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Kein Recht auf Selbstverteidigung?

Der Zeitpunkt für Diskussionen um das Recht auf Selbstverteidigung ist denkbar schlecht: In der Bundesrepublik wird der private Legalwaffenbesitz inzwischen mittels steuerlicher, administrativer und rechtlicher Hindernisse immer weiter erschwert und ist per Definition rechtlich nicht zur Selbstverteidigung zugelassen. Das Führen nicht-lethaler Waffen zum Selbstschutz ist ebenfalls kaum möglich. Wer nicht zur kleinen und privilegierten Gruppe der Waffenscheininhaber zählt, darf faktisch keine wirksame Selbstverteidigung ausüben. Natürlich stehen ihm unsere staatlichen Institutionen wie Polizei und Ordnungsamt zum Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum zur Verfügung. Aber wird nicht gerade jetzt der Tod von Dominik Brunner vor Gericht verhandelt? Der Tod eines Mannes, der wie viele Medien und Armchair-Experts immer wieder betont haben, "alles richtig gemacht hat". Vielleicht ist jetzt doch ein glücklicher Zeitpunkt, diese Frage zu diskutieren. Wir wollen mit diesem folgenden Beitrag zur - natürlich ergebnissoffenen - Diskussion einladen und unsere Leser um aktive Beteiligung bitten.
Der Fall Brunner: Einige Kinder wurden in der S-Bahn von mehreren aggressiven Jugendlichen (17 und 18 Jahre alt) bedroht. Brunner hat sich als Einzelner dazwischen gestellt, er hat "Zivilcourage" bewiesen (ein schönes Wort an Stelle des altmodischen Begriffs "Mut", der möglicherweise auch in einem militärischen Kontext "mißbraucht" werden könnte). Brunner hat sein Eintreten für die Kinder nach 22 Schlägen und Tritten gegen Körper und Kopf mit dem Leben bezahlt. Jetzt diskutieren sie gerade, ob Brunner, der irgendwann ein paar Stunden Boxunterricht genommen hatte, irgendwie selbst schuld ist (er hat angeblich als erster geschlagen) oder sagen wir Mal ohnehin krank war (er hatte angeblich ein schwaches Herz). Natürlich wird die Diskussion nicht genau so wörtlich geführt. Aber natürlich geht sie in diese Richtung. Brunner wird dadurch demontiert und schlimmer noch, das Eintreten für Schwächere und die Selbstverteidigung (in diesem Fall ohne Waffen) werden ebenfalls demontiert.

        
Brunners Tod ist kein Einzelfall. Regelmäßig wird die bundesdeutsche Öffentlichkeit von Berichten über Gewalttaten mit Toten oder Schwerverletzten im öffentlichen Raum aufgeschreckt. Erinnern Sie sich noch an ein paar Beispiele, die im Gegensatz zu vielen anderen Vorfällen durch die Medien geisterten?
                  
Im Karneval 2007 griffen in Köln fünf Jugendliche den 43-jährigen Familienvater Waldemar W. im Beisein seiner beiden Kinder grundlos an. Der 17-jährige Haupttäter Erdinc S. schlug und trat das Opfer so, dass es ins Koma fiel und dauerhaft schwer behindert und arbeitsunfähig bleibt.
           
Im Dezember 2007 wurde der Rentner Bruno N. (75) im U-Bahnhof Arabellapark in München durch Schläge und Tritte des 17-jährigen Spyridon L. Und des 20-jährigen Serkan A. schwer verletzt. Er trug einen Schädelbruch und bleibende Schäden davon. Anlaß war, dass das Opfer die Jugendlichen aufgefordert hatte, in der U-Bahn nicht zu rauchen.
                
Im Dezember 2008 wurde ein 34-jähriger Mann (Vater von zwei Mädchen) von vier Jugendlichen von 17 bis 19 Jahren im Berliner U-Bahnhof Haselhorst grundlos angegriffen und durch Schläge und Tritte so schwer verletzt, dass er nach Kopfverletzungen und einer Hirnblutung Folgeschäden davon trug.

          
Im Februar 2010 überfallen vier Jugendliche (17 bis 19) einen Mann (58) an der S-Bahn-Haltestelle München Eching, um ihm 50 Euro für Alkohol abzunehmen. Als er nicht genug Geld hat, schlagen und treten sie ihn. Er kam schwerverletzt ins Krankenhaus.
        
Im Sommer 2010 wurde in Hamburg ein 19jähriger von dem 17-jährigen Elias A. gezielt provoziert und erstochen. Der Täter posiert treffend martialisch auf im Internet verbreiteten Bildern mit Gangmitgliedern. Allein in Hamburg werden im Verlauf dieses Sommers zwei weitere Jugendliche durch Messerstiche schwer verletzt, einer getötet.
        
Wir wollen die Aufzählung der Beispiele hier abbrechen. Zwischen 1993 und 2009 ist die Gewaltkriminaliät aller Altersgruppen dramatisch angestiegen: Bei der vorsätzlichen leichten Körperverletzung haben sich die Fälle mehr als verdoppelt (plus 104 Prozent auf 188.540 Fälle). Die gefährlichen und schweren Körperverletzungen sind um 70 Prozent gestiegen. Zudem gibt es bei der Gewaltkriminalität seit 1993 eine Zunahme von rund 30 Prozent auf 208.446 Fälle. Bereits Jugendliche bis 18 Jahre begehen pro Jahr rund 67.000 Fälle schwerer Körperverletzung. Dies sind naturgemäß nur die aktenkundig gewordenen Fälle. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind überproportional oft beteiligt. Wer möchte, kann z.B. hier oder hier weiterlesen. Wer lächelt, weil viele Berichte aus der Bild-Zeitung kommen, sollte dadurch eher nachdenklich gestimmt werden. In zu vielen anderen Tageszeitungen schrumpfen solche Berichte dramatisch zusammen und landen unter "Vermischtes" oder sie werden so entstellt berichtet, als handele es sich um eine lustige Keilerei in einem dörflichen Bierzelt.
Gemeinsam ist diesen Fällen, dass es keinen vorangegangenen Konflikt zwischen Täter und Opfer und keine Möglichkeit für das Opfer wegzulaufen und einem gewaltsamen Konflikt auszuweichen gab. Oft genug bleibt es bei Bewährungs- oder Geldstrafen.
              
Was haben diese Gewalttaten mit privatem Legalwaffenbesitz zu tun? Soll dieser Beitrag für das Concealed Carry Permit in Deutschland werben? Nein. Der Beitrag soll auf ein starkes Ungleichgewicht verweisen und zwar auf das zwischen der Wahrnehmung, der Bewertung und der Aktivitäten gegen reale Gewalt im Gegensatz zu der angeblichen Gefahr durch Legalwaffenbesitz.
Bis auf den Weißen Ring, gibt es so gut wie keine Organisationen, die sich gegen diese Formen realer Gewalt engagieren oder den Opfern beistehen. Es gibt keine 100.000 Unterschriften, die in Berlin übergeben werden, keine Diskussion zur anlaßlosen Kontrolle des Wohnumfelds solcher Tätergruppen, kein selbsternanntes Aktionsbündnis und niemand fragt diese Verbrechensopfer oder deren Angehörige um Rat, wenn neue Gesetze gegen Straßengewalt beschlossen werden sollen. Auch von der Mini-Gewerkschaft BDK hört man keinen entscheidenden Beitrag dazu.
         
Aber wir haben ja auch eine Polizei. Aber die Polizei wird zunehmend selbst zum Gewaltopfer und der Eigenschutz spielt eine immer wichtigere Rolle. Jeder zweite Polizist ist inzwischen selbst Gewaltopfer geworden. Auch hier schaffen es nur wenige spektakuläre Fälle in die Berichterstattung zu kommen. Ein Bundespolizist wies Muhammed A. (16) und Cantekin E. (21) auf ein Rauchverbot in der Bahn hin und wurde zusammengeschlagen. In einem anderen, ähnlichen  Fall wird ein Polizist von einem 16-jährigen zusammengeschlagen. Die Polizei verschweigt die Tat zunächst, um "freundlicherweise" Bahnreisende nicht zu beunruhigen.
Eine weitere Gemeinsamkeit vieler Gewalttaten ist das Fehlen von Hilfe, also das Fehlen von Polizei oder privaten Sicherheitskräften aus weiten Teilen des öffentlichen Raumes. Der Verfasser dieses Artikels wurde selbst vor rund eineinhalb Jahren an der bestens mit Video überwachten U-Bahnhaltestelle einer deutschen Großstadt von mehreren weinenden Kindern um Hilfe gebeten, die neben einer ganzen Zahl Erwachsener von einem brüllenden, handgreiflichen Mann belästigt wurden. Niemand der Umstehenden griff ein und Anrufe bei der Notrufnummer der Verkehrsbetriebe wurden nicht angenommen. Die Auseinandersetzung dauert über 15 Minuten, bis die Kinder unbelästigt in eine Bahn steigen konnten, ohne dass ihnen der Mann folgte. In dieser Zeit traf trotz der Lautstärke des Konfliktes und der Videoüberwachung keine Hilfe ein.

                   
Dominik Brunner war offenbar fit und gesund genug, sich körperlich zu wehren, nachdem ihm nicht anderes mehr übrig blieb und trotz seines Notrufes keine polizeiliche Unterstützung eintraf. Aber er war nicht fit genug, es mit mehreren Gewalttätern gleichzeitig aufzunehmen. Sehr wenige Menschen dürften über einen Ausbildungs- und Gesundheitszustand verfügen, die ihnen erlaubt, eine körperliche Auseinandersetzung mit mehreren gewalttätigen Jugendlichen ohne nennenswerte Verletzung zu überstehen. Zwar könnten theoretisch Hilfsmittel körperlicher Gewalt dazu dienen, wenigstens unverletzt die Flucht antreten zu können, aber nach einigen Waffenrechtsverschärfungen gibt es so gut wie keine legalen Hilfsmittel körperlicher Gewalt mehr, die ein rechtstreuer Bürger zur effektiven Selbstverteidigung oder zur Verteidigung hilfsbedürftiger Mitbürger mit sich Führen darf. So sind u.a. verboten:
  • alle Hieb- und Stoßwaffen (z.B. auch ein Gummiknüppel oder Teleskopschlagstock wie sie die Polizei verwendet)
  • alle Einhand-Klappmesser sowie alle Messer über 12 cm Klingenlänge (es sei denn man befindet sich gerade auf der Jagd, beim Angeln oder bei der entsprechenden Brauchtumspflege oder verfolgt einen anderen sozialadäquaten Zweck – wozu ausdrücklich nicht die Selbstverteidigung gehört)
  • Pfeffer-Sprays in Dosen oder Pfeffer-Munition in Gaspistolen (erlaubt ist hingegen das wesentlich schwächere CS-Gas, in einer Gaspistole jedoch nur, wenn man kein Polizist ist, sofern man über den behördlich ausgestellten so genannten „Kleinen Waffenschein“ verfügt)
  • Elekrodistanz-Geräte wie z.B. der „Taser“, die es erlauben, einen Angreifer aus der Distanz einiger Meter außer Gefecht zu setzen (auch diese stehen nur der Polizei zur Verfügung)
  • Und natürlich - anders als z.B. in Österreich - alle Schußwaffen, sogar in der privaten Wohnung

Fassen wir zusammen: Nahezu alle nicht-lethalen Hilfsmittel zur wirksamen Verteidigung gegenüber Angriffen im öffentlichen Raum oder auch zu Hause sind verboten. Es gibt eine dramatische Zunahme von Gewaltdelikten und zwar was deren Anzahl, aber auch was deren Qualität (Verletzungen oder Tötung) angeht. Auch ein sich defensiv verhaltender Bürger kann im öffentlichen Raum nicht mehr davon ausgehen, sicher zu sein, insbesondere dann, wenn er öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder sich dort zu bestimmten Uhrzeiten und/oder an bestimmten Orten aufhält. Gewaltbereite Kriminelle werden offenbar nicht systematisch entwaffnet und so verfolgt, dass sie an der Ausübung weiterer Taten wirksam gehindert werden (Mehrfachtäter-Problematik z.B. im Zusammenhang mit anlaßloser Kontrolle und Aufenthaltsverboten). Gleichzeitig wird eine Phantomdiskussion um den legalen Waffenbesitz geführt, die dazu geeignet ist, erstens die Aufmerksamkeit von Bürgern und Medien überproportinal zu okkupieren und zweitens Ressourcen dagegen einzusetzen, die an anderer Stelle fehlen. Das trägt dazu bei, die reale Gefahr von Gewaltkriminalität falsch einzuschätzen und kann daher für die Bewertung der Inneren Sicherheit in Deutschland durchaus nachteilig sein. Hier ist ein Umdenken gefordert, dass die Gefahren von Gewaltverbrechen wieder in die richtige Relation zu bringen hilft.