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Scharfschützen, Designated Marksmen und Sturmgewehrschützen

Gastbeitrag
Während des Kalten Krieges standen sich in Ost und West mit einigen Ausnahmen riesige Wehrpflichtarmeen gegenüber, die sich permanent auch auf konventionelle Kampfhandlungen größten Maßstabs vorbereiteten. Selbst reine Berufsarmeen wie die britische mit ihrer Reserveorganisation Territorial Army, aber erst Recht Staaten wie die Bundesrepublik mit Hunderttausenden Wehrpflichtigen, die vier Mal im Jahr einen zuletzt 15- oder 18-monatigen Wehrdienst antraten, verfügten über ein großes Potential nicht permanent Dienst leistender Soldaten, die zwar lange, aber jeweils nicht sehr ressourcenaufwändig und intensiv ausgebildet werden konnten. Der Verteidigungsumfang der Bundeswehr bestand sogar zu zwei Dritteln aus Reservisten, die mit Masse ehemalige Wehrpflichtige waren.
Ein gewisser Prozentsatz dieser Soldaten der Bundeswehr erhielt eine etwas anspruchsvollere Waffen- und Schießausbildung und etwas mehr Ausbildung im Gelände, um dann als Scharfschütze zwar mit dem herkömmlichen Sturmgewehr ausgerüstet zu werden, aber zusätzlich mit einer Optik, einem ausgesuchten Lauf und einer gepflegteren und in der Regel neueren Waffe. Genutzt wurde das G3, das automatische Sturmgewehr von Heckler & Koch, als Version G3 A3 ZF oder G3 SG1 (Scharfschützengewehr 1). Letztere Variante hatte einen Stecherabzug, eine Schaftbacke, einen verlängerten Vorderschaft mit integriertem Zweibein sowie ein 1,5 – 6faches Zielfernrohr. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wurde u.a. von den deutschen Soldaten der NVA sowie von weiteren Staaten des Ostblocks u.a. das Gewehr SWD Dragunow, d.h. Snaiperskaja Wintowka Dragunowa, (Kaliber 7,62 x 54 R) mit Zielfernrohr PSO-1 4 x 24 verwendet. Der Rest der Wehrpflichten bediente sich auf beiden Seiten teilweise Waffen, die älter waren, als die Männer selbst.
       
Kampfweise
Die Kampfweise von Scharfschützen wurde u.a. wie folgt beschrieben: grundsätzlich abgesessen, grundsätzlich paarweise, ggf. unter Führung eines Unteroffiziers, als Teileinheit auf Kompanieebene in besonderen Lagen zusammengefaßt, auf Bataillonsebene in einem vom Bataillonskommandeur bzw. Kompaniechef zugewiesenen Einsatz- oder Stellungsraum, aus versteckten, möglichst gedeckten oder teilgedeckten Stellungen. Für die klassischen Gefechtsarten Verteidigung, Verzögerung und Angriff waren die Aufgaben der Scharfschützen klar definiert, wie z.B. In der Verteidigung kämpfen die Scharfschützen vorwiegend im Rahmen des Zuges oder der Kompanie aus seitlich abgesetzten, oder rückwärts gelegenen, überhöhten Stellungen, oder aus Stellungen, die vor den eigenen Kräften liegen. Dabei bekämpfen sie den Feind schon auf weite Entfernung, liefern aktuelle Lageinformationen, schalten feindliche Führer in der Annäherung und während des Sturms aus und bekämpfen feindliche Scharfschützen.
Nachdem sich das Einsatzbild änderte und sich westliche und auch östliche Streitkräfte in asymmetrischen Konflikten wieder fanden, in denen der Gegner teilweise verdeckt kämpfte, sich vom zu schützenden Zivilisten zum überfallartig und aus dem Hinterhalt kämpfenden Insurgenten und zurück verwandelte und echte Kampfhandlungen auf taktischer Ebene Realität wurden, änderten sich auch die Anforderungen an den Scharfschützen und seine Waffe. Statt mit dem Heckler & Koch Sturmgewehr G3 im Kaliber .308 Winchester (7,62 x 51) und einer vierfachen Vergrößerung operierten moderne Scharfschützen der Bundeswehr nun mit dem Scharfschützengewehr G22, dem für die Bundeswehr modifizierten Repetiergewehr Artic Warfare Magnum von Accuracy International im Kaliber .300 Winchester Magnum (7,62 x 67) mit einer Hensoldt-Optik 3-12 x 56 (Kampfentfernung bis 1.100 m) und mit dem Gewehr großer Reichweite, dem G82, dem Selbstlader Barret M82 mit einer Optik in 6-24 x 72 im Kaliber .50 BMG (12,7 x 99) mit Hartkernmunition zur Bekämpfung technischer Ziele bis 1.500 m.
Das G82 wurde erstmals in größerem Umfang von US-Streitkräften während der Operation Desert Storm 1991 im Irak eingesetzt und spielte auch heute im Irak und Afghanistan eine wichtige Rolle z.B. bei der Bekämpfung von Heckenschützen hinter Barrikaden und auf weite Entfernung (so gab es z.B. 2004 einen dokumentierten erfolgreichen Einsatz auf eine Entfernung von 1.614 m).
      
US Airman mit M82
       
Waffen
Die normalen Sturmgewehrschützen nutzten das neue Sturmgewehr von Heckler und Koch, das G36 mit verschiedenen Lauflängen und einem Reflexvisier mit Lichtpunkt sowie einem dreifach vergrößerndem optischen Visier im Kaliber .223 Remington (5,56 x 45) und einer maximalem Kampfentfernung bis 500 m. Vergleicht man nur das Munitionsgewicht und erlaubt jedem Schützen rund 3 Kg, so kann der .308-Schütze rund 120 Patronen mitführen, der .223-Schütze jedoch 260. Neben der größeren Munitionsmenge und der besseren Beherrschbarkeit des Kalibers bei schnellen Schußfolgen war auch die Erkenntnis aus der Auswertung von Kampfhandlungen wichtig, daß die Einsatzentfernungen des Sturmgewehrschützen in der Regel deutlich geringer war, als vor 1989 angenommen.
Daneben gab es eine Reihe weiterer Langwaffen zur Selbstverteidigung wie die Maschinenpistolen HK MP5 und zuletzt die HK MP7. Bald stellte sich aber bei einsatzerfahrenen Streitkräften heraus, daß es verschiedene Szenarien gab, die mit diesen zur Verfügung stehenden Waffen nicht zufrieden stellend beherrschbar waren. Dazu zählten z.B. folgende Situationen:
  • Die Infanteriegruppe benötigte einen Gewehrschützen, dessen Munition eine größere Penetrationsfähigkeit und Reichweite aufwies, als es das G36 leisten konnte und der möglichst auch über eine Optik für den präzisen Schuß und ausreichend Feuerkraft verfügte. So weist z.B. die Patrone eines großen Herstellers in .223 auf 300 m eine Geschoßenergie von 775 Joule bei 3,6 Gramm Geschoßgewicht auf, die Patrone in .308 jedoch eine von 1.666 Joule bei 11,7 Gramm Geschoßgewicht.
  • Der zweite Mann in einem Scharfschützenteam benötigte zur Deckung des Scharfschützen mit seinem Repetiergewehr ein leistungsfähiges Gewehr größeren Kalibers als .223.
Aus diesem Grunde tat man bei der Bundeswehr das Naheliegendste und holte das alte Sturmgewehr G3 aus den Depots und gab wieder Zielfernrohrwaffen G3 aus. Die Anforderungen an die Waffe eines ZF-Schützen waren im Vergleich zu den Beschreibungen des Leistungsvermögens des G22 geradezu bescheiden (z.B. Streukreis auf 100 m maximal 6 cm und Optik 1,5- bis mindestens 6-fach), aber das genügte für die Aufgabenstellung. Die Ausbildung des ZF-Schützen ist ebenfalls weit bescheidener, als die eines voll ausgebildeten Scharfschützen, einer der Hochwert-Ressourcen infanteristischer Truppenteile von Heer, Luftwaffe und Marine. Dafür erhielt der Sturmgewehr-Schütze eine intensivere Ausbildung, als seine Vorgänger in Steingrau-Oliv – neuerdings sogar mit einem vergleichsweise neuen Lehransatz für den Einsatz von Pistole und Sturmgewehr im Nahbereich.
Der Munitionsverbrauch der Bundeswehr zeigt, welche Kaliber wie häufig verwendet werden: 2009 wurden verschossen:
  • 30 Millionen Schuß G36/MG4-Munition (5,56)
  • 18 Millionen Schuß G3/MG3-Munition (7,62)
  • 12 Millionen Schuß P8/MP5 (9x19).
Spezialisierte Infanterie
Auch die Spezialisierung von Verbänden der deutschen Bundeswehr, die man typologisch unter dem Oberbegriff Infanterie subsumieren könnte, war neu. So gab es neben Panzergrenadieren und (luftmechanisierten) Jägern in deutlich verminderter Zahl nach wie vor Fallschirmjäger und Gebirgsjäger, und auch Kommandosoldaten sowie ein Bataillon Marineschutzkräfte und ein Regiment Objektschutzkräfte der Luftwaffe mit exzellenter infanteristischer Ausbildung und großer Einsatzerfahrung anstelle der alten Marinesicherungsverbände und dezentralen Luftwaffensicherungsstaffeln.
Die Aufgaben des damit neu geschaffenen Zielfernrohr (ZF)-Schützen waren folgende: Im Gegensatz zum Scharfschützen erfolgt der Einsatz des ZF-Schützen durch Zug- oder Gruppenführer, in der Stellung der Teileinheit zur Unterstützung des Feuerkampfes, einzeln oder paarweise, nicht mit selbständigem Kampfauftrag. Der ZF-Schütze bekämpft wichtige Einzelziele mit gezieltem Einzelschuß und Ziele, die von seinen Kameraden nicht oder nur mit hohem Munitionsaufwand bekämpft werden können, die den Auftrag der eigenen Gruppe besonders gefährden, deren Ausfall den Feind besonders trifft. Die Amerikaner, die sich mit als erstes vor das Problem ungenügender Munitionswirkung und Reichweite der 223. Rem gestellt sahen, hatten dieses Konzept mit als erste eingeführt und den „Designated Marksman“, die Entsprechung des späteren deutschen ZF-Schützen erfunden und ihm u.a. das M14 ebenfalls im Kaliber .308 gegeben, das z.B. über eine Optik von Trijcon (ACOG 4x) oder Leupold (3-9 x) verfügt, und ihn auf einem rund dreiwöchigen Lehrgang ausgebildet (während die Scharfschützenausbildung mehrere Lehrgänge in mehreren Monaten in Anspruch nimmt).
Auf gegnerischer Seite im Irak wurden schwerpunktmäßig bis 2007 von den Insurgenten u.a. lokale Adaptionen des Dragunow-Schrafschützengewehrs eingesetzt: das Al-Kadesih. Seitdem werden offenbar aufgrund austrocknenden Nachschubs alle möglichen weniger geeigneten jugoslawischen oder sowjetischen Halbautomaten mit unterschiedlichen Zielfernrohren verwendet.
Inzwischen sind moderne Infanteriegruppen hinsichtlich ihrer Bewaffnung und ihres Spezialisierungsgrades nicht mehr mit denen der alten Wehrpflichtarmee vergleichbar. An Stelle der Standardlösung G3 oder M16 findet man eine Art Werkzeugkiste mit unterschiedlichen Lang- und Kurzwaffen für unterschiedliche Zwecke, die bei vielen westlichen und einer zunehmenden Anzahl östlicher Streitkräfte von vergleichsweise modernen Pistolenkalibern und präziseren Pistolen, über Schrotflinten zum Öffnen von Türen und zum Verschießen weniger-lethaler Wirkmittel und handliche Maschinenpistolen wie die MP7 im Kaliber 4,6 x 30 mm als Nahverteidigungswaffen bis hin zu verschiedenen Sturm- und Präzisionsgewehrkalibern reichen (z.B. .223 Rem, .308 Win, .300 Win Mag, .338 Lapua Mag und .50 BMG). Plattformen wie das System Infanterie der Zukunft (Bundeswehr) oder Land Warrior (USA) beruhen auf der NATO-Initiative Soldier Modernzation Program aus den späten 80er Jahren und verbessern heute u.a. mittels ballistischem Schutz, computergestützten Kommunikationsmitteln und Optiken das Durchsetzungsvermögen, die Überlebensfähigkeit, die Führungsfähigkeit, die Beweglichkeit und die Durchhaltefähigkeit. Und: Es wird weiter optimiert und mit neuen Waffen und Kalibern experimentiert.
     
Weitergehende Informationen
  • Accuracy International
  • Barrett Firearms
  • Infanterie der Zukunft (Bundeswehr)
  • Jan Boger: Jäger und Gejagte. Die Geschichte der Scharfschützen. 1994.
  • Gerhard Brugmann (Hg.): Die Reservisten der Bundeswehr. Ihre Geschichte bis 1990. 1998.
  • Peter Brookesmith: Scharfschützen, Geschichte, Taktik, Waffen. 2006.
  • John Plaster: The History of Sniping and Sharpshooting. 2008.
  • Stefan Strasser: Sniper. MIlitärisches und polizeiliches Scharfschützenwissen kompakt. 2009.
  • Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Kommando. International Special Operations Magazine (2/2010) enthält einen Artikel über einen internationalen Scharfschützenwettkampf, der großzügig bebildert ist und Scharfschützenteams aus mehreren Ländern mit ihrer Ausrüstung zeigt. U.a. sieht man Kanadier mit dem Prairie Gun Works Timberwolf C14 (.338 Lapua Mag) und ein Steyr SSG04 der Österreicher.
Tipp: Wenn Sie nur ein Buch kaufen wollen und gut genug Englisch können, kaufen Sie Plasters Buch. Wenn es noch eins sein darf oder sie lieber Deutsch lesen oder sich hauptsächlich für die Situation in Deutschland interessieren, nehmen Sie den Strasser.