Mandela ist zweifelsohne eine der wichtigsten Personen in ganz Afrika gewesen, nicht nur in Südafrika. Er hat 1993/94 neben dem damals amtierenden weißen Präsidenten Frederik Willem de Klerk das Ende der Apartheit herbeigeführt und als vermutlich ausschlaggebende politische Kraft einen erfolgreichen, wenn auch nicht gewaltlosen Übergang ins neue Südafrika geschaffen. Seine große Leistung ist zweifelsohne der Pragmatismus im Übergang zum neuen Südafrika und sein Einfluss darauf, den Machtwechsel nicht zu der sonst weltweit üblichen blutigen Abrechnung werden zu lassen.
Nelson Mandela, ein Xhosa, besuchte zwei südafrikanische Universitäten und studierte Jura. Nachdem er als Anwalt bereits mehrfach mit den Behörden aneinander geraten war, weil er gegen die Apartheitspolitik (Rassentrennung) protestierte wurde er nach der Verwicklung in den bewaffneten Kampf gegen die Regierung 1962 inhaftiert und zu lebenslanger Haft verurteilt, die er 27 Jahre lang verbüßte.
Präsident de Klerk hatte Mandela 1985 angeboten, ihn aus der Haft zu entlassen, wenn Mandela der politisch motivierten Gewalt öffentlich abschwöre – Mandela weigerte sich jedoch beharrlich. Trotzdem sollten de Klerk und Mandela auf seltsame Art und Weise später das Schicksal Südafrikas gemeinsam bestimmen. So schreibt der Spiegel 1994 über das seltsame Verhältnis zwischen Mandela und de Klerk:
„…Mandela und de Klerk, stehen als Partner und Friedensnobelpreisträger zusammen, obwohl sich die beiden als politische Rivalen öffentlich heftig befehden. … Vergeben, aber nicht vergessen - der weiße Reformer und der schwarze Revolutionär sind auf Gedeih und Verderb aneinander geschmiedet: Nur Mandela kann den Weißen Frieden versprechen; und nur de Klerk kann dafür sorgen, dass die von Weißen beherrschte Wirtschaft das Vertrauen in die Zukunft nicht verliert.“
Allerdings wurde der allgemeine Prozess der Annäherung 1993/94 von in der Regel gewalttätigen Machtkämpfen zwischen dem ANC und der Zulu-Partei Inkatha überschattet. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzungen gab es geschätzte 30.000 Todesopfer. Die ersten Wahlen nach dem vollständigen Ende der Apartheid 1994 gewann der ANC. Mandela wurde Präsident und verantwortet wesentlich eine auf Aussöhnung und Ausgleich ausgerichtete Innenpolitik („Was geschehen ist, ist geschehen“; „Wat verby is verby“), zu der sein Nachfolger 1999, Thabo Mbeki, nicht in der Lage und willens war.
Mandela ist aber auch eine ambivalente Figur, ein ehemaliger Untergrundkämpfer und Terrorist. Vergessen wird heute allzu gerne, dass Mandelas Partei, der heute immer noch regierende African National Congress (ANC) keine Partei westlicher Prägung, sondern aus einer seit 1960 illegalen Untergrundorganisation mit dem bewaffneten Arm „Umkhoto we Sizwe“ („Speer der Nation“) hervorgegangen ist. Dieser wurde u.a. vom KGB und der Staatssicherheit der DDR bewaffnet und ausgebildet wie das Schwarzbuch des KGB enthüllt und verübte u.a. Bombenattentate gegen zivile Ziele, aber auch „Säuberungsaktionen“ in den eigenen Reihen und führte einen gnadenlosen Guerillakrieg gegen die südafrikanischen Behörden. Alleine das sogenannte „Church Street Bombing“ mit einer Autobombe am 20.5.1983 tötete 19 und verwundete 217 Menschen. Die ANC-Führer sind unter diesen Rahmenbedingungen sozialisiert worden und verhalten sich bis heute entsprechend.
Experten wie Stephen Ellis von der Universität Amsterdam erkennen die Führungsleistung Mandelas als brillant an, bewerten die tatsächlichen Erfolge des ANC beim Ende der Apartheid jedoch als gering. Nicht der Guerillakrieg, sondern Streiks und internationale Sanktionen haben demnach das alte Südafrika zu Fall gebracht.
Letztlich kann man aber heute, fast 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid nicht sagen, dass Südafrika ein Erfolgsmodell ist. Fast prophetisch hatte der Spiegel 1994 festgestellt:
„Für Afrika ist die Umwälzung [1994] so bedeutsam wie der Zusammenbruch des Kommunismus für Europa oder der Handschlag zwischen Israels Ministerpräsident Rabin und dem PLO-Vorsitzenden Arafat für den Nahen Osten. Nur: Wo in Afrika leben Völker und Stämme friedlich zusammen?
Seit dem Ende der Kolonialzeit sind weite Teile des Kontinents im Chaos versunken. …
Afrika bietet nicht ein einziges Beispiel für den gelungenen Aufbau einer freien und wohlhabenden Gesellschaft. Gescheitert sind auch zunächst vielversprechende Versuche, einen eigenen Weg zu finden. ... Nun fordern die Entrechteten und Benachteiligten Wiedergutmachung. …
Bleibt der Lohn der Freiheit indes aus, wird es kein Ende der Gewalt geben - und keine Zukunft für Südafrika. Millionen Schwarze glauben, dass nach der Wahl für sie ein goldenes Zeitalter anbrechen wird. Die Verheißungen von Mandelas Afrikanischem Nationalkongress (ANC) verstärken ihre Erwartungen. …
Innerhalb von fünf Jahren will die neue Regierung eine Million Häuser bauen, über eine Million Familien mit fließendem Wasser und Spülklosetts versorgen, 2,5 Millionen Haushalte ans Stromnetz anschließen. Alle Kinder, so verspricht das ANC-Wahlmanifest, sollen zehn Jahre lang kostenlos die Schule besuchen. Für Alte und Minderjährige ist ein Gratis-Gesundheitsdienst vorgesehen. Schon diese Pläne werden sich schwerlich finanzieren lassen. Viele Schwarze aber wollen mehr - sofort. Sie glauben, dass sie am Tag nach der Wahl den Weißen deren Farmen, Villen und Autos abnehmen können. …
Doch die werden ihr Eigentum nicht kampflos preisgeben. ‚Ein Siedler - eine Kugel‘, skandieren deshalb die Mitglieder des radikalen Panafrikanistischen Kongresses, dessen Untergrundarmee im vergangenen Jahr wahllos Weiße ermordete. Und selbst im ANC fordern Jugendliche in Sprechchören, wie neulich auf einer Großkundgebung im Orlando-Stadion von Soweto: ‚Tötet die Buren, tötet die Farmer!‘.“
Schon zu Lebzeiten Standbild in einer Shopping Mall |
Genauso ist es gekommen: Südafrikas Wirtschaft liegt am Boden und langfristige Investitionen bleiben aus, weil potenzielle Investoren die immer wieder geforderten Enteignungen von Grundbesitz, Minen und anderen Schlüsselindustrien fürchten. Die Kriminalität ist explodiert und stellt die eigentliche Geißel des modernen Südafrikas da. Eine Polizei, die in vielerlei Hinsicht überfordert, aber auch unfähig und korrupt ist (wie weite Teile der Behörden) wird nicht ansatzweise mit ihr fertig. Ein in gewisser Weise von der Welt geduldeter Genozid an weißen Farmern mit bislang fast 4.000 teilweise grausam gefolterten und ermordeten Opfern beraubt das Land seiner sicheren Lebensmittelversorgung und treibt die Weißen, die es sich leisten können, nach wie vor ins Ausland. Der schwarzen und farbigen Bevölkerung geht es nicht besser als früher, nur, dass sie jetzt auch noch die Hoffnung auf Veränderung verloren hat und deshalb anfällig für gewaltverherrlichende Parolen einiger Volkstribunen wie dem ehemaligen Chef der ANC-Jugendliga Julius Malema ist.
Vielleicht liegt es auch an dieser Situation, für die keine Aussicht auf Besserung besteht, dass man Mandela nicht gehen lassen will. Offenbar wird er künstlich am Leben erhalten, ohne dass auf den ersten Blick ersichtlich ist, wer eigentlich die Entscheidungen trifft: Seine große, zerstrittene Familie aus zahlreichen Enkeln, zwei Exfrauen und einer aktuellen Ehefrau, seine Großfamilie (Clan) Madiba aus dem Volk der Xhosa (nach dem er auch gerne von Bewunderern benannt wird) oder der ANC und seine Führungsclique.
Mandela wird Südafrika fehlen, da das politische und menschliche Format seiner Nachfolger bedauerlich gering ist. Trotz bereits wieder 99 blutigen Angriffen auf weiße Farmen und 27 Morde allein im Jahr 2013 glaubte Präsident Zuma ausgerechnet zu Ehren Mandelas am 25. Juni auf einem Gewerkschaftstreffen in Boksburg „Shoot the Boer“ und „Bring My Machinegun“ anstimmen zu müssen. Welch ein Zwerg huldigt da dem moralischen Riesen. Armes Südafrika. Ohne Mandela wird es noch ärmer sein.
Verweise
- Südafrikas Kriege: Gegen ANC und SWAPO
- Südafrikas Innere Lage: Die Weißen, die Schwarzen und die "Affirmative Action"
- Farmmorde
- Kriminalität in Südafrika