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Information als Waffe: Information Operations der US-Streitkräfte

Die Frage, was wir welchen Medien wie glauben können, hängt nicht nur von den Medien selbst ab, sondern auch von weiteren Einflussgrößen auf die öffentliche Meinung. Dazu zählen auf internationaler Ebene nicht nur supranationale Organisationen, internationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen, sondern auch Regierungen und Streitkräfte. Über das Konzept Information Operations (IO) der US-Streitkräfte gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, deren Großteil jedoch von populärwissenschaftlichen Auffassungen über die Charakteristiken von Krieg und Information geprägt ist. Wenige beziehen sich direkt auf das IO-Konzept, obwohl es frei zugänglich ist.


Laut US-Doktrin IO ist Information ein „element of combat power“. Kommandeure „führen“ Informationen, um dieses Element wirkungsvoll einzusetzen. Unter IO wird allgemein eine Synchronisierung einzelner Maßnahmen mit dem Ziel der Informationsüberlegenheit verstanden:
               
„Focused IO – synchronised with effective information management and intelligence, surveillance, and reconnaissance – enable commanders to gain and maintain information superiority. [...] Information operations is the employment of the core capabilities of electronic warfare, computer network operations, psychological operations, military deception, and operations security, in concert with specific supporting and related capabilities, to affect or defend information and information systems, and to influence decisionmaking“.
                  
Umgangssprachlich und in der Berichterstattung wird häufig elektronische Kriegführung („electronic warfare“) synonym mit IO verwendet, obwohl sie nur ein Aspekt von IO ist. Dafür mögen spektakuläre Maßnahmen verantwortlich sein, die von der PR der US-Streitkräfte bekannt gemacht wurden wie das Stören von Anti-NATO-Kampagnen im Fernsehen der bosnischen Serben 1997.
Unterstützende und verbundene Maßnahmen sind physikalische Zerstörung, Informationssicherheit, materielle Absicherung, Gegentäuschung und Gegenpropaganda. Die unmittelbarste Schnittstelle zu klassischer Waffenwirkung ist die materielle Zerstörung, die u.a. durch Rohrartillerie, Luftfahrzeuge, Raketen, elektromagnetische Impulse oder Spezialeinheiten erfolgen kann. Die Menge der IO-Aktivitäten sowie unterstützende und verbundene Aktivitäten erfordern die Zusammenarbeit zahlreichen Einheiten und Dienststellen und stellen damit erhebliche Anforderungen an deren Information untereinander – insbesondere unter den Rahmenbedingungen eines Krieges.
                          
                                                            
Offensiv- und Defensivoperationen
IO bestehen aus defensiven und offensiven Operationen und bringen zahlreiche Funktionen und sie ausführende Organisationseinheiten der US-Streitkräfte zusammen. Offensivoperationen zielen auf mittelbar auf gegnerische Entscheidungsträger und unmittelbar auf deren Informations- und Führungssysteme („command and control“, d.h. C2-Systeme) und wollen diese zerstören, unterbrechen, täuschen, ausnutzen, beeinflussen und schwächen. Defensivoperationen wollen eigene C2-Systeme und Entscheidungsträger schützen, damit sie ein tatsächliches Lagebild vermitteln und Entscheidungen auf dieser Grundlage treffen können. In der Führung der IO ist die gleichzeitige Führung ihrer einzelnen Elemente und deren Synchronisation wichtig. Darin unterscheidet sich das Konzept Information Operations, das erstmals im ersten Golfkrieg eingesetzt wurde, vom Einsatz einzelner, nicht-synchronisierter IO-Elemente in vorangegangenen Konflikten.
Die Rahmenbedingung für IO ist die Informationsumwelt, d.h. das
                                   
„aggregate of individuals, organisations or systems that collect, process, or disseminate information, also included is the information itself.“
                     
Dazu gehören sowohl eigene, als auch gegnerische C2-Systeme, Personal und Netzwerke, die Informationen verarbeiten und verbreiten und Entscheidungen treffen. Der Großteil dieser Umwelt ist von den US-Streitkräften nicht gezielt beeinflussbar.
                            
Bedrohungen können erfolgen durch
- Einzelne oder Kleingruppen ohne nennenswerte Ressourcen,
- Einzelne oder Kleingruppen, die von Unternehmen oder Organisationen unterstützt werden, die jenseits staatlicher Grenzen operieren können und über professionelle Instrumente wie Hacking oder Datendiebstahl verfügen können (z.B. Terroristen oder Drogenkartelle),
- Einzelne oder Kleingruppen mit staatlicher Unterstützung und signifikanten Ressourcen sowie hochprofessionellen technischen Möglichkeiten neuster Generation,
- Staatliche, offensive IO, koordiniert mit militärischen Aktivitäten und gekennzeichnet durch Hochtechnologie und verdeckte Aktionen (z.B. in Kriegshandlungen).
                    
Diese Gegner werden analysiert im Hinblick auf ihre C2-Systeme, Informationsquellen, Ziele und Interessen, Entscheidungsträger und Einflussgruppen, IO-Ressourcen und Fähigkeiten, Verwundbarkeit von diesen Ressourcen und Fähigkeiten sowie eigene Verwundbarkeit gegenüber den IO des Gegners.
Die IO wird bestimmt durch US-Politik und Öffentliche Meinung sowie mit beiden verbundene notwendige Rücksichtnahmen, Einstellung der eigenen Kräfte und Gesetzeslage.
                               
                                 
Ziel der IO ist die Informationsüberlegenheit. Darunter versteht das IO-Konzept:
                
„the operational advantage derived from the ability to collect, process, and disseminate an uninterrupted flow of information while exploiting and denying an adversary’s ability to do the same”.
             
Die Informationsüberlegenheit soll erreicht und gehalten werden, damit Entscheidungsträger effektiver und schneller entscheiden können. Informationsüberlegenheit kann nicht alleine durch IO erworben werden. Dazu sind auch Informationsmanagement („provision of relevant information to the right person at the right time in a usable form to facilitate situational understanding and decisionmaking“) Aufklärung und Erkundung notwendig.
        
Psychological Operations
Besonders hervorzuheben im IO-Konzept erscheint der Bereich der psychologischen Maßnahmen („psychological operations“, PSYOP), da er stärker als die restlichen IO-Maßnahmen auch Auswirkungen auf nicht unmittelbar in den Konflikt involvierte Staaten haben kann. Die US-Streikräfte verstehen unter PSYOP:
                
„planned operations that convey selected information and indicators to foreign audiences to influence their emotions, motives, objective reasoning and, and ultimately to influence the behaviour of foreign governments, organisations, groups and individuals. The purpose of psychological operations is to induce or reinforce foreign attitudes and behaviour favourable to the originator’s objectives“.
        
Wenn man diese Definition mit der klassischen Definition von Propaganda vergleicht, entdeckt man starke Gemeinsamkeiten: Propaganda wird beispielsweise von dem Kommunikationswissenschaftler Gerhard Maletzke definiert in seinem Buch „Psychologie der Massenkommunikation“ als „geplante Versuche ... durch Kommunikation die Meinung, Attitüden, Verhaltensweisen von Zielgruppen unter politischer Zielsetzung zu beeinflussen“. Zwar ist der Begriff „Propaganda“ heute geächtet, im Endeffekt muss man aber feststellen, dass er definitorisch weitgehend synonym mit „psychologische Operationen“ verwendet werden kann. Ähnliches triff für die Methoden zu, mit denen Propaganda betrieben wird.
              
Die USA beschreiben die Maßnahmen der PSYOP wie folgt:
- Identifikation gegnerischer Informationsverarbeitung, ihrer Möglichkeiten und Ressourcen,
Identifikation von Information, die dem Gegner nicht zur Verfügung gestellt werden darf, bzw. zur Verfügung gestellt werden muss, um die gewünschte Perzeption zu erreichen,
Entwicklung von Themen und Handlungen, die dazu eingesetzt werden können unter Berücksichtigung der gegnerischen Informationsverarbeitung,
Nutzung von persönlicher Kommunikation, Massenmedien und Meinungsmultiplikatoren, um diese Information zu verbreiten (je nachdem, ob strategisch, taktisch oder operativ kommuniziert werden soll).
                      
Die verschiedenen Formen der Propaganda unterscheidet man nach der Offenlegung ihres Absenders. Unter weißer Propaganda versteht man eine Maßnahme die offen einem Absender zuzuordnen ist. Schwarze Propaganda gibt einen falschen oder fiktiven Absender an. Als graue Propaganda schließlich bezeichnet man Maßnahmen, die keinen Urheber angeben und auch sonst nicht anhand oberflächlicher Erkennungsmerkmale zuzuordnen sind. Graue Propaganda kann dem Empfänger aber durch ihren Inhalt Schlüsse auf den wirklichen oder fiktiven Absender erlauben. Es ist davon auszugehen, dass die USA, wenn auch unter anderen Begrifflichkeiten – und wie übrigens ihre Konfliktgegner – alle Arten der Absender wählen.
Zwar bezieht sich das IO-Konzept ausschließlich auf gegnerische bzw. neutrale Zielgruppen, aber nicht nur auf Krieg, sondern auch bereits auf Krise und Frieden.
Aus dieser Festlegung ergeben sich zwei Schwierigkeiten: Erstens sind die Übergänge zwischen Krieg, Krise und Frieden fließend und könne in verschiedenen Teilen der Welt nebeneinander bestehen. Zweitens bestehen nicht nur Krieg, Krise und Frieden nebeneinander, sondern Verbündete in einem Konflikt können Neutrale in einem anderen sein bzw. Konfliktgrenzen lösen sich bei asymmetrischen Konflikten auf.
Folgerichtig haben die USA nach dem 11. September 2001 ein „Office of Strategic Influence“ gegründet, das jedoch nach Protesten in den USA bereits knapp ein Jahr später geschlossen werden musste. Der damalige Verteidigungsminister Rumsfeld machte jedoch deutlich, dass dessen Funktion weiterbesteht: „And then there is the Office of Strategic Influence. ... You can have the name, but I’m gonna keep doing every single thing that needs to be done and I have“.
                  
Kritik am IO-Konzept
Die Kritik am IO-Konzept umfasst die mögliche eigene Anfälligkeit, die mögliche gegnerische Unverwundbarkeit sowie die geringe tatsächliche Wirkung, wobei fraglich ist, ob sich Informationen auf Zielgruppen beschränken lassen oder auch – und sei es über die involvierten Soldaten – Eingang in die US-Berichterstattung finden.
Die mögliche eigene Anfälligkeit ist umfassend und z.B. sowohl durch elektronische Maßnahmen (z.B. Viren, die sich auch gegen eigene Rechner richten) als auch durch Täuschung gegeben (eigene Kräfte sehen falsche Informationen, die der Gegner aufgegriffen hat ebenfalls auch richtig an). Die mögliche gegnerische Unverwundbarkeit gegen IO kann aus höherer oder niedrigerer Technologie resultieren, d.h. der Gegner kann entweder Maßnahmen unterlaufen, weil er von High-Tech-Angriffen nicht erreicht wird oder dagegen – wie bei allen militärischen Technologiesprüngen – eigene Technologie entwickelt hat.
Beiden Kritikpunkte kann man entgegnen, dass man die beschriebenen Probleme mit genauer Abstimmung der IO-Kräfte und Beschränkung des Einsatzes auf Kräfte vergleichbarerer Technologiestufe und permanente Weiterentwicklung von Technologie und Taktik vermeiden kann. Zudem lähmt ein Gegner sich selbst durch Anpassung an IO-Technologie und erschwert sein Handeln durch umfangreiche Schutzmaßnahmen.
Anders als dies auch im IO-Konzept klingen mag stellt Information lediglich einen weiteren Faktor neben Kräften, Raum und Zeit dar. Niemand glaubt, dass man mit IO allein einen militärischen Erfolg erreichen kann. Der Faktor Information erlaubt aber ein Engagement mit geringem Risiko von eigenen tödlichen Verlusten und Kollateralschäden, dass die anderen drei Rahmenbedingungen im eigenen Interesse beeinflussen kann. Gegnerisches Land wird nicht durch Rechner besetzt, genau so wenig wie durch Luftstreitkräfte. Wohl aber können Rechner- und Luftangriffe den „feet on the ground“ den Kampf erleichtern und ihre Verluste verringern. Allerdings können IO dann kontraproduktiv sein, wenn man nicht nur der militärischen Kommunikation der USA mit Vorsicht begegnet, sondern jeglicher Kommunikation staatlicher Stellen in den USA. Die Gefahr ist u.a. durch Ereignisse wie das Office of Strategic Influence und die Kommunikation im Zusammenhang mit der Bedrohung durch den Irak sehr real. Nur eine scharfe Trennung zwischen IO und ziviler Kommunikation des Pentagon kann beide Bereiche rehabilitieren – sofern das handwerklich möglich ist.
Gastbeitrag
                              
Quellen
Headquarters Department of the Army: Information Operations. Doctrine, Tactics, Techniques, and Procedures. Washington, DC, 28.11.2003. (Field Manual No. 3-13, approved for public release; distribution is unlimited).
Dieses Dokument ist zu finden unter: http://www.globalsecurity.org/military/library/policy/army/fm/3-13/index.html

Viele weitere US-Field Manuals sind zu finden unter: http://www.globalsecurity.org/military/library/policy/army/fm/index.html

Kanadische Erfahrungen finden sich unter: Jessica M. Davis: From Kosovo to Afghanistan: Canada and Information Operations unter: http://www.journal.forces.gc.ca/vo6/no3/informat-01-eng.asp