OAS im Algerienkrieg
Der Algerienkrieg 1954 bis 1962 ist die entscheidende Rahmenbedingung für das Entstehen der OAS. Hauptsächlich ging es dabei um den Kampf von größeren Teilen der autochtonen Bevölkerung moslemischen Glaubens gegen Frankreich mit dem Ziel der Unabhängigkeit.
Bereits 1830 landeten französische Truppen bei Sidi Fredj, und bis 1912 sahen sich die Franzosen verschiedenen bewaffneten Aufständen von autochtonen algerischen Volksgruppen ausgesetzt. Dennoch wurde Algerien schon 1848 – anders als z.B. Marokko und Tunesien – Teil Frankreichs. Algerien wurde zunehmend von Europäern besiedelt, die sich vor allem auf die Küstenregionen konzentrierten. Diese Franzosen, Italiener, Spanier, Juden unterschiedlicher Herkunft und weitere Nationalitäten wurden als „pieds noirs“ („Schwarzfüße“) bezeichnet und stellten in Algerien – anders als in ihren Ursprungsländern – die politisch privilegierte Oberschicht. Es gelang Frankreich früh, sich eine große Zahl moslemischer Algerier zu verpflichten, und dementsprechend kämpften autochtone Algerier in allen Kriegen Frankreichs (z.B. 170.000 Mann in Ersten Weltkrieg, von denen 25.000 fielen). Die politischen Unabhängigkeitsbestrebungen der autochtonen Algerier begannen 1943 als Ferhat Abbas den Alliierten das „Manifest des algerischen Volkes“ vorlegte, in dem die Gleichheit von Muslimen und Europäern gefordert wurde. Ausgerechnet am 8.5.1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, kam es nach Demonstrationen moslemischer Algerier, der Ermordung von ca. 100 europäischen Siedlern und dem Angriff auf europäische Dörfer und französische Polizeieinheiten zu den Massakern von Setif, Guelma und Kherrata mit ca. 15.000 Toten Moslems. Nach mehreren Vorläuferorganisationen bildete sich 1954 das „Comité Révolutionnaire pour l’Unité et l’Action“, aus dem schließlich die Front de libération nationale (FLN) entstand. Der bewaffnete Kampf der FLN begann am 1.11.1954. Zu diesem Zeitpunkt lebten rund zehn Millionen Moslems und eine Million Europäer in Algerien.
Zu Beginn der Kampfhandlungen waren ca. 60.000 französische Soldaten, ab Ende 1956 bis 1962 ca. 400.000 Mann im Einsatz, darunter auch Wehrpflichtige mit 27 Monaten Militärdienst und Reservisten (insgesamt 150.000), da Algerien immer noch – anders als Indochina – als Frankreich betrachtet wurde. Rund 150.000 Mann Moslems kämpften auf französischer Seite, wobei es zu rund 9.000 Desertionen im Verlauf des Krieges kam.
        
Algerierer im Dienste Frankreichs
         
Nach vereinzelten Angriffen auf französische Einrichtungen 1954 stellte Frankreich 1955 ein Sozialprogramm auf, dem die FLN mit Repression von Kollaborateuren und Angriffen auf französischen Privatbesitz begegnete. FLN-Führer Zighout erklärte den unbegrenzten Terror gegen moslemische und europäische Zivilisten und es kam noch im gleichen Jahr zum Massaker von Philipeville an 120 europäischen Zivilisten, das militärische und auch bereits zivile Vergeltungsmaßnahmen mit mehreren Tausend Toten hervorrief.
1956 erreichten Marokko und Tunesien die Unabhängigkeit und wurden Rückzugs- und Ausbildungszone der FLN. 1956 gab es die ersten größeren Verluste unter französischen Wehrpflichtigen (20 Gefallene) und die ersten FLN-Anschläge in der Hauptstadt Algier gegen Zivilisten. Den zunehmenden Aktivitäten der FLN in Algier, damals die zweitgrößte französische Stadt nach Paris, die die moslemische Altstadt zum rechtsfreien Raum machten, entgegnete Frankreich 1957 mit der „freien Hand“ für die 10. Fallschirmjägerdivision unter General Jacques Massu, der es in der „Schlacht um Algier“ gelang, die FLN-Strukturen zu zerschlagen. Eine Kombination von politischem und sozialem Wohlfahrtsprogramm und harter Repression gegen die FNL und Jagd auf ihre Kader zeigte weitere Erfolge.
     
In der Kasbah
                        
Ab 1957 führten Grenzbefestigungen nach Tunesien („Maurice Linie“ mit 460 Kilometern Stacheldraht, Elektrozäunen und Minenfeldern, bewacht von Patroullien zu Lande und in der Luft) und Marokko (760 Kilometer) zu weiteren französischen militärischen Erfolgen. Die FLN verlor zu diesem Zeitpunkt monatlich rund 3.500 Mann, Frankreich 360. 1960 begann eine ebenfalls weitgehend erfolgreiche Kette von Offensiven, beginnend mit dem „Challe Plan“. Die FLN drohte militärisch vernichtet zu werden. Diplomatisch konnte sie mit der Anerkennung durch die Blockfreien 1959 und die UNO 1960 dagegen große Erfolge verbuchen. Zudem wandten sich Politiker und Bevölkerung Frankreichs mehrheitlich vom französischen Algerien ab. Folterungen und Massenverhaftungen durch französische Sicherheitskräfte galten trotz der jahrelangen gezielten Grausamkeiten der FLN als nicht vertretbare Maßnahmen, um Algerien französisch zu halten.
Im September 1959 sprach Präsident De Gaulle von algerischer Selbstbestimmung. In Folge dieser politischen Veränderungen und nach der Versetzung des beliebten Generals Massu revoltierten am 24.1.1960 bei der „Barrikaden-Woche“ Europäer in Algier – wesentlich geführt durch Joseph Ortiz und Pierre Lagaillarde. Das erste Fallschirmjägerregiment der Fremdenlegion (1. Régiment Étranger de Parachutistes, 1. REP) verweigerte den Einsatz gegen sie und ließ die Polizei alleine vorgehen. Es kam zu 14 toten und 135 verwundeten Polizisten sowie 8 toten und 24 verwundeten Demonstranten. In der Folge wurden u.a. weitere regierungskritische Militärs nach Frankreich oder Deutschland versetzt.
     
Militärisch nahezu gesiegt, politisch verloren
                 
Die Fremdenlegion (Légion Étrangère) deren Hauptquartier Sidi-bel-Abbès in Algerien war, war von den pieds noirs hoch geachtet, und ihre ehemaligen Mitglieder siedelten sich entsprechend häufig in Algerien an. Sie spielte für die OAS eine besondere Rolle. Nicht nur bildeten viele ehemalige Legionäre einen wichtigen Teil der OAS-Aktivisten. Auch hatten viele OAS-Führer Erfahrungen in und mit der Legion. Von der Zusammensetzung her war die Legion 1960 nicht mehr durch den Zweiten Weltkrieg geprägt. So dienten in ihr 52 Prozent Franzosen, Belgier und französische Schweizer, 13 Prozent Bundesdeutsche, Österreicher und deutsche Schweizer, 8 Prozent Osteuropäer, 7,5 Prozent Spanier, 7 Prozent Italiener und 3,5 Prozent Portugiesen. Damit stellten die Herkunftsländer der pieds noirs die überwiegende Mehrheit der Legionäre. Auch die soziale Herkunft dürfte der der Auswanderer nach Algerien nahe kommen, so dass sich u.a. dadurch das besondere Verhältnis erklärt.
                                        
Aufbau und Führer der OAS
Die OAS bestand aus mehreren Untergliederungen:
  • Der Organisation des masses oder Organisation des rassemblements, geführt von Colonel Roger Gardes
  • Der Action psychologique propagande, geführt von Jean-Jacques Susini, zu denen die Commandos Z unter Jean Marcel Zagamé gehörten
  • Der Organisation renseignement opération, geführt von Jean Claude Perez, zu denen das Bureau central de renseignement gehörte (unter Jean Lalanne), das Bureau d'action opérationnelle unter (Roger Degueldre) und die Commandos Delta (ebenfalls unter Degueldre)
Die OAS verfügte in Algerien über nicht mehr als 1.000 militante Mitglieder, die weitgehend im Untergrund lebten. Dazu gehörten rund 100 ehemalige Fallschirmjäger des 1. REP. Weitere 3.000 Mann waren sogenannte Distriktleiter, im Wesentlichen eine Art Teilzeitaktivisten mit einem bürgerlichen Beruf. Die Organisation hatte in Algerien und auch Frankreich selbst Sympathisanten in allen sozialen Schichten. Die soziale Zusammensetzung kann durch das Beispiel von OAS-Häftlingen in Frankreich nachvollzogen werden. Dabei waren 49 Offiziere, 43 Unteroffiziere, 111 Soldaten, 62 Arbeiter, 50 Angestellte, 44 Künstler, 40 Studenten, 18 Ladenbesitzer, 15 Ingenieure, 7 Autoren und 5 Professoren. Unter den Häftlingen waren weiterhin 50 Moslems und zahlreiche Juden, gegen die die FLN mit besonderer Härte vorging. Der britische OAS-Experte Geoffrey Bocca beschreibt den harten Kern der OAS wie folgt: „There were brutes among them, sadists, bores, but everyone was prepared to risk disgrace, imprisonment, and death. And success would bring them no reward“.
                    
Die Ausrichtung der OAS ist weiterhin durch die Auswahl ihrer Führer charakterisiert. Gemeinsam war den Militärs unter ihnen die umfangreiche Kampferfahrung mit hohen Auszeichnungen, der Dienst in Eliteverbänden und eine erfolgversprechende Karriere, den Zivilisten die frühe politische Führungsverantwortung und ebenfalls oft eine militärische Vergangenheit. Die Militärs kamen in der Regel nicht aus Algerien und hatten die Rückzüge Frankreichs 1940 und in Indochina mitgemacht. Einige Beispiele:
  • Colonel Antoine Argoud, Besuch der École Polytechnique, Teilnahme am Krieg in Frankreich 1940, auf Seiten der De Gaulle Truppen 1944 und in Suez 1956, Chef des Stabes unter General Massu in Algerien, jüngster Oberstleutnant der französischen Armee, Teilnehmer am Putsch der Generäle
  • Colonel Pierre Chateau-Jobert, Teilnahme am Krieg in Frankreich 1940, danach in Syrien, Libyen, Indochina und Algerien, Kommandeur des 2. Fallschirmjäger-Kolonialregimentes (2e Régiment de Parachutistes Coloniaux, 2. RCP), nach Putschteilnahme 45 Tage Arrest mit Rücksicht auf seine militärische Vergangenheit, Gang in den Untergrund mit der OAS, in Abwesenheit zum Tode verurteilt
  • Lieutenant Roger Degueldre, Mitglied der Résistance, Kampf mit der Fremdenlegion in Indochina, verwundet gefangen bei Dien Bien Phu, Teilnehmer am Putsch mit dem 1. REP, Chef der Delta-Kommandos der OAS, am 6.7.1962 hingerichtet
  • Colonel Roger Gardes, Absolvent der Offizierschule Saint Cyr, Teilnahme am Krieg gegen Frankreich 1940, Kampf mit den De Gaulle Truppen 1943-45, mit den Kolonialtruppen und als Presseoffizier in Indochina, mit der psychologische Kriegführung in Algerien, Putschteilnehmer
  • Pierre Lagaillarde, Anwalt in Blida (Algerien), Reserveoffizier der Fallschirmjäger, 1957 Vorsitzender der allgemeinen Studentenvereinigung Algier, 1958 Abgeordneter der Stadt Algier, nach dem Putsch Haft in Paris und Flucht nach Spanien (in Abwesenheit zu 10 Jahren Haft verurteilt)
  • Colonel Yves Godard, Absolvent der Offizierschule Saint Cyr, 1940 gefangen, entkommen, Mitglied der Résistance, Kommandeur 11. Fallschirmjäger Bataillon in Indochina, in Algerien Dienst unter General Massu, 1958 Polizeichef Algeriens, Teilnehmer am Putsch
  • General Raoul Salan, Einsätze im Ersten Weltkrieg 1917, in Syrien 1921-22, in Indochina 1924-36, Teilnahme am Kampf um Frankreich mit den Kolonialtruppen 1940, Chef des Militärischen Nachrichtenwesens in Dakar 1940-42, Kampf mit den De Gaulle Truppen 1943-45, französischer Kommandeur in Indochina 1953 und Algerien, Heeresinspekteur 1958, pensioniert, OAS-Chef, Haftstrafe
  • Jean-Jacques Susini, Algerienfranzose, Präsident der algerischen Studenten, Barrikaden-Aufstand 1960, Haft, Flucht mit General Salan nach Spanien, intellektueller Führer der OAS, mehrfach in Haft und amnestiert
Der Kampf der OAS
Im November 1960 sprach De Gaulle erstmals von einem algerischen Algerien. Im Dezember erkannte die UNO das algerische Selbstbestimmungsrecht an. Die französische Nationalversammlung beschloss aufgrund einer Regierungsvorlage die algerische Unabhängigkeit. Eine Volksabstimmung im Januar 1961 bestätigte De Gaulle. Die pieds noirs standen mit dem Rücken zur Wand. Den Besitzern von Land, Geschäften, Häusern oder Wohnungen war es angesichts der erklärten Todfeindschaft der FLN unmöglich, ihren Besitz zu retten oder auch nur zu einem annähernd angemessenen Preis zu verkaufen. Unabhängig vom finanziellen Ruin müssen auch das Heimatgefühl der alteingesessenen europäischstämmigen Familien und ihre Opfer im Unabhängigkeitskrieg berücksichtigt werden.
            
Die Anschläge der OAS begannen mit der Tötung des Bodellbesitzers Martin Pasani, der für die FLN Waffen schmuggelte. Die vorangegangene Tötung des Rechtsanwaltes Pierre Popie (25.1.1961) wird zwar immer noch häufig der OAS zugeschrieben, wurde tatsächlich aber von einer Zelle durchgeführt, die sich nicht der OAS untergeordnet hatte wie Alexander Harrison schreibt. Zudem wurde Popie nicht getötet, weil er ein Propagandist eines unabhängigen Algerien und Anwalt von FLN-Kämpfern war, sondern wegen angeblicher Untergrundaktivitäten im Auftrag französischer Behörden (konkret dem versuchten Kauf eines politisch unbequemen Blattes mit dem Ziel, es zum Schweigen zu bringen). Dieses Beispiel illustriert die Schwierigkeiten bei der Bewertung der OAS: die speziellen Rahmenbedingungen eines Untergrundkrieges machen eine nachträgliche Bewertung, speziell der unterlegenen Seite, schwierig.
Schließlich kam es im April 1961 zum „Putsch der Generäle“, der nach wenigen Tagen zusammenbrach, nachdem der Großteil der französischen Truppen den Putschisten nicht folgte. Der Putsch, die Operation „ARNAT“ (gebildet aus Armée und Nation), begann am 21.4.1961 mit der Besetzung wichtiger Punkte in Algier und Oran durch: 1. REP, Teile 2. REP, Teile 18. Fallschirmjägerdivision Philippeville, Teile 14. Fallschirmjägerdivision Djidjelli und 8. Fallschirmjägerregiment der Marineinfanterie.
                
     Die vier Putschisten
                    
Mit einer Radio-Ansprache konnte General De Gaulle insbesondere die Wehrpflichtigen erreichen: „In Algerien hat sich [...] eine aufrührerische Gewalt an die Macht geputscht. Die für die Usurpation Verantwortlichen haben sich die Leidenschaft des Führungspersonals einiger Spezialeinheiten, die hochgepeitschte Zustimmung eines von Furcht und Mythen fehlgeleiteten Teils der europäischstämmigen Bevölkerung und die Ohnmacht der von der Militärverschwörung übermannten Verantwortlichen zunutze gemacht. [...] Im Namen Frankreichs befehle ich, alle Mittel, alle anzuwenden, um diesen Männern den Weg zu versperren und sie zu entmachten. Ich untersage jedem Franzosen und zuvorderst jedem Soldaten, irgendeinen ihrer Befehle auszuführen. [...] Französinnen und Franzosen, helft mir.“
       
Teile der Putschisten kapitulierten, andere gingen unorganisiert in den Untergrund. Die Generäle, die den Putsch führten, waren neben Salan:
  • Edmond Jouhaud (1905-95), ein Algerienfranzose, ehemaliger Résistance-Mann und zum Putschzeitpunkt General der Luftwaffe
  • Maurice Challe (1905-79), General der Luftwaffe, ehemaliger französischer Kommandeur in Algerien
  • André Zeller (1898-1997), ehemaliger Chef des Stabes des französischen Heeres
Ab Mai 1961 kam es zu OAS-Aktionen im großen Stil, De Gaulle stoppte die französischen Offensivoperationen gegen die FLN, die FLN setzte ihren Kampf fort. Am 5.8.1961 konnte die OAS, die inzwischen umfangreiche Kommunikationsmittel einsetzte (z.B. Mauerparolen „OAS“ und „Algérie français“ oder „OAS veille“, d.h. „OAS beobachtet Euch“, Zeitschriften und Zeitungen, Handzettel und Flugblätter) eine Piratensendung mit General Paul Gardy ausstrahlen, dem ehemaligen Inspekteur der Fremdenlegion. Dort entgegnete sie der Forderung der FLN „Sarg oder Koffer“ als Alternativen „Weder Sarg noch Koffer. Das Land und ein Gewehr.“
In Frankreich selbst ging die Polizei hart gegen OAS-Aktivisten und Sympathisanten vor. Eine der Heldinnen der OAS wurde Geneviève Salasc, Mutter von 5 Kindern und Ehefrau eines algerienfranzösischen Arztes. Sie wurde als prominente Aktivistin von der Polizei ohne Gerichtsurteil verschleppt und gefoltert. Nach einer Woche wurde sie entlassen, der öffentliche Skandal war jedoch gering.
        
                  
Es gab mehrere Anschläge auf De Gaulle, darunter den von Oberstleutnant Jean-Marie Bastien-Thiry, einem 35 Jahre alten Offizier der französischen Luftwaffe und Absolventen der École Polytechnique. Er hatte keine Verbindungen zu Algerien und hinterließ eine Frau und drei kleine Töchter. De Gaulle entging knapp dem von Bastien-Thiry organisierten Attentat in Petit Clamart, das u.a. von einem ehemaligen Hauptmann und Legionären des 1. REP durchgeführt wurde. Bastien-Thiry wurde gefasst und am 11.3.1963 in Fort d‘Ivry hingerichtet.
         
 Bastien-Thiry
             
Die OAS führte neben Bombenanschlägen und Attentaten mit Faustfeuerwaffen auch mehrere Großoperationen durch. Dazu zwei Beispiele, die die Grenzen der Organisation aufzeigen:
  • Am Tag der Vereinbarung von Evian hielten OAS-Leute in ihrer Hochburg Bab-el-Qued, einem Stadtteil Algiers mit sozial schwächeren pieds noirs, einen französischen Militärkonvoi an. Es entwickelte sich ein Kampf mit einigen Toten. Schließlich griff Frankreich hart durch. Es kam zum umfangreichen Ortskampf mit Panzern und Luftwaffe, die auf Seiten der OAS 21 Tote und 91 Verwundete und bei der französischen Armee 16 Tote und 91 Verwundete forderten. Es wurden zahlreiche Waffenverstecke gefunden und Aktivisten verhaftet.
  • Beispielhaft ist ebenfalls die Besetzung von 3 französischen Forts durch die OAS (Moulay, Abderrahman und Posten 505) mit ca. 150 Kämpfern. Diese warteten vergeblich auf Verstärkung aus weiteren Überläufern der Legion sowie des Stammes der Beni Boualam, von dem der Sohn des Stammesführers an der Besetzung teilnahm. Dieser Führer, Bouchaga Boualam, dekorierter Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg auf der Seite Frankreichs, verfügte über 15.000 Mann unter Waffen und hatte naturgemäß ein Eigeninteresse an dem Verbleib Algeriens bei Frankreich. Er konnte sich nicht zuletzt wegen der geringen Erfolgsaussichten der OAS insgesamt nicht zu einer weiteren Unterstützung entschließen. Nach dem Auftauchen der französischen Luftwaffe, zogen die Besetzer ab.
Die Aktivitäten der OAS in Algerien und Frankreich sowie die Herkunft und Ausbildung ihrer militanten Kerntruppe führte dazu, dass Frankreich in der Phase der akutesten Bedrohung sogar eine Luftlandung von OAS-Kräften bzw. Handstreiche in Paris fürchtet. Dementsprechend wurden nicht nur zeitweise Flugabwehrgeschütze an potenziell gefährdeten Objekten aufgestellt, sondern Kontrollpunkte und die mitunter massive Präsenz von Sicherheitskräften wurde insbesondere in Paris zum Alltagsbild. In Algerien bekämpften die rund 300 Mann „Barbouzes“, die Geheimdienstleute des Mouvement pour la coopération (M.P.C), die OAS. Ihre Männer befanden sich wegen der guten Aufklärungsmöglichkeiten der OAS in permanenter Bewegung. Dennoch waren sie verwundbar, da sie leicht erkennbar waren. Denn zunächst mussten den pieds noirs neue Gesichter, hauptsächlich Männer einer bestimmten Altersgruppe in größerer Zahl, auffallen. Und besonders traf das auf die Vietnamesen in den Reihen der M.P.C. zu, die man aus dem Indochinakrieg mitgebracht hatte und die häufig als Verhörexperten tätig waren. Die OAS verbreitete zudem Steckbriefe von ihnen, sobald man sie erkannt hatte. Dementsprechend kam es zu mehreren erfolgreichen OAS-Anschlägen auf die M.P.C., so Silvester 1962, wo nach Sprengung eines Hauses 17 Tote zu verzeichnen waren, oder am 29. Januar 1962, wo es 36 Tote gab. Man warf den M.P.C.-Männern vor, den Terror mit Terror beantwortet zu haben, so soll es neben zahlreichen Folterungen von mutmaßlichen OAS-Mitgliedern viele ungeklärte Todes- und Vermisstenfälle gegeben haben. Die M.P.C. hat angeblich darüber hinaus Listen mit Namen von 200 Verdächtigen, derer sie nicht habhaft werden konnte, an die FLN gegeben und Gefangene, die sie gezwungen war, freizugeben, bewusst in FLN-Hochburgen ausgesetzt. Es wurden demnach rund 200 mutmaßliche OAS-Leute zwischen November 1961 und März 1962 vermisst.
               
Der OAS gelangen dennoch einige spektakuläre Anschläge. So kam es während der sogenannten Blauen Nacht in Paris am 17.1.1962 zu 18 Explosionen, bei der Operation Rock`n Roll in Algier sogar zu 120 Explosionen. Das Ergebnis dieses Terrors in Frankreich illustriert das Beispiel des Departments Seine mit 415 Bombenanschlägen, die zu 7 Toten und 20 schwer sowie rund 200 leicht Verwundeten führten. Eine Bestandsaufnahme des Terrors in Algerien anlässlich des Prozesses gegen Salan stellte 239 getötete Europäer und 1.383 getötete Moslems fest, sowie 1.062 verwundete Europäer und rund 3.000 verwundete Moslems.
            
Das Ende der OAS
Im März 1962 wurde der Vertrag von Evian unterschrieben und bewirkte einen Waffenstillstand zwischen Frankreich und der FLN. Im Juli 1962 kam es zur Unabhängigkeit Algeriens. Die französischen Truppen und Europäer verließen das Land. Mit ihnen gingen 15.000 algerische Verbündete. Die verbleibenden zwischen 50.000 und 100.000 wurden von der FLN teilweise brutal ermordet. Für die OAS war der Kampf aussichtslos geworden. Die faktische Unabhängigkeit von Frankreich beraubte alle weiteren Aktionen ihres Zieles. Im November 1962 gab es dementsprechend in Lissabon das letzte offizielle Treffen der OAS. Viele Führer waren zu diesem Zeitpunkt entweder verhaftet oder nach dem Verlust Algeriens ohne sichere Zuflucht und auf der Flucht. 1968 brachte eine Amnestie nicht nur vielen OAS-Häftlingen die Freilassung, sondern ermöglichte auch flüchtigen Aktivisten die Rückkehr nach Frankreich.
                          
               
In der Rückschau war der Auslöser für die Entstehung und den Kampf der OAS die Haltung des offiziellen Frankreich, speziell General De Gaulles, den militärischen Erfolg gegen die FLN nicht zu nutzen, um Algerien französisch zu halten, sondern sich dem politischen Druck zu beugen und das Land in die Unabhängigkeit zu entlassen. Weitere wichtige Rollen spielten:
  • der Wechsel der offiziellen Meinung De Gaulles (1958 erklärte er, Algerien sei heute und für immer organischer Teil Frankreichs, 1959 sagte er, Algerien könne auch mit Frankreich assoziiert sein und dann stimmte er schließlich der Unabhängigkeit zum Zeitpunkt der bevorstehenden Zerschlagung der FLN zu),
  • die besondere Grausamkeit der FLN gerade gegenüber europäischen Zivilisten und der damit verbundene Vergeltungswunsch,
  • die fehlenden Alternativen (die FLN selbst erklärte die Alternativen der pieds noirs als „Sarg oder Koffer“ und erstickte damit alle Hoffnungen auf einen Ausgleich im Keim),
  • die demütigende Niederlage in Indochina und der weitgehend kampflose Rückzug aus Marokko und Tunesien,
  • der besondere Status Algeriens als Teil Frankreichs,
  • die Politisierung der französischen Armee in Folge der Niederlage von 1940, das miterlebte Vorbild der Résistance und die historische Belohnung der Revolte 1945.
Die Gründe für das Scheitern der OAS sind vielfältig. Erstens genoss die OAS anders als die FLN keine internationale Anerkennung als Organisation oder Zustimmung zu ihren Zielen. Zweitens gelang es der OAS zwar die Situation in Algerien weiter eskalieren zu lassen. Die damit verbundenen Opfer unter der Zivilbevölkerung und den französischen Soldaten führten aber nicht dazu, dass Frankreich sich stärker engagierte, sondern im Gegenteil den Preis für den Kampf noch mehr als zu hoch empfand. Paul Henissart interpretiert die Haltung De Gaulles als konsequentes Vermeiden weiterer Schäden Frankreichs – auch unter Inkaufnahme schmerzlicher Maßnahmen: „except for a few notable instances of floundering, he operated deftly, with the objective precision of a surgeon removing a tumour. From his point of view, Algeria had to be got rid of, to save the French from prolonged bloodletting and self-division“.
Drittens lähmte sich die OAS sich stellenweise durch interne Rivalitäten – etwa zwischen den pieds noirs insgesamt, deren Ziel im Grund genommen eher das ökonomische und soziale Überleben gewesen sein dürfte, und den militärischen hardlinern, deren Ziel unbedingt ein französisches Algerien war. Ähnlich gespannt war das Verhältnis zwischen den Politikern und zivilen Aktivisten und den Militärs, deren Wahrnehmung von Hierarchie sich weiter auf die militärischen Ränge der Armee stützte, die sie verlassen hatten. Schließlich strebten Teile der OAS eine Ausweitung des bewaffneten Kampfes an, um sich an den Verhandlungstisch zu bomben (ein algerisches Budapest schaffen), andere setzten auf eine begrenzte Gewaltanwendung (De Gaulle ein französisches Algerien auf dem Silbertablett präsentieren) und Teile der nicht organisierten pieds noirs ließen schlicht die persönlichen Bedürfnisse an erster Stelle stehen und beteiligten sich z.B. nicht an den Aktionen während der entscheidenden Barrikaden-Woche.
Am wichtigsten dürfte gewesen sein, dass das Ziel der OAS, der Verbleib Algeriens bei Frankreich, grundsätzlich nicht durch Gewalt und Terror durchgesetzt werden konnte. Man konnte weder die französischen Truppen durch Gewalt zum Bleiben zwingen, noch den fehlenden Willen der französischen Bevölkerung mit Gewalt hervorrufen. Paul Henissart nennt dies das „limit of destructiveness“. Die einzige Möglichkeit der OAS, ihr Ziel zu erreichen, wäre die politische Arbeit in Frankreich selbst gewesen. Mit den Mitteln, die die OAS einzusetzen bereit war, hätte sich wahrscheinlich eher ein anderes Ziel erreichen lassen: Erzwingen der gleichberechtigten Teilnahme als dritte Konfliktpartei an den Verhandlungen zur Unabhängigkeit, um das langfristige Überleben der pieds noirs in Algerien zu sichern.
Schließlich gewann in diesem Konflikt, wie in anderen auch, aber die Gewalt eine Eigendynamik, die jede Zielsetzung in den Hintergrund treten ließ und einen Ausgleich der Konfliktparteien so gut wie unmöglich machte.
             
Literatur
  • Paul Aussaresses: The Battle of the Casbah: Terrorism and Counter-Terrorism in Algeria 1955-1957. 2002.
  • Geoffrey Bocca: The Secret Army. 1968.
  • Alexander Harrison: Challenging De Gaulle. The O.A.S. and the Counterrevolution in Algeria. 1989.
  • Paul Henissart: Wolves in the City. The Death of French Algeria. 1970.
  • Alistair Horne: A Savage War of Peace: Algeria 1954-1962. 1977.
  • Franklin Mark Osanka (Hg.): Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt. 1963.
  • Hélie de Saint Marc: Asche und Glut. Erinnerungen. 1998.
  • Charles R. Shrader: The First Helicopter War: Logistics and Mobility in Algeria 1954-1962. 1999.
  • Martin Windrow: The Algerian War 1954-62.