Die Patrone 30-06 (7,62 x 63) wurde im Jahr 1906 als US-Militärpatrone eingeführt. Bis heute ist sie eine der weltweit populärsten Jagdpatronen. Die meisten Autoren beschreiben sie als eine Art Universalpatrone für mittelschweres Wild - mit den Schwächen und Einschränkungen, die ein solcher Anspruch mit sich bringt.
Ernest Hemingway hat die 30-06 in "Die grünen Hügel Afrikas" als Mädchen für alles bezeichnet und entsprechend vielseitig verwendet. Wie sehr der Anspruch der Universalpatrone wirklich zutrifft, hat der legendäre amerikanische Jäger J.Y. Jones bewiesen, der, wie in seinem Buch "One Man, One Rifle, One Land" beschrieben, jede amerikanische Spezies und Subspezies mit der selben 30-06, einer Remington 700 ADL, erlegt hat - vom Polarbär bis zum Jaguar in Mexiko.
Ihren Ursprung nahm die 30-06 als Militärpatrone für das Gewehr US Rifle, .30 caliber M 1903, das vom Staatsunternehmen Springfield Armory in Springfield im Bundesstaat Massachusetts hergestellt wurde. Nach drei Jahren (1906) wurde die Munition für diese Waffe überarbeitet und die Patrone 30-06 Springfield entstand (mit einem Geschossgewicht von 150 Grains). Nach dem ersten Weltkrieg wurde sie überarbeitet und hieß (jetzt mit 174 Grains) .30 M1 Ball cartridge. Eine erneute Überarbeitung (jetzt mit 152 Grains-Geschoss) führte 1938 zur Cartridge .30 M2 Ball.
Die 30-06 ist nicht zuletzt deshalb immer schon eine sehr amerikanische Patrone gewesen und ist es auch heute noch. Weiter beflügelt haben solche Jäger wie J.Y. Jones oder US-Schießlegenden wie Jeff Cooper den Ruhm der Patrone, der feststellte: "The classic 30-06 of the United States will do anything that a rifle may be called upon to do, which includes the taking of all forms of live targets, from prairie dogs to Alaskan moose, and it is superbly suitable for fighting."
Im Gegensatz zu diesem Mythos, wählte er aber für sein Konzept Scout Rifle die neuere .308 mit der Begründung: "The ideal cartridge for a general purpose rifle is the 30-06. The 308 however, offers nearly the same performance in a shorter package, reducing the total amount of metal necessary in the action."
So wenig gilt im Zweifel der Mythos angesichts ähnlicher Performance!
Trotzdem war es für den Verfasser dieses Beitrages selbstverständlich nicht nur, aber auch das Amerikanische an der Patrone, die es erstrebenswert machte, eine Waffe in diesem Kaliber zu besitzen. Ähnlich wie es ihm erstrebenswert erschien, einen Colt und einen Smith & Wesson zu besitzen - andere amerikanische Legenden.
Expertenstimmen
Bob Forker beschreibt die Patrone in seinem Standardwerk "Ammo & Ballistics" wie folgt "The 30-06 is the standard by which every other U.S. cartridge is judged. Conceived in response to the embarrassment inflicted by the 7 x 57 mm Mausers in Cuba in the Spanish-American War, this cartridge, when first developed, was little more than a 7 x 57 necked to a .30 calibre. ... The basic design of U.S. military rifle ammunition changed very little until the 7.62 NATO cartridge (.308 Winchester) was adopted in 1952."
Manfred Rosenberger schreibt über die 30-06: "Keine andere Munition wurde jemals in derartig zahlreichen und unterschiedlichen Laborierungen angeboten, keine andere erwies sich in der Jagdpraxis als vielseitiger".
Und Norbert Klups stellt fest: "Mit dem richtigen Geschoss ist die .30-06 ein Universalkaliber für mittelschweres Wild auf normale Schussentfernung. ... Bei den Pulvern dominieren die mittelschnellen Sorten .. wobei sich bei schweren Geschossen aber auch die etwas progressiver abbrennenden Treibladungsmittel ... sehr gut einsetzen lassen. ... Die Auswahl an Geschossen ist riesig".
Zu sagen, die 30-06 sei stark umstritten, ist mit Sicherheit falsch.
Papierballistik
Wie gesagt ist das Munitionsangebot für das Kaliber 30-06 riesig - auch in Deutschland. Vergleicht man die 30-06 mit der 300 Winchester Magnum und der .308 Winchester, wird deutlich, wie nah aneinander die drei Patronen heute liegen:
Überblick (alle drei Patronen von Norma/Oryx)
Geschossgewicht
1) 30-06: 200 Grains (es gibt auch 180 Grains)
2) 300 WM: 200 Grains (es gibt auch 180 Grains)
3) 308: 165 Grains
Mündungsgeschwindigkeit in m/s
1) 30-06: 800
2) 300 WM: 850
3) 308: 835
Mündungsenergie; bzw. Energie nach 100 m in Joule
1) 4162; 3321
2) 4698; 3772
3) 3728; 2978
Eingeschossen auf 100 m ergibt auf 150 m eine Abweichung in mm von
1) - 49
2) - 41
3) - 42
So wenig aussagekräftig "Papierballistik" ist. Es wird klar, dass in jagdlichen Standardsituationen die 30-06 mehr Energie und höhere Geschossgewichte aufweist, als ihre modernere Schwester 308. Auf 150 m sind die Abweichungen von einer 100 m Fleck eingeschossenen Waffe bei allen drei Patronen jagdlich ähnlich - nämlich zwischen 4 und 5 cm.
Einsatz
Zweifellos ist die 30-06 eine für deutsche Reviere absolut geeignete Patrone:
- nahezu alle hier agierenden Hersteller und Importeure bieten Waffen und Wechselläufe in diesem Kaliber an
- die Bandbreite der hier leicht verfügbaren Munition ist gigantisch ("Der Jäger" listet im November 2011 fast 150 aktuell erhältliche Arten auf - darunter rund 1/3 bleifreie Geschosse) und es ist preisgünstige Munition erhältlich
- nicht zuletzt aufgrund dieser Munitionsbandbreite eignet sich das Kaliber vom kleinen Beutegreifer bis hin zu schwerem Schalenwild
- die Eigenschaften der Munition passen zu den Verhältnissen der Reviere (Entfernung) und des Wildes (Wehrhaftigkeit und Größe)
Die 30-06 eignet sich nicht nur für die Ansitz- und Pirschjagd (die ohnehin in Deutschland zu kurz kommt), sondern auch für die Drückjagd. So schreibt Norbert Klups zutreffend: "Die geläufigen Standardpatronen .30-06 Springf., 8x57 IS und die 9,3x62 haben sich bestens bewährt. Entsprechendes gilt natürlich auch für die Randversionen 8x57 IRS, .30 R Blaser und 9,3x74 R. ... Es spricht naturlich nichts dagegen, Magnum-Patronen wie die .300 Winchester Magnum oder die 8x68 S auch auf Drückjagden einzusetzen, und viele Jäger tun das auch mit großem Erfolg, doch ihre eigentlichen Vorteile können diese Kaliber hier nicht ausspielen und der Jäger muss die Nachteile wie schwere Waffen, hoher Rückschlag, teure Patronen und größere Wildbrettentwertung auf kurze Distanzen in Kauf nehmen". Dem ist nichts hinzuzufügen.
Abgesehen vom heimischen Revier ist die 30-06 auch für die Auslandsjagd eine gute Wahl - es sei denn, es geht um wehrhaftes Großwild (also z.B. die Big Five oder Braunbären) oder größere Antilopen oder es handelt sich um größere Schussdistanzen.
So schreibt Gregor Woods in "Rifles for Africa": "Your safari may be for nondangerous game only and may take place on one or two bushveld game ranches, in which case a .30-06 loaded with 220-grain bullets will suffice for everything, unless you want to include Eland."
Der Verfasser kann dem eingeschränkt zustimmen. Nicht nur hat er in der Tat ein bereits angeschweißtes Eland gesehen, dass - in einer Notsituation mit der einzig vorhandenen Waffe beschossen - erst nach sechs Treffern mit der 30-06 (davon drei sehr gut platzierte) erlegt werden konnte. Er hat auch einen Oryx gesehen, der trotz eines Lungentreffers mit einer 30-06 (allerdings einem 180 Grains Geschoß) nicht erlegt werden konnte. Von daher würde er der Einschränkung zustimmen, dass die 30-06 erstens für kleinere Antilopen wie Impala, Bushbuck, Reedbuck sicherlich sehr gut geeignet ist und zweitens in einem Gelände wie dem Bushveld Südafrikas mit kürzeren Schussdistanzen auch für größere Antilopen.
Ähnlich ist es bei Schwarzbären bei relativ kurze Schussdistanzen (also am Bait und mit Hunden, nicht jedoch beim Spot and Stalk). Dort wird die Patrone von vielen der erfahrendsten Guides empfohlen (so in dem exzellenten Buch "Ask the Blackbear Guides"):
- Outfitter Joe Jakab sagt "There are many good choices, and I don't have a favorite. Any gun that shoots a bullet over 150 grains will work well, although a heavier bullet is better. I like the 30-06, the .35 and the .45-70."
- Outfitter Horace Lane erklärt "For bears, caribou, or moose, I unequivocally recommend the .30-06. It's my personal choice and I find it really effective".
- Und Claude Turcotte ergänzt "A 30-06 is ideal if the hunter can shoot it well."
Weniger spezifisch sind die Aussagen der Männer zu den besten Geschossen auf Schwarzbär. Einer empfiehlt das Nosler Partition (180 grains), ein anderer sagt "heavier bullets are prefarable".
Craig Boddington meint trotz der Jagdlegenden, die alles nordamerikanische Wild mit der 30-06 erlegt haben "If you could do it with a .30-06, you could probably do it more effectively with a .300 Magnum". Wenn nicht auf größere Distanz als 150 m geschossen werden muss, darf dies jedoch bezweifelt werden. Allerdings ist einer der Hauptgründe für ihn (neben der Sicherheitsreserve einer stärkeren Patrone) die Freude daran, für den jeweiligen jagdlichen Einsatz die spezielle Waffe und Munition zu überlegen und damit umzugehen - wer könnte dies nicht nachvollziehen?
Verweise
- Scout Rifle - Jeff Coopers Universalgewehr
- .375 Holland & Holland - nahe an der Universalpatrone
- 9,3 x 62 - Ein aktueller Klassiker
Literatur
- Craig Boddington: The Perfect Shot North America. Long Beach 2003.
- Jeff Cooper: The Art of the Rifle. Boulder 2002.
- Bob Forker: Ammo & Ballistics. 4. Auflage. Long Beach 2010.
- J.Y. Jones: Ask the Blackbear Guides. Long Beach 2008.
- J.Y. Jones: One Man, One Rifle, One Land. Long Beach 2001.
- Norbert Klups: Wiederladen für Jäger. Melsungen 2009.
- Norbert Klups: Drückjagd mit Erfolg. Schwäbisch Hall 2003.
- Manfred R. Rosenberger: Jagdpatronen. Stuttgart 2005.
- Gregor Woods: Rifles for Africa. Long Beach 2002.