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Hürtgenwaldmarsch

Am 6. Oktober 1944 griffen die Alliierten nach dem schnellen Vormarsch durch Nordfrankreich die zwischen Aachen und Monschau stationierten deutschen Verbände an. Das bergige und bewaldete Gelände der Eifel erschwerte den Angriff und die Amerikaner stießen zudem auf eine gleichermaßen zähe wie geschickte Verteidigung der ausgezehrten deutschen Truppen. Jedes Jahr wird zum Gedenken an diese Kampfhandlungen und ihre Opfer ein Erinnerungsmarsch im Hürtgenwald durchgeführt. Am 13. Oktober 2018 fand der 35. Marsch statt.

Historischer Hintergrund
Der erste Angriff endete nach zehn Tagen, in denen die Amerikaner nicht einmal drei Kilometer gewonnen, aber rund 4.500 Mann verloren hatten. Rund 3.200 Deutsche waren gefallen.
Die erfolglose und abgekämpfte 9. US-Division wurde am 26. Oktober durch die 28. Division abgelöst.

Auf deutscher Seite kämpften viele Verbände wie z.B. die 275. und die 353. Infanteriedivison, die erst im besetzten Frankreich neu aufgestellt worden waren und zuvor bereits an der Invasionsfront schwerste Verluste erlitten hatten. Kaum eine Einheit hatte auch nur annähernd noch Sollstärke.

Am 2. November griffen die Amerikaner erneut an. Aus diesem Angriff entwickelte sich mit dem amerikanischen Vormarsch, einem deutschen Gegenangriff am 5. November sowie einer Vielzahl kleinerer Gefechte die verlustreiche "Allerseelenschlacht" in deren Verlauf die Amerikaner temporär zurückweichen mußten und neben einem erheblichen Blutzoll auch zahlreiche Soldaten durch Gefangennahme verloren.

Ein weiterer Angriff der 4. US-Division am 16. November verlief wiederrum äußerst verlustreich. Immer wieder kam es zu erfolgreichen Gegenstößen und lokal begrenzten deutschen Geländegewinnen.

Am 16. Dezember begann schließlich die für die Alliierten überraschende deutsche Ardennenoffensive und beendete den begrenzten Angriff auf die Eifel bis zum Scheitern dieser Offensive am 10. Januar 1945. Erst im Februar wurde nach über fünf Monaten das ursprüngliche Angriffsziel erreicht. Beide Seiten hatten jeweils rund 12.000 Gefallene zu beklagen.

Für das kollektive Gedächtnis der Amerikaner sind die Kämpfe im Hürtgenwald fast bedeutungsvoller als für die Deutschen. Für die beharrliche Verteidigung mag eine Rolle gespielt haben, dass die Alliierten jetzt erstmalig im Westen die Reichsgrenze überschritten hatten und, dass man eine Störung in der Flanke der bevorstehenden Ardennenoffensive verhindern wollte.
Seit der Landung in der Normandie, die am 6. Juni 1944 begann, hatten sie sich keinem derart harten, systematischen und lang anhaltenden Widerstand gegenüber gesehen. Das winterliche Deutschland, insbesondere die verlustreichen und kleinteiligen Waldkämpfe, in denen sie ihre Materialüberlegenheit nicht zur vollen Entfaltung bringen konnten, demoralisierten ihre Truppen.


Hürtgenwald heute
Im Hürtgenwald finden sich noch heute zahlreiche Reste der Kampfhandlungen und noch immer werden gefallene Soldaten gefunden (zuletzt 2015). Die riesigen Soldatenfriedhöfe mit den vielen, oft blutjungen Gefallenen machen traurig. Von daher ist es verständlich, dass man mit einem Marsch, also einer Veranstaltung, die zuallererst aktive oder ehemalige Soldaten anspricht, aber auch die Bevölkerung und zivile Gäste einbezieht, eine angemessene Erinnerungskultur etabliert. An der Stelle so vieler gefallener Soldaten, in vielen Fällen einfache Wehrpflichtige, hat jedenfalls in meinen Augen eine pauschale Verunglimpfung der Soldaten der Wehrmacht keinen Platz.

Ich war vor Jahren auf den deutschen Soldatenfriedhöfen und der Erinnerungsstätte der 116. Panzerdivision ("Windhund"-Division) gewesen und hatte mich jetzt zu einer Teilnahme am Gedenkmarsch entschieden, da ich den ganzen Sommer über aus Trainingsgründen für eine Reise viel mit Gepäck marschiert war.


Anmeldung zum Marsch beim Meldekopf in Vossenack


Zur Auswahl stehen 10-, 20-, 30- oder 40 km-Märsche bzw. 6-, 9- oder 12 km-Leistungsmärsche mit 15 kg Gepäck (selbst mitzubringen). Da ich ohnehin niemanden gefunden hatte, der Willens oder in der Lage gewesen wäre, mit mir zu marschieren, hatte ich mich für den 12-km Leistungsmarsch angemeldet - rund 25 Jahre, nachdem ich ihn zuletzt im Rahmen des Erwerbs des Leistungsabzeichens absolviert hatte. Im Training hatte ich zuletzt jedes einzelne Mal die vorgegebene Zeit von 2 Stunden um im Durchschnitt 10 Minuten unterschritten. Jetzt wollte ich nicht nur am Gedenken für die gefallenen Soldaten teilnehmen, sondern auch meine Bestzeit unter Wettkampfbedingungen verteidigen.

Da ich alleine war und nur um die 1,5 Stunden Anfahrt hatte, reiste ich nicht schon am Vorabend an. Man kann sich ab 6 Uhr im Sportheim in Vossenack anmelden. Das geht aber durchaus auch später und so war ich erst kurz nach 8 Uhr dort.

Ich hatte meinen 60 l-Rucksack mit Mineralwasserflaschen beschwert und Wolldecken ausgepolstert. Er wog fast 16 kg. 15 kg waren Pflicht. Ich trug eine leichte und atmungsaktive Jagdhose von Kuiu, Funktionsunterwäsche, eine Faserpelzweste und darüber eine ebenfalls atmungsaktive Jacke von Arcteryx, die man unter den Achseln weit öffnen konnte. Weste und Jacke ließ ich ich ganze Zeit offen. An den Füßen hatte ich zwei Paar Socken (gepolsterte Falke-Running-Socken und dicke Meindl-Strümpfe) sowie den leichten Bergschuh der Bundeswehr von Haix. Diese Stiefel waren schon arg mitgenommen und mehr als gut eingelaufen. Für eine längere Reise waren sie nichts mehr, aber bei diesem Marsch ging ich darin, wie in Pantoffeln.


Der Marsch
Der Parkplatz war zwar schon voll mit Zelten und Autos, es war aber um diese Uhrzeit noch kein Problem, einen Platz zu finden. Der vordere Teil der Wiese war von einer Reenactment-Gruppe in Beschlag genommen, die verschiedene originalgetreue Fahrzeuge und Zelte der US Army von 1945 aufgebaut hatten.

Genau genommen, war es eine große Wiese, auf der man gut und kostenlos hätte zelten können. Für den Vorabend eines anstrengenden Marsches ist das zwar keine optimale Übernachtungsmöglichkeit, aber für die Nacht nach dem Marsch und dem Rahmenprogramm ideal. Es gab Truppenverpflegung, es wurde gegrillt und es gab Getränke. Bei Temperaturen von um die 30 Grad wäre ich gerne abends dort geblieben, aber alleine machte mir das keinen Spaß.

Am Meldekopf stand ich rund eine halbe Stunde inmitten von Reservisten aller Altersstufen, Familien und aktiven Soldaten an. Die meisten Aktiven waren Amerikaner, Reservisten sah ich hauptsächlich aus Dänemark, Norwegen, Belgien, den Niederlanden und natürlich aus Deutschland.

Leider war die Anmeldung chaotisch und man mußte sich erst anstellen, um seine Teilnahme zu unterschreiben (eine Anmeldung ist dabei auch noch vor Ort möglich), dann mußte man von einem Tisch seine Teilnahmekarte nehmen (die Karten lagen bunt durcheinander) und sich schließlich mit Abmarsch-Uhrzeit registrieren lassen. Das Computersystem fiel allerdings aus und es dauerte eine ganze Weile, bis wir Wartenden genug Druck machen konnten, damit das Funktionspersonal so flexibel war, uns endlich mit manueller Zeitangabe und Unterschrift loslaufen zu lassen. Ich schämte mich etwas vor den Ausländern über dieses Fehlen von Ordnung und Flexibilität.

Dann ging es los und ich legte gleich ein so schnelles Tempo vor, wie bei meiner Generalprobe am Wochenende zuvor. Der Weg war gut ausgeschildert und der Strom der Teilnehmer ließ auch keine Zweifel aufkommen, wo ich langzugehen hatte.

Auf dem ersten Kilometer marschierte ich in der Nähe eines Reserveoffiziers der Jägertruppe, der etwa 6 oder 7 Jahre jünger war als ich und auch den 12 km-Leistungsmarsch absolvierte. Wir wechselten ein paar Worte und dann sah er geringschätzig an mir herunter und meinte "Deine Schrittlänge ist zu kurz für mich. Ich kenne das vom Marathon. So kann ich meine Zeit nicht erreichen." Dann fing er plötzlich an zu joggen und hängte sich an einen jungen Amerikaner, der eben an uns vorbeigelaufen war.


Reenactment trifft Realität


Ich machte weiter mein Tempo und überholte nach und nach alle möglichen anderen Marschteilnehmer. Irgendwann auch den Jägeroffizier, dem ich zu langsam gegangen war.
Am Rand gab es immer wieder Szenen, die von der Reenactment-Truppe nachgestellt wurden. Ich hatte aber keine Zeit, mich damit zu beschäftigen und marschierte stur mit Blick geradeaus weiter.

Es ging an einer Stelle relativ steil bergab und dann weiter durch ein Tal. Für einen Tag Mitte Oktober war es deutlich zu heiß und ich schwitzte wie verrückt.

Bald passierte ich den ersten Checkpoint und holte mir eine Unterschrift ab. Ich stürzte einen Becher Saft herunter, den es dort gab und marschierte weiter. Ich fühlte mich gut in Form und hielt mein Tempo wohl insgesamt bis dorthin seit rund 45 Minuten.

Dann stand ein erster Hinweis, dass 6 km erreicht waren. Ich war sehr gut in der Zeit und trank eine von 2 Capri Sonne-Tüten, die ich in der Jackentasche hatte. Ich hatte mich nicht mit einer Feldflasche beschweren und auch keine Zeit für das Ab- und Aufsetzen des 60 l-Rucksacks investieren wollen.

Dann aber begann eine harte, etwa ein oder eineinhalb Kilometer lange Strecke bergauf. Diese Steigung setzte mit zusammen mit dem Rucksackgewicht sehr zu. Ich zerlegte die Strecke, die ich vor mir sah gedanklich in Teilstrecken und überholte jeweils einige Leute vor mir. Das motivierte. Dennoch konnte ich mein Tempo nicht halten und blieb sogar drei oder vier Mal kurz stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Die Steigung war länger, als ich gehofft hatte und Kurven verhinderten, dass man das Ende sah.

Schließlich war es aber geschafft und ich nahm wieder mein altes Tempo auf. Ich trank die zweite und letzte Capri Sonne und überholte wieder reihenweise andere Marschteilnehmer: gruppenweise mit Fahne marschierende Amerikaner, einen Trupp Blondinen aus Dänemark, die laut Musik hörten und von denen einige Wikingerhelme aus Plastik am Rucksack führten, Familien, Leute mit Hunden, wieder und wieder in Kleingruppen gehende deutsche Reservisten und viele andere. Ich kam mir mit meiner verbissenen Marschiererei beim Überholen fast wie ein Spaßverderber vor.


Meine mobile Waschmöglichkeit für im Auto


Dann kam irgendwann ein Hinweisschild, dass man 9 Kilometer geschafft hatte. Ich lief weiter und passierte einen weiteren Checkpoint, an dem ich ein Glas Tee runterstürzte. Die starke Überanstrengung von dem Aufstieg war kaum noch spürbar. Das Wetter war herrlich warm und zugleich blies ein erfrischender leichter Wind. Das Ende war absehbar und ich war bester Stimmung.

Dann lief eine Amerikanerin in der alten US-Tarnuniform an mir vorbei. Wir wechselten ein paar Worte. Sie erklärte, sie sei über 60 und noch nicht so verweichlicht wie die jungen Leute. Die Soldaten früher hätten noch mehr ausgehalten. Dann erzählte sie irgendwas über ihre Vorfahren und dass ich falsch atmete, aber ich hörte nicht genau hin.
Um das Thema zu wechseln fragte ich sie, die schon einige Male mitgelaufen war, wann der nächste Checkpoint komme und sie erklärte, ich hätte ihn verpaßt und könne statt 12 jetzt nur noch 20 Kilometer laufen. Man hatte mir beim Abmarsch erklärt, dass ich nur der grünen Route, der 30 km-Strecke, folgen mußte um an das Ende der 12 km-Strecke zu kommen und so war ich verunsichert. Ich beschloss aber, nicht zurückzugehen, sondern dann eben 20 km zu marschieren. Naturgemäß verlangsamte ich das Tempo, weil ich meine Kraft für die jetzt längere Strecke einteilen wollte. Eigentlich hatte ich den letzten Kilometer joggen wollen.

Meine gute Stimmung war weg und ich marschierte stur weiter. Durchhalten, durchhalten. Dann eben 20 km. Aber als ich eben so in meinem Ärger weiterlief, sah ich wohl 100 Meter vor mir eine Menschentraube. Es war das 12 km-Ziel und ich blickte auf die Uhr. Doch richtig marschiert! Ich hatte noch gute 5 Minuten, um unter den geforderten 2 Stunden zu bleiben. 2 Minuten später war ich da und veranlasste den Obergefreiten, der die Zeit nahm, dies zu quittieren. Dann wog er meinen Rucksack und vermerkte auch diese Zahl. Geschafft.

Ich ließ mich neben der Strecke ins Gras fallen und trank etwas von dem Wasser, das ich als Gewicht mitgeführt hatte. Eine große Zahl Marschierer kam vorbei. Ich hörte, wie jemand einer Frau erklärte, was ein Leistungsmarsch ist.
Dann ging ich langsam zufrieden weiter. Nach dem harten Marschieren, latschte ich nun wie ein Sommerfrischler bis zum nur wenige hundert Meter entfernten Checkpoint für die 20er und 30er Marschierer. Eine Sanitäterin sah mich bedenklich an, weil ich so schwitzte und so betont langsam ging. "Alles in Ordnung?", fragte sie. Ich erklärte, dass ich meine Strecke geschafft hätte und bekam einen Apfel und noch einen Becher Saft.

Irgendwann fuhr ein kleiner Transporter mit mir und ein paar Amerikanern zum Meldekopf. Ich stellte mich wieder an, gab meine Karte ab, bekam eine kleine Urkunde und ging zum Auto, um mich frisch zu machen. Jetzt spielte Musik und ich hätte Lust gehabt, da zu bleiben, Bratwurst zu essen und ein paar Bier zu trinken.

Auf dem Rückweg schloß ich mich noch einer interessanten Besichtigung eines restaurierten Bunkers mit einem kundigen Führer vom örtlichen Geschichtsverein an.

Alles in allem eine tolle Veranstaltung, die ich sicher auch im kommenden Jahr besuchen werde.

Für den Leistungsmarsch ist eine solide Vorbereitung über drei Monate notwendig, da das Gewicht des Gepäcks den gesamten Bewegungsapparat von den Füßen bis zum Rücken sehr fordert. Marsch mit Gepäck trainiert man am besten durch Marsch mit Gepäck bei langsamem Steigern von Strecke und Gewicht.
Die 10- oder 20 km-Strecke ohne Zeitvorgabe sollte hingegen von nahezu jedem gut schaffbar sein. Eine gute Alternative sind die geführten Wanderungen an die historischen Stätten.