Psychologische Kriegführung im Hörfunk: Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg

Seit Ende des 19. Jahrhunderts nutzte man die psychologische Kriegführung durch Massenmedien wie Handzetteln, Flugblättern, Zeitungen und Zeitschriften systematisch und in großem Umfang als wichtige und systematische Ergänzung bewaffneter militärischer Macht. Nachdem die psychologische Kriegführung im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Entente-Mächte England und Frankreich und ihrer deutschen und österreichischen Gegner noch weitgehend auf Versuche beschränkt blieb, durch die Lancierung von Gerüchten, die Auswahl der Nachrichten durch Zensur und eigene Printmedien die Stimmung im gegnerischen oder neutralen Ausland und bei den eigenen Truppen zu beeinflussen, bedienten sich u.a. Deutsche und Briten im Zweiten Weltkrieg nun auch erfolgreich des Hörfunks, um die Moral der gegnerischen Truppen und Bevölkerung zu erschüttern.
Besonders herausragend waren dabei der Brite Sefton Delmer (auf alliierter Seite) und der Amerikaner William Joyce (auf deutscher Seite) auf einem Spezialgebiet der psychologischen Kriegführung tätig - der schwarzen Propaganda.
                  
Sefton Delmer - Vater der modernen psychologischen Kriegführung
Für die Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war seine Arbeit Vorbild für ihre eigenen Desinformationskampagnen gegen Bundesrepublik, Bundeswehr, NATO und Bonner Parteien. Er „stand geistig Pate. Sein Buch "Die Deutschen und ich" war für uns [das MfS] fast eine Art Bibel“ erklärten die MfS-Offiziere Bohnsack und Brehmer später in einem Enthüllungsbuch.
Sefton Delmer wurde 1904 in Berlin als Sohn eines australischen Universitätsprofessors geboren, verlebte seine Kindheit bis 1917 in Deutschland und absolvierte danach in England eine renommierte Privatschule und die Universität Oxford. Während seines Studiums der Geschichte verbrachte er mehrfach seine Ferien und ein Studiensemester in Deutschland, um dann nach seinem Examen 1927 zu seinen Eltern nach Berlin zurückzukehren. Er arbeitete fortan als Auslandskorrespondent in Berlin und schrieb schließlich fast ausschließlich für den „Daily Express“. Bei seiner journalistischen Arbeit begegnete Delmer früh Adolf Hitler und Ernst Röhm. Röhm war offenbar bemüht, über Delmer Nachrichten zu lancieren und den Westen z.B. von der Gefahrlosigkeit einer vergrößerten SA zu überzeugen. Schließlich wohnte Delmer, eingeladen von Röhm, nach eigener Aussage sogar einer Parade der SA bei, während der er sich als Mitglied von Röhms Stab ausgab: „es war ein großartiger Jux und eine fabelhafte Story“ beschrieb er sein Erlebnis. Er lernte über Röhm auch Hitler persönlich kennen und traf unter anderem Rudolf Heß und August Wilhelm, den Sohn des letzten deutschen Kaisers. Auch während der Frühphase der NS-Zeit ab Januar 1933 hatte Delmer weiterhin erstaunlich engen Kontakt mit der Führungsspitze der NSDAP und Zugang zu Veranstaltungen und Informationen wie kaum ein zweiter ausländischer Journalist. Von diesen Kenntnissen profitierte Delmer nicht nur journalistisch, sondern vor allem später, während seiner Propagandaarbeit im Zweiten Weltkrieg.
                               
Delmer spricht
                                                 
Nach der Veröffentlichung einer Liste von Opfern des „Röhm-Putsches“ 1934 im „Daily Express“ und der Vermutung, dass über 100 Personen der Säuberungsaktionen zum Opfer gefallen seien, wurde Delmer aus Deutschland ausgewiesen und berichtete in den folgenden Jahren aus Paris und dem Spanien des Bürgerkrieges. Gleich nach Kriegsbeginn begann er für den deutschsprachigen Dienst der BBC zu arbeiten und erwiderte unter anderem mit einer spontanen und nicht genehmigten Replik eine Rede von Hitler, die dieser im deutschen Rundfunk gehalten hatte. Der Rundfunk begann sich als Propagandamittel des neuen Krieges zu etablieren.
Im Verlaufe des Krieges gewann Rundfunkpropaganda eine immer größere Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird Propaganda verstanden als „geplante Versuche, ... durch Kommunikation die Meinung, Attitüden, Verhaltensweisen von Zielgruppen unter politischer Zielsetzung zu beeinflussen“ wie der Kommunikationswissenschaftler Hundhausen definiert.
Dabei unterscheidet man verschiedene Formen der Propaganda nach der Offenlegung ihres Absenders. Unter weißer Propaganda versteht man eine Maßnahme (z.B. Flugblatt, Hörfunksendung, Zeitung), die offen einem Absender zuzuordnen ist. Schwarze Propaganda aber gibt immer einen falschen oder fiktiven Absender oder Urheber an und verschleiert so Hintergrund und Herkunft ihrer Informationen.
Delmer arbeitete bald nur noch für die schwarze britische Propaganda gegen Deutschland. Er begründete unter anderem die Radiosender „Gustav Siegfried Eins“ und „Radio Calais“, die sich als deutsche Soldaten- bzw. Oppositionssender tarnten und eine Reihe verschiedener Funktionen hatten. „Gustav Siegfried Eins“ sollte die Existenz einer deutschen konservativen Opposition gegen Hitler vortäuschen, die Hörer mit oppositionellem Gedankengut versorgen, Gerüchte lancieren und Polizei, Gestapo und Abwehr verwirren und beschäftigen. Hauptsächlich sprach bei diesem Sender eine von Delmer erdachte Figur - „der Chef“. Er kommentierte angebliche oder wirkliche Missstände im Dritten Reich - von Ausschweifungen von Parteigrößen über Sonderzuteilung von Lebensmitteln bis zur Drückebergerei - im typischen Kasernenhofton und in der Ausdrucksweise eines konservativen und nationalistischen Militärs. Die Kritik kam also scheinbar nicht vom Kriegsgegner, sondern eben von einer deutschen und patriotischen Opposition. Der Sender „Radio Calais“ dagegen lancierte unter einer Flut anderer Beiträge (wie z.B. populärer Musik) versteckt zersetzende „Informationen“ für die Wehrmachtsangehörigen in Frankreich. Dieser Sender wurde von einer britischen Täuschungseinheit des SHAEF (Supreme Headquarter of the Allied Force Europe) betrieben. Ein weiterer Mitarbeiter dieses Senders war der spätere berüchtigte DDR-Chefkommentator Eduard von Schnitzler.
Die Deutschen betrieben während des Frankreichfeldzuges vergleichbare Sender wie z.B. „Radio Humanité“, der unter kommunistischer Tarnung wesentlich dazu beitrug, die gewaltige Flüchtlingswelle hinter den Linien der französischen Armee und des britischen Expeditionskorps auszulösen, ihren Widerstandswillen zu lähmen (angesichts der demoralisierenden Flüchtlingsströme) und so ihre Beweglichkeit zu hemmen und sie in ihrer Operationsfreiheit zu beeinträchtigen wie die Experten Buchbender und Hauschild beschreiben. Ein anderer schwarzer deutscher Sender, „Camerade du Nord“, versuchte vor Ausbruch der Kämpfe 1940 vom Schwarzwald aus den Eindruck zu erwecken, es handele sich um einen französischen Untergrundsender, der für eine Politik der Verständigung eintrat.
                 
Wehrmacht in Paris: Flüchtlingsströme hemmten Franzosen
                     
In der Tschechoslowakei hatte Rudolf Formis, ein ehemaliger Nationalsozialist und späterer Regimegegner einen schwarzen Sender gegen Hitler betrieben, bis er 1935 unter nie ganz geklärten Umständen getötet wurde. Der Kommunist Willi Münzberg, der nach Delmers Angaben „die Legende von den Nationalsozialisten, die den Reichstag angezündet hatten, so glänzend aufgebaut hatte“, hatte 1939 im Auftrag Frankreichs von Paris aus ebenfalls einen schwarzen Sender gegen Deutschland betrieben. Delmer wollte mit „Gustav Siegfried Eins“ aber einen ganz neuen Weg gehen. Er wollte auf den ersten Blick nicht einmal oppositionell sein, sondern im Gegenteil so tun, als stände er ganz hinter Hitler und dem Krieg: „dass wir mit einer superpatriotischen Tarnung für den neuen Sender im Stande wären, unter dem Deckmantel nationalsozialistischer und nationalbewusster Redensarten die gefährlichsten Gerüchte zu verbreiten“. Dementsprechend sprach der Sprecher, der dem Chef im Hörfunk seine Stimme lieh, der deutsche Emigrant Paul Sander, Angehöriger des britischen Pionierkorps, z.B. besonders drastisch von Churchill als einem „plattfüßigen Scheißkerl von einem besoffenen alten Juden“ und von „Speichelleckern im Führerhauptquartier“, von Hitler selbst aber - unbedingte Treue heuchelnd - nur als „dem Führer“ und von der Wehrmacht als „unseren tapferen Soldaten“. Delmer ließ den Chef die Parteifunktionäre gerade deshalb als Parteibonzen, Drückeberger und Feiglinge beschimpfen, weil sie seiner Meinung nach eine erstaunlich wirksame Arbeit leisteten und als „unermüdliche Kraft hinter dem Kriegswillen des deutschen Volkes standen“. Die Wirksamkeit dieser Gerüchte konnte unter anderem dadurch festgestellt werden, dass man deutsche Kriegsgefangene in alliierten Lagern unbemerkt abhörte oder deutsche Zeitungen auf Meldungen durchsah, die auf die Gerüchte zurückzuführen waren. Auf gleichem Wege und durch abgefangene Postsendungen in das neutrale Ausland konnten teilweise erstaunliche Details aus dem Alltagsleben von Größen des Dritten Reiches ermittelt werden, die geschickt verfälscht, übertrieben und abgeändert wurden. Außerdem gab „Gustav Siegfried Eins“ eine Reihe von fingierten Meldungen durch (z.B. die chiffrierte und absichtlich relativ leicht zu entschlüsselnde Meldung „Willy trifft Jochen Freitag fünfte Parkettreihe zweite Vorstellung im Union-Theater“), die die deutschen Behörden irreführen sollte.
Nach Kriegsende war Delmer in der Re-education in Deutschland beschäftigt und veröffentlichte in den 60er Jahren seine autobiographischen Werke „Trail Sinister“ und „Black Boomerang“, die in der deutschen Ausgabe „Die Deutschen und ich“ bald zum Lehrbuch für die Stasi wurden.

William Joyce. „Lord Haw Haw der deutschen Rundfunkpropaganda
Im Zweiten Weltkrieg arbeitete eine Reihe von Deutschen bei alliierten Hörfunksendern. Thomas Mann ist eines der bekanntesten Beispiele. Es arbeitete aber auch eine Reihe von Briten und Amerikanern für die deutsche Propaganda wie Edwards in einer Untersuchung schreibt. Das spektakulärste Beispiel ist William Joyce, der 1906 in Brooklyn als amerikanischer Staatsbürger geboren wurde. Seine Kindheit verbrachte er in Irland und England. Nach seinem Studium trat er der „British Union of Fascists“ von Oswald Mosley bei und wurde, nachdem er für Parteiführer Mosley mehrfach Reden geschrieben und vertretungsweise auch gehalten hatte, Propagandachef der Partei.
                         
Ein Bild aus Großbritannien: Mosley und Anhänger 
                                 
Die „Union of Fascists“ zeigte deutliche Parallelen zur NSDAP und verfügte auch über eine Unterorganisation wie die SA. In Anbetracht der sich zuspitzenden Situation am Vorabend des Zweiten Weltkrieges nutzte Joyce die Situation, dass einer seiner Bekannten mit guten Kontakten zur NSDAP nach Deutschland reiste, um sich über den ehemaligen England-Korrespondenten von Goebbels Zeitung „Der Angriff“, Christian Bauer, nach einer deutschen Staatsbürgerschaft und einer journalistischen Verwendung zu erkundigen. Kurz darauf gelangte er auf Umwegen über das Auswärtige Amt zum deutschen Hörfunk.
               
William Joyce nach seiner Gefangennahme
                            
Er arbeitete im Rundfunkhaus in Berlin-Charlottenburg für den englischsprachigen Auslandsdienst, der sich zu Kriegsbeginn bei den englischen Hörern offenbar relativ großer Beliebtheit erfreute. Später übernahm er die Sendungen von Norman Baillie-Stewart, einem ehemaligen englischen Offizier, der eine langjährige Haftstrafe wegen des Geheimnisverrates für Deutschland verbüßt hatte, aus der Armee ausgeschlossen worden war und nun für die Deutschen arbeitete. Baillie-Stewart sprach mit einer affektierten, aristokratisch klingenden Stimme, so dass er von der englischen Presse als „Lord Haw Haw“ bezeichnet wurde. Joyce imitierte die Sprechweise seines Vorgängers und übernahm deshalb auch seinen Spitznamen. Die Propagandasendungen des deutschen Hörfunks hatten täglich beinahe sechs Millionen regelmäßige und etwa 18 Millionen unregelmäßige Zuhörer wie Cole beschreibt.
Joyce schrieb aber auch Manuskripte für schwarze deutsche Propagandasender wie z.B. die „New British Broadcasting Station“. Er war nicht nur wegen seiner Detailkenntnisse von Örtlichkeiten und politischen Verhältnissen in England wichtig, sondern auch wegen der Quantität seiner Arbeit, denn allein mengenmäßig war seine Produktion offenbar eindrucksvoll. Auch das Niveau seiner Arbeiten war aus deutscher Sicht hoch. Er vermochte sein ständiges Thema immer wieder mit aktuellen Bezügen lebendig zu machen.
Im Mittelpunkt weißer und schwarzer Propagandasendungen aus Berlin stand der Versuch, Unruhe bei der englischen Zivilbevölkerung zu verursachen und einen Keil zwischen Bevölkerung und Behörden zu treiben. Man meldete angebliche Unfälle bei den britischen Homeguards und ihren Vorläuferorganisationen und die erfundene Verhaftung des deutschfreundlichen Herzogs von Windsor. Im Verlaufe des Krieges kamen mehrere Radiosender wie „Radio Caledonia, die Stimme Schottlands“ (angeblich von schottischen Separatisten betrieben) und „Workers Challenge“ (angeblich von regierungsfeindlichen englischen Arbeitern betrieben)sowie weitere mit religiöser und pazifistischer Ausrichtung. Teilweise arbeiteten freiwillige, aus den Kriegsgefangenenlagern rekrutierte Briten für diese Sender.
Im Auftrag des Auswärtigen Amtes verfasste Joyce auch das Buch „Twilight over England“, das sowohl in den noch neutralen Vereinigten Staaten, als auch in Indien und anderen Ländern verteilt wurde und neben antisemitische Thesen die Kernaussage enthielt, dass Joyce England verlassen habe, um gegen die englische Regierung zu kämpfen. Die Engländer sollten nach einer Niederlage ihren Genius und ihren Charakter bei dem Aufbau einer neuen Welt nach dem Vorbild Hitlers einsetzen. Das Buch wurde auch in den deutschen Kriegsgefangenenlagern verteilt.
Die deutschen Propagandasender wurden bis Kriegsende betrieben, dann erhielten die Mitglieder des englischen Dienstes Geld und falsche Papiere. Joyce wurde jedoch verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das Gerichtsverfahren bleibt wegen der Frage der Zuständigkeit der britischen Justiz und der Anklage des Verrats bis heute umstritten, denn Joyce war durch Geburt Amerikaner, besaß einen durch Betrug erworbenen englischen Pass und hatte schließlich auch noch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Hörfunkpropaganda im Kalten Krieg
Joyce und Delmer bedienten sich beide des relativ neuen Mediums Hörfunk in einer relativ neuen Art und Weise. Die Hörfunkpropaganda blieb aber keineswegs auf den Zweiten Weltkrieg beschränkt. Die DDR und die Sowjetunion betrieben in den 60er Jahren im Stil der weißen und schwarzen Propaganda eine Reihe von Radiosendern unterschiedlichster Art, die sich teilweise direkt an die Soldaten der Bundeswehr oder die bundesdeutsche Bevölkerung richteten. Dazu gehörten die deutschen Programme von Radio Moskau, der sowjetische Soldatensender „Wolga“, die weißen sowjetischen Sender wie der „Deutschlandsender“ oder der „Berliner Rundfunk“ und „Radio Leipzig“. Weiterhin zählten dazu die ostdeutschen Sender „Deutscher Freiheitssender 904“, der auf 904 Kilohertz seit 1965 ausstrahlte und versuchte, den Eindruck zu erwecken, es handele sich um einen westdeutschen Untergrundsender, und der „Deutsche Soldatensender 935“, der auf 935 Kilohertz seit 1960 ausstrahlte. Diese ostdeutschen Sender strahlten beide auf sowjetischen Frequenzen aus. Die Sendeanlagen standen in der Nähe von Reesen im Bezirk Magdeburg, die Redaktionen befanden sich in Ostberlin. Dennoch versuchte der Sender 904 ähnlich wie im Zweiten Weltkrieg der „Chef“ in einem der Sender Delmers, den Eindruck zu erwecken, es handele sich um einen konspirativ arbeitenden Sender, der das Programm gelegentlich aus Vorsicht vor der westdeutschen Polizei unterbrechen müsse. Entsprechend stellte er sich auch vor: „Hier ist der Deutsche Freiheitssender 904 auf Mittelwelle 331,9 Meter gleich 904 Kilohertz. Der einzige Sender in der Bundesrepublik, der nicht unter Regierungskontrolle steht“.
Beide Sender spielten erstaunlicherweise ausgerechnet modernste westliche Musik, um ihre politischen Botschaften weitgehend unentdeckt unterzubringen. Das leitende Personal bestand zum überwiegenden Teil aus altgedienten Kommunisten, von denen einige zunächst nach 1945 im Westen gearbeitet hatten wie Lea Grosse, im Krieg als Sprecherin bei der sowjetischen Kampfpropaganda beschäftigt, Bruno Winzer, ehemaliger Presseoffizier und Deserteur der Bundeswehr (er "desertierte" später wieder aus der DDR) und Emil Karlebach, KPD-Mitglied und erster Lizenzinhaber der „Frankfurter Rundschau“ vor seiner Übersiedlung in die DDR.            
                               
Bruno Winzer präsentiert angebliche Angriffspläne der NATO
                      
Soldaten der NVA verstärkten die Mannschaft. Ähnlich wie Delmers Sender versuchten auch diese Sender durch scheinbar konspirative Durchsagen den Eindruck zu erwecken, sie gäben Mitteilungen an eine in Wirklichkeit zumindest nicht in dieser Form existierende Untergrundbewegung im Westen durch. Eine weitere Aufgabe war die Störung der westdeutschen Gesellschaftskohäsion (führende Politiker wurden diskreditiert wie der ehemalige Bundespräsident Lübke als „KZ-Baumeister“, die CDU/CSU und die Vertriebenenverbände als unbelehrbare Nationalsozialisten), des NATO-Bündnisses (die Militärdiktatur in Griechenland sollte Misstrauen berechtigt erscheinen lassen) und der Bundeswehr (von der Diskreditierung des damaligen Verteidigungsministers Helmut Schmidt über die Entlarvung angeblicher „Hitler-Generale“ bis zur Beantwortung angeblicher besorgter Hörerbriefe westdeutscher Mannschaftsdienstgrade, die nach der Friedensliebe der NVA fragten). Allein die ostdeutschen Sender konnten bis zu einer Tiefe von 200 Kilometern in die Bundesrepublik einstrahlen. Der „Soldatensender“ verbreitete aber nicht nur unter anderem Falschmeldungen über Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr, z.B. über ihre angebliche NS-Vergangenheit, brutale Ausbildungsmethoden oder extreme politische Betätigung in der Bundesrepublik, sondern er wurde nach einigen Untersuchungen Ende der 60er Jahre zeitweilig auch von über zwei Dritteln der Mannschaften der Bundeswehr wenigstens gelegentlich aus unterschiedlichster Motivation gehört. Neben der Musik spielte der Glaube an die Informiertheit der Sender, z.B. über bevorstehende Alarme oder andere Interna in der Bundeswehr eine große Rolle. Ähnlich wie ihre Vorgänger im Zweiten Weltkrieg werteten sie westdeutsche Medien aus. Dazu zählten Provinzblätter wegen der Details aus den Standorten, die überregionale Presse, die über Berlin sehr aktuell verarbeitet werden konnte und auch die Truppeninformation der Bundeswehr selbst. Sie erhielten auch Informationen in weit geringerem Maße von Vertrauensleuten im Westen. Sie erweckten aber den Eindruck über ein großes Untergrund- und Informantennetz zu verfügen. Die Gegenstrategie im Westen bestand z.B. darin, dass schwarze Sendungen aufgezeichnet und im Rahmen der politischen Bildung der Bundeswehr vorgespielt wurden. Herkunft und Absicht waren in den meisten Fällen offenkundig. Aber sie wurden gehört. Der sowjetische Sender „Wolga“ richtete sich in erster Linie an sowjetische Soldaten (ab 12.9.1945 unter Leitung der sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, ab 1953 unter Leitung der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland), strahlte aber sogar bis nach Kanada und brachte auch Sendungen wie „DDR am Mikrophon“ oder „Die Menschen des neuen Deutschland“, um „in Verstand und Herz unserer Rundfunkhörer, die in vorderster Linie auf Wache stehen, einzudringen, ihnen neue Kraft und Energie zu verleihen“ wie Kravtschenko schreibt.
Im Gegenzug stellte die Bundeswehr nach Berichten des Spiegel offenbar Versuche mit einem eigenen Sender für die Bevölkerung an: „Analog zu dem Andernacher Rundfunkbataillon, das im Ernstfall den militärischen Gegner zu beschallen hat, sollten die Kölner [der Verband operierte von einer Kölner Kaserne aus] beim Ausfall der zivilen Sender die Unterrichtung der eigenen Truppe übernehmen“. Der Spiegel berichtete am 18.5.1971 über die angeblichen Pläne von der Hardthöhe, ein Äquivalent zu den DDR-Sendern zu schaffen, sei es mit Hilfe eines bundeswehreigenen Hörfunksender oder sogar mit einem eigenen Fernsehprogramm. Auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 1961 war aber bereits Adenauers Versuch eines bundeseigenen Fernsehprogramms gescheitert. Es darf auch bezweifelt werden, dass selbst in der Höchstphase des Kalten Krieges die Bundesrepublik der DDR vergleichbare Methoden gewählt hätte.
                 
Die alte Bundeswehr: Im Fokus der DDR-Hörfunk-Propaganda
                            
Die Kontrollmechanismen in der DDR aber verhinderten vielfach aber, dass bestimmte Zielgruppen vom Westen aus durch Radiosendungen erreicht werden konnten. Insbesondere den Angehörigen der Grenztruppen war es verboten, westliche Medien zu empfangen: „Was der GT-(Grenztruppen-)Angehörige denkt, welche Motive ihn bewegen, was er fühlt und wie er handelt, das alles interessiert. Der GT-Soldat hat mit Ausnahme seiner vier Wände praktisch keine Privatsphäre. Und sogar in diese wird ihm hineinregiert“ wie Lapp beschreibt. Im Gegenzug operierte die psychologische Verteidigung der Bundeswehr (die PSV-Truppe und Vorläufer der heutigen Operativen Information) deshalb mit Flugblättern, die mittels Ballonen über die Grenze versandt wurden und z.B. Soldaten der Grenztruppen aufforderten, nicht auf so genannte „Republikflüchtlinge“ zu schießen. Stattdessen sollten Grenztruppenangehörige mittels einer Flugblattaktion 1972 zum Nachdenken über ihre Handlungsweise bei Fluchtversuchen angeregt werden. Zahlreiche Zuschriften haben das Interesse an Informationen bestätigt wie Dinkel belegt.
Andererseits ist aber bei der Beurteilung dieser Aktionen zu bedenken, dass die Einteilung der Grenzer nach Zuverlässigkeitskriterien durch die Kompaniechefs dazu führte, dass Posten und Streifen der Grenztruppen immer bestimmte Zusammensetzungen hatten, um Fluchtversuche zu verhindern. Das dürfte auch die Kommunikation mit Flugblättern erschwert haben. Die PSV-Truppe verfügte außerdem über einen eigenen Mittelwellensender von 80 Kilowatt Leistung und einer Reichweite von mehr als 200 Kilometern. Schwarze Propaganda vergleichbar mit den anderen Beispielen war aber nie Aufgabe der Bundeswehr.
Sender wie die „Deutsche Welle“ oder öffentlich-rechtliches Fernsehen und Hörfunk von ARD und ZDF wirkten ebenfalls medial im Sinne einer Korrektur des Weltbildes des „realexistierenden Sozialismus“. Aber auch Sender wie „Radio Free Europe“ und „Radio Liberty“, die von den Amerikanern von München aus betrieben wurden und Programme in den Sprachen der Völker Süd- und Osteuropas ausstrahlten, wurden vom Ostblock als Propagandainstrumente bezeichnet, um geschickt und getarnt das „antikommunistische Gift in die sozialistischen Länder einzuschleusen“ wie NVA-Oberstleutnant Hartke 1981 beschrieb.
                                 
Sendeanlage von Radio Liberty bei Biblis
                      
Die westlichen Sender erfreuten sich durch ihr Programm, durch Musik, Spielfilme, Mode und Informationsgenauigkeit großen Interesses. Auch die Sowjetunion empfand diese Rundfunksendungen deshalb als gefährlichen psychologischen Krieg, als „Teil des ideologischen Kampfes“ wie der sowjetische Offizier Tschuprov 1982 schreibt. Wie viel Anteil die Information an den Umwälzungen im Ostblock hatte, wird letztendlich nicht zu eruieren sein, verschiedene Veröffentlichungen und die Arten der Gegenmaßnahmen sprechen aber dafür, für wie gefährlich Informationen aus dem Westen gehalten wurden.
Angesichts solch machtvoller Faktoren wie den globalen Umwälzungen Ende der 80er Jahre, die mit den (medienwirksamen) Stichworten Glasnost in der Sowjetunion und Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung beschrieben werden können, wird die Schwarze Propaganda der Hochzeit des kalten Krieges oft genug vernachlässigt. In der Tat ist der Einfluss der doppelten Berichterstattung über das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in den DDR-Medien und denen aus der Bundesrepublik zweifellos enorm gewesen, auch wenn er bislang nicht genau qualifiziert werden kann. Die Version des DDR-Fernsehens von der Niederschlagung konterrevolutionärer Kräfte, die mit ausländischer Hilfe einen Umsturz geplant hätten unterschied sich, wie Wienfried Scharlau zu Recht betont, zu sehr von der Berichterstattung der westlichen Medien und den Bildern.

Resümee
Bei allen genannten Beispielen der schwarzen Hörfunkpropaganda ist zu konstatieren, dass es im Wesentlichen um zwei Ziele geht: zum einen um Schaffung von Unsicherheit, zum anderen um Zerstörung/Beeinträchtigung von Bindung (Regierung und Bevölkerung, Soldaten und militärische Führung/Vorgesetzte). Bei allen Fällen bedient man sich der Glaubwürdigkeit gegnerischer offizieller oder vertrauenswürdiger Stellen (Soldatensender oder zumindest von Soldaten oder Patrioten betriebener Sender) und verbirgt Falschinformationen in einem relativ großen Anteil wahrer Informationen oder unauffälligen Programms (z.B. Musik). Welche Wirkung schwarze Propaganda hat, ist aus der Perspektive der empirischen Sozialforschung schwer zu eruieren, denn Befragungen von Überläufern oder Kriegsgefangenen können zum einen kaum alle Faktoren differenzieren, die zu dieser Entscheidung geführt haben, zum anderen ist zu vermuten, dass die Kriegseindrücke, die Rechtfertigung des eigenen Handelns oder auch der Wunsch nach guter Behandlung zu Verzerrungen führen. Aber alle genannten Beispiele sprechen für den Erfolg von massenmedial verbreiteten und sozusagen maskierten Botschaften, politischen und militärischen Stellen „Sand ins Getriebe zu streuen“. Schwarze Propaganda kann sicherlich nur im Zusammenhang mit anderen Formen der Beeinflussung und der Gesamtkriegslage wirksam sein. Falschmeldungen und Gerüchte können sich wie Computerviren heimtückisch, schwer zu identifizieren und zu bekämpfen weiter verbreiten. Das impliziert beispielsweise auch Befürchtungen für relativ neue Medien wie das Internet. Die Möglichkeiten Schwarzer Propaganda sind mit dem Kalten Krieg keineswegs verschwunden.

Verweise
Information als Waffe: Information Operations der US-Streitkräfte
Täuschung in militärischen Konflikten
Krieg im Dunklen: Desinformation und Aufklärung der Staatssicherheit
                           
Literatur

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- O. Buchbender: Das tönende Erz. Deutsche Propaganda gegen die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg. Stuttgart 1978.
- J.A. Cole: Hier spricht der Großdeutsche Rundfunk. Der Fall Lord Haw-Haw. Wien 1965.
- S. Delmer: Die Deutschen und ich. Lengerich 1962.
- A. Dinkel: Das Wort als Waffe. Psychologische Verteidigung - eine ungewöhnliche Truppe. In: Luftwaffe 9/87.
- J.C. Edwards: Berlin Calling. American Broadcasters in Service to the Third Reich. New York 1991.
- K. Hartke: Zur Rolle der funkelektronischen Medien in der ideologischen Diversion der NATO-Staaten. In: Militärwesen 10/1981.
- A. Hartmann: Hörfunk per Post und live. Fernmeldebataillon 950 Operative Information - das Zuhause von Radio Andernbach. In: Bundeswehr aktuell 22.8.1996.
- E. Howe: Die schwarze Propaganda. München 1983.
- C. Hundhausen: Propaganda. Grundlagen, Prinzipien, Materialien, Quellen. Essen 1975.
- A. Kravtschenko: Govorit radiostancija „Volga“ (Hier spricht der Sender „Wolga“). In: Voennyj Vestnik 6/1975.
- P.J. Lapp: Frontdienst im Frieden. Die Grenztruppen der DDR. Koblenz 1987.
- P. Lendvai: Der Medienkrieg. Wie kommunistische Regierungen mit Nachrichten Politik machen. Frankfurt a.M. 1980.
- PSV Senderbataillon 1 (Hg.): Der „Deutsche Freiheitssender 904“ und der „Deutsche Soldatensender 935“. O.O. 1971.
- W. Scharlau: Globalisierung und Demokratie. Einfluß der Medien auf politische Verhältnisse. In: Informationen für die Truppe 7-8/1997.
- S. Tschuprov: Psichologitscheskaja vojna bundesvera (Die psychologische Kriegführung der Bundeswehr). In: Voennyj Vestnik Nr. 12, 1982.
- B. Wittek: Der britische Ätherkrieg gegen das Dritte Reich. Die deutschsprachigen Kriegssendungen der British Broadcasting Corporation. Münster 1962.