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Offener Brief an das “Aktionsbündnis Winnenden”
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Gründer Ihrer Organisation haben durch die Wahnsinnstat eines Kriminellen ihre Angehörigen verloren. Wir wissen, dass der Verlust eines geliebten Menschen, insbesondere des eigenen Kindes, das Schrecklichste ist, das einen Menschen treffen kann. Wir verstehen, welche Trauer, Verzweiflung und Wut daraus entsteht. Wir verstehen, dass eine solche Situation zu einer grundsätzlichen Neubewertung des eigenen Lebens führen kann und den Wunsch entstehen lässt, etwas dafür zu tun, das so etwas sich nicht wiederholt.
Moralisch verantwortlich für die Tat ist der Täter. Moralisch mitverantwortlich ist in gewisser Weise auch das Elternhaus des Täters, das die extreme Situation, in der der Täter sich befunden haben muss, nicht richtig gedeutet hat. Dies betrifft speziell den Vater, der seine Schusswaffe nicht so aufbewahrt hat, wie es gesetzlich vorgeschrieben war. Wir empfinden allerdings auch mit dieser Familie Mitgefühl, die nicht nur einen Sohn und Bruder verloren hat, sondern auch eine Existenz und in gewisser Weise auch eine Zukunft – etwa die Schwester des Täters. Auch diese Menschen sind Opfer.
Welche Faktoren, auch außerhalb des Elternhauses, z.B. in der Schule mit dazu beigetragen haben, dass der Täter diese fatale Entwicklung genommen hat – vom möglichen Mobbing des Opfers durch Mitschüler bis hin zum möglichen Versagen einer angemessenen pädagogischen Bewertung seines schulischen Sozialverhaltens – wissen wir nicht.
Die rechtliche Verantwortlichkeit des Täters kann aufgrund seines Todes nicht speziell aufgearbeitet werden. Die rechtliche Verantwortlichkeit des Vaters stellt ein ordentliches deutsches Gericht fest und zwar, wie wir hoffen, anhand von objektiven und unparteilichen Gesichtspunkten anhand unserer Gesetze. Recht wird in Deutschland nicht durch Medien, die „öffentliche Meinung“, die Opfer oder Angehörige der Opfer oder irgendwelche Pressure Groups gesprochen. Wir akzeptieren deshalb weder Rachedrohungen gegen die Familie des Täters, noch öffentliche Verurteilungen des Vaters oder gar Forderungen an die Justiz hinsichtlich einer als subjektiv als gerecht oder zu gering empfundenen Strafe. Im Gegenteil sind solche Aktivitäten nach unserer Meinung geeignet, Gerechtigkeit zu verhindern. Im Sinne christlicher Lehre würden wir es – insbesondere dann, wenn man sich als kirchliche Stiftung organisiert – auch begrüßen, wenn der Gedanke des Verzeihens, des Mitgefühls gegenüber einer ebenfalls schwer betroffenen Familie zu seinem Recht käme.
In diesem Fall hat der Täter Gebrauch von einer Schusswaffe gemacht. Bei School Shootings und anderen Verbrechen mit mehreren Opfern in der Vergangenheit und Gegenwart wurden u.a. auch kommerzielle oder selbst hergestellte Sprengstoffe, Brandbeschleuniger oder gar Flammenwerfer, Hieb- und Stichwaffen, Kriegswaffen und andere Geräte benutzt, um die Opfer zu töten oder zu verletzen. Die Gehirne Krimineller haben zahlreiche Möglichkeiten mit vielen unterschiedlichen Gegenständen ersonnen, um ihre Opfer anzugreifen.
Dennoch behaupten Sie, dass legale Schusswaffen für solche Taten ein wesentlicher Faktor sind. Bei Selbstmorden und Beziehungstaten, die Vertreter Ihrer Organisation gerne als weitere Belege für die Gefährlichkeit legaler Waffen anführen, sind ebenfalls jede Art von Waffe oder Gewalt (z.B. auch körperliche Gewalt) angewendet worden, um Opfer oder sich selbst zu töten oder zu verletzen. Wissenschaftliche Untersuchungen sprechen auch hier eine andere, aber ganz klare Sprache: Egal ob und welche Waffen verfügbar sind, Selbstmörder und Beziehungsmörder töten, weil sie töten wollen, nicht weil eine Schusswaffe da ist. Ehrlich gesagt empfinden wir es nicht nur als unpassend, sondern sogar als verwerflich, sich trotz oftmals unklarer Fakten und angesichts der dahinter stehenden menschlichen Tragödien anlässlich von medial begleiteten Tötungsdelikten zu Wort zu melden – etwa als in Lörrach eine offenbar verzweifelte Mutter ihren kleinen Sohn erstickte und später mit einer Kleinkaliberwaffe um sich schoss – und eben jene Taten als Beleg für die eigenen Forderungen nach einem Schusswaffenverbot zu werten, so abwegig diese Parallelen auch sind (Ersparen Sie uns, Ihnen anhand dieses traurigen Falles einer Kindstötung auseinanderzusetzen, dass Schusswaffen offensichtlich nicht tatenentscheidend sind). Was müssen Angehörige der Frau, ihres Mannes und des kleinen Jungen denken, die den Verlust ihrer Lieben dadurch durchaus als instrumentalisiert empfinden könnten? Ehrlich gesagt, diese Tat war für uns ein Wendepunkt bei der Bewertung Ihres Tuns.
Schließlich werden nahezu täglich illegale Waffen dazu verwendet, Menschen zu töten oder andere Verbrechen zu begehen, teils auf offener Straße. Verbrechen sind bei illegalen Waffen im Gegensatz zu Jagd-, Sport- und Sammlerwaffen der einzige Zweck der Anschaffung. Zu illegalen Waffen und selbst spektakulären Tötungsdelikten hören wir nichts vom „Aktionsbündnis“ – warum?
Gewalt lässt sich aber nicht auf Waffen, gleich ob legal oder illegal, gleich welche Technologie zugrunde liegt, reduzieren. Gerade im Zusammenhang mit Jugendlichen ist zum einen das alltägliche Gewaltphänomen an Schulen zu nennen, das sich in Ausgrenzung, Diskriminierung, Mobbing und auch körperlicher Gewalt gegen Schüler und Lehrer äußert. Zum anderen ist die Gewalt im öffentlichen Raum zu nennen, die sich gegen Passanten, Bus- und Bahnfahrer oder auch Polizisten richtet - meistens geht sie von Jugendlichen aus. In beiden Fällen interessieren sich Medien und Öffentlichkeit nur für besonders herausragende Taten, wie z.B. die Tötung Dominik Brunners, obwohl diese Form von Gewalt gesamthaft mehr Todesopfer und erheblich mehr traumatisierte und verletzte Menschen verursacht, als School Shootings. Die vielen anderen ins Koma geprügelten, erstochenen, zusammengeschlagenen und beraubten Opfer interessieren kaum jemanden. Es mag sein, dass Sie sich auch dazu äußern, aber warum hören wir nichts vom „Aktionsbündnis“ zur Alltagsgewalt? Wir glauben sogar, dass der Fokus auf den äußerst seltenen School Shootings dazu beiträgt, andere Gewaltphänomene nicht richtig würdigen zu können und deshalb schädlich ist.
Wir hören gebetsmühlenartig vom „Aktionsbündnis“, dass Schusswaffen – oft konkretisiert als „großkalibrige“ Schusswaffen, so als gäbe es keine Todesopfer durch kleinkalibrige Schusswaffen – Bürgern nicht für Sport, Jagd und Sammlung oder Brauchtum zur Verfügung stehen sollten. Wir hören, dass Schießen bzw. Großkaliberschießsport gar kein Sport sei. Verwundert es Sie nicht, dass zweieinhalb Millionen unbescholtene Bürger in zahllosen Schützen- und Schießvereinen viel Freude an einem Sport haben, den es gar nicht gibt? Warum versteht eine Hand voll Leute im „Aktionsbündnis“ nicht, dass für zweieinhalb Millionen Bürger Schießen – und zwar ausdrücklich auch Großkaliberschießen – Sport ist, egal wie Sie persönlich dies weltanschaulich bewerten?
An dieser Stelle wollen wir gar nicht vom geselligen, völkerverbindenden, integrativen und sozialen Nutzen dieses Sports sprechen – übrigens auch für Jugendliche. Wir wollen auch nicht davon sprechen, wie es Samstagmorgens im Verein ist, wenn der Müllfahrer neben dem Akademiker und dem Handwerker steht und alle drei nach einer harten Arbeitswoche Freude an einem friedlichen Wettbewerb um die höchste Punktzahl haben. Egal, übrigens ob Frau oder Mann, ob alt oder jung, ob Eltern oder allein stehend. Wir treffen uns nur dort so bunt gemischt und nirgendwo anders, weil wir uns eben alle für den Schießsport interessieren. Sind wir deswegen potenzielle Killer, „Knarrennarren“, „Waffenfetischisten“ oder auf irgendeine andere Weise anormal? Nein, das sind wir nicht. Wir sind die Mitte dieser Gesellschaft.
Es ist aber offensichtlich, dass die Zerstörung dieses Kulturguts schießsportlicher Vereine mit zu dem Schlechtesten gehört, was man dieser Gesellschaft antun kann. Und wir können uns nicht vorstellen, wer das Recht haben sollte, diesen vielen Menschen ihre Gemeinschaft zu zerstören.
Wir hören, wie sich das „Aktionsbündnis“ zu Fragen der Inneren Sicherheit und zu Änderungen des Waffengesetzes äußert – sogar Briefe an den Politiker verfasst, um Forderungen zu stellen. Sicher, jeder kann seine Meinung haben, und jeder kann auch versuchen, Sendezeit oder ein paar Zeilen in den Medien zu ergattern, um diese Meinung auszudrücken. Aber mehr als Ihre Meinung vertreten Sie nicht. Das sollten Sie akzeptieren. Allein Ihre Eigenschaft als Opfer befähigt Sie nicht dazu, sich qualifiziert zum Waffenrecht oder zur Gefährlichkeit von Schusswaffen zu äußern. Einbruchsopfer beraten auch nicht zu Gesetzen gegen Einbruch. Diebstahlsopfer fordern keine Strafverschärfungen für Diebe. Und schon gar nicht im Parlament oder im Fernsehen. Wir glauben, dass Sie lernen müssen, dass Sie für nichts und niemanden anders sprechen als für sich selbst, und dass ihre Meinung nicht mehr ist als eine Meinung. Es darf nicht nur andere Meinungen geben, sondern jeder halbwegs anständige Diskussionspartner muss sich mit seinem Gegenüber auch inhaltlich (nicht: moralisch) auseinandersetzen. Wir würden sehr, sehr begrüßen, wenn die Diskussion um das Waffenrecht versachlicht würde und auf Grundlage von mehr Fakten und weniger Ideologie geführt würde. Wir wissen aus anderen Ländern, z.B. den USA oder Großbritannien, und aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass Legalwaffen keine kriminalitätsrelevante Rolle spielen.
Wir haben mit Erstaunen gelesen, dass dem „Aktionsbündnis“ vorgeworfen wird, im Zusammenhang mit dem Hersteller eines biometrischen Sicherungssystems zu stehen. Wir haben ebenso erstaunt gelesen, dass Sie sich dazu nicht äußern. Wir haben gelesen, dass für Einzelne das Aktionsbündnis an die Stelle des eigentlichen Berufs getreten ist und inzwischen „seinen Mann nährt“. Wir wissen nicht, ob all dies stimmt. Wir glauben aber, dass Sie, wenn es stimmt, ihren moralischen Kredit verspielt haben. Wenn es nicht stimmt und Sie dies nicht auch klar feststellen, verspielen Sie ebenfalls Ihren moralischen Kredit. Wir denken, Sie sind dies Ihren verbliebenen Sponsoren und Spendern schuldig. Und Sie sind dies auch der Öffentlichkeit schuldig, wo Sie sich andauernd zu Wort melden, obwohl wir dies in den meisten Fällen für wenig hilfreich halten.
Wir haben auch von den Zweifeln an Ihrer Glaubwürdigkeit im Zusammenhang mit dieser Videospiel-Sammelaktion in Stuttgart gelesen. Videospiele interessieren uns nicht sehr. Wir denken nicht, dass sie eine besonders sinnvolle Freizeitbeschäftigung darstellen. Aber uns interessiert schon, wenn Sie den Erfolg dieser Aktion medial anders darzustellen versuchen, als er war. Wenn es so war, dass der Erfolg dieser Aktion falsch dargestellt worden sein sollte, sind in der Tat auch weitergehende Zweifel an der Glaubwürdigkeit Ihrer Aussagen angebracht.
Wie wir eingangs feststellten, fühlen wir mit den Angehörigen der Opfer und verstehen Ihre Situation. Aber wir verstehen und billigen nicht, welche Rolle Sie in der Waffenrechtsdiskussion in Deutschland spielen. Aus unserer Perspektive sind Ihre Positionen nicht nur wenig hilfreich, sondern für uns auch häufig einer faktenbasierten Sachverhaltsfeststellung abträglich. Wir würden es deshalb anerkennen – auch und gerade vor dem Hintergrund des Verlustes von Angehörigen menschlich anerkennen – und begrüßen, wenn Sie anlässlich der genannten Finanzierungs- und Glaubwürdigkeitsdiskussion so konsequent wären und Ihre Organisation auflösten. Organisationen wie der „Weiße Ring“ oder gewaltpräventive Projekte (z.B. an Schulen) würden sich sicherlich über erfahrene und engagierte Mitstreiter freuen – und über Ihr Geld. Vielleicht treffen wir uns ja dort.
Mit den besten Grüßen
Beate Meier-Kühne
für das Redaktionsteam des JagdWaffenNetz