Waffenrecht: Bedauerliche Einzelfälle oder Generalverdacht?

Kommt es zu Amokverbrechen oder anderen schweren Straftaten, die man auf irgendeine Weise mit der legalen Herkunft einer Schusswaffe in Verbindung bringen kann, wird reflexartig von Politikern, Medien und Anti-Waffen-Lobbyisten eine weitere Verschärfung des ohnehin restriktiven deutschen Waffenrechts gefordert. Zu Unrecht, wie die jüngsten Terroranschläge zeigen. 


Für Terrorismus und schwere Gewaltverbrechen benötigt man keine Schusswaffen
Die Attentäter des 11. September 2001 brauchten nicht viel mehr als fanatische Entschlossenheit, ein paar Flugstunden und Teppichmesser, um die Flugzeuge in ihre Gewalt zu bringen und als tödliche Waffen auf das World Trade Center und andere Ziele zu steuern.
Dem islamistischen Attentäter von Nizza, der im Juli 2016 84 Menschen mit einem gemieteten Lastwagen tötete, genügte neben seiner verbrecherischen Absicht eben dieser Lastwagen.
Und dem jugendlichen Flüchtling, der im gleichen Monat mit dem Ruf „Allahu Akbar“ vier harmlose Touristen mit Axt und Messer schwerst verletzte, genügte dieses einfache Werkzeug.
Was fällt bei diesen Taten auf? Die Terroristen benötigten keine Schusswaffen für ihre Taten, schon gar keine Legalwaffen. Sie benutzen Alltagsgegenstände oder illegale Waffen.
Diese Erkenntnis ist nicht neu: Messermorde palästinensischer Extremisten an Israelis sind bedauerlicherweise ein bekanntes Phänomen. Aber nicht nur dort, auch in Europa nehmen solche Anschläge zu. Einige Beispiele:
  • Im Mai 2013 zerstückelten zwei Islamisten in London einen britischen Soldaten auf offener Straße mit Fleischermessern und ließen sich nach der Tat filmen.
  • Im Februar 2015 verletzte ein Islamist in Nizza drei Soldaten mit einem Messer, die jüdische Einrichtung schützen.
  • Im September 2015 bedrohte ein Islamist in Berlin Passanten auf offener Straße mit einem Klappmesser und verletzt eine Spaziergängerin und eine Polizistin damit schwer.
  • Im März 2016 stach eine islamistisch motivierte 16jährige in Hannover unvermittelt einem Polizisten ein Messer in den Hals.
  • Im Juni 2016 tötete ein Islamist in Frankreich einen Polizisten und seine Ehefrau in deren Wohnung mit einem Messer und übertrug die Tat auf Facebook.

Das sind nur die Taten, die es in die Medien geschafft haben. Nicht unmittelbar terroristische Vorfälle wie der im Juli 2016 in einem Feriendorf in der Nähe von Montpellier, wo ein Marokkaner eine Mutter und ihre drei Töchter niedergestochen hat, weil sie ihm zu leicht bekleidet waren, hingegen, schaffen es nicht auf die Titelseiten unserer Gazetten.



Terrorismus bekämpft man, indem man Terroristen bekämpft


Ob die Täter bewusst Alltagsgegenstände einsetzen, wie etwa ein Terrorismusexperte glaubt, ist dabei nebensächlich. Der meint: „Wäre dieser junge Mann mit jemandem in Kontakt gewesen, um eine Waffe zu besorgen, wäre er eventuell entdeckt worden. Mit einem Messer oder einer Axt, die jeder in der Garage hat, wird das unwahrscheinlich. Und das ist genau das, was Radikale wollen: zu zeigen, dass sie überall zuschlagen können. So gelingt es, die gesamte Gesellschaft zu terrorisieren.“ Entscheidend für meine Betrachtung hier ist, dass sie es tun.


Aus islamistischem Terrorismus resultiert kein Generalverdacht
Noch etwas fällt auf, aber das gehört nicht hierher und soll an dieser Stelle auch nicht weiter erörtert werden: Alle genannten Terroristen bezogen sich bei ihren Taten auf den Islam. Trotzdem sind Versuche nicht selten,
  • die Täter entweder zu pathologisieren (die Terroristen seien psychisch auffällig bzw. geisteskrank),
  • ihnen die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens abzusprechen (sie hätten ja Alkohol getrunken oder seien nicht extrem religiös gewesen)
  • oder ihre Taten dem Einfluss einer mächtigen Organisation zuzuschreiben (sie wären über das Internet plötzlich radikalisiert oder vom IS oder Al Kaida gesteuert worden).

Es wird also mitunter viel dazu getan, einem Generalverdacht entgegenzuwirken.

Ein bemerkenswerter Artikel in die Zeit erklärt indes den Zusammenhang zwischen Religion bzw. Interpretation der selben und Terrorismus:
„Die Gotteskrieger teilen aus, was Gott beim Jüngsten Gericht austeilt, die ultimative Strafe. Sie fühlen sich im Recht, denn sie ziehen ihre radikalen Argumente aus dem Islam. Wer den Horror verstehen will, muss sie kennen. Sie stammen teils aus dem Koran, teils von fundamentalistischen Theologen, teils von Terroristen. … Wo das Leben des Einzelnen nichts gilt, wird der Rechtsbruch normal. Dort ist das Töten nicht nur erlaubt, sondern Pflicht. … Der wahre Glaube erweist sich nicht in Gelehrsamkeit, sondern im konkreten Einsatz für den Islam. So lehrte es Sajjid Kutb, der Vordenker der Muslimbrüder, der 1966 in Ägypten hingerichtet wurde. … Die Wahrheit des Islams kann man sich nicht anlesen, man muss sie erkämpfen, notfalls mit Waffengewalt. … Für Fundamentalisten garantiert nur die Scharia ein gerechtes Zusammenleben. Wer sich ihr nicht unterwirft, steht außerhalb des Gesetzes.“

Aus Amokläufen und Terrorakten mit Schusswaffen werden Waffenrechtsverschärfungen abgeleitet
Was aber passiert bei Amokläufen und Terrorakten, bei denen Schusswaffen verwendet werden, die zu irgendeinem Zeitpunkt einen legalen Ursprung gehabt haben? Es folgen sofort Forderungen nach Waffenrechtsverschärfungen. Auch dazu einige Beispiele:
  • Amoklauf in Erfurt 2002: Ein Schüler erlangte rechtswidrig Einträge in eine Waffenbesitzkarte, erwarb damit „legal“ zwei Waffen, von denen er eine benutzte, um mehrere Menschen an seiner Schule zu töten. In Folge kam es zu einer Verschärfung des Waffenrechts (u.a. psychologische Untersuchung für Sportschützen unter 25, Verschärfung der Aufbewahrungspflicht, Verbot bestimmter Waffentypen) und Anti-Waffen-Lobbyisten begannen bei der öffentlichen Diskussion um privaten Waffenbesitz massiv Einfluss zu gewinnen.
  • Amoklauf in Winnenden 2009: Der Täter entwendete eine nicht ordnungsgemäß gelagerte Legalwaffe seines Vaters und tötete damit mehrere Menschen. In der Folge kam es zu einer breiten öffentlichen Diskussion um privaten Legalwaffenbesitz (Stichwort Aktionsbündnis Winnenden), einer weiteren erheblichen Waffenrechtsverschärfung (u.a. Einführung anlassloser Kontrollen) und einer erheblich restriktiveren Auslegung des bestehenden Waffenrechts durch Behörden.
  • Attentate von Paris und Brüssel 2006: Die Täter verwendeten angeblich teilweise Bauteile (?) von ehemaligen Kriegswaffen, die unzureichend unbrauchbar gemacht wurden (nach dem deutschen Waffenrecht wäre dies nicht möglich gewesen). In der Folge schlug die EU-Kommission unter expliziter Bezugnahme auf das Attentat von Brüssel drastische Waffenrechtsverschärfungen vor, darunter u.a. Verbote von Selbstladewaffen und Magazinen, die mehr als 11 bzw. 21 Schuss abgeben können (also praktisch allen) und medizinisch-psychologischen Untersuchungen aller Sportschützen.

Gelingt den Urhebern bzw. Advokaten dieser Verschärfungen in Politik, Medien und Anti-Waffen-Organisationen der Nachweis, dass durch die geforderten Restriktionen die genannten Taten oder weitere hätten verhindert werden können? Nein. Im Gegenteil: Erstens sind Legalwaffen statistisch nicht kriminalitätsrelevant und zweitens gibt es wie hier gezeigt Evidenz dafür, dass Terroristen und Kriminelle gar keine legalen Schusswaffen benötigen, weil sie erstens gar keine verwenden müssen und zweitens im Bedarfsfall Netzwerke haben, die es ihnen ermöglichen Kriegswaffen, die sowieso illegal sind, nahezu jederzeit und für kleines Geld zu bekommen.
Der Spiegel belegt letzteres anhand eines Waffenschmuggels im zeitlichen Zusammenhang der Paris-Anschläge:
„Acht Kalaschnikow-Gewehre mit Munition, zwei Pistolen, ein Revolver, zwei Handgranaten und 200 Gramm TNT - und das alles in einem VW Golf. Am 5. November hielten Fahnder den unauffälligen Wagen auf der A8 nahe Rosenheim an – offenbar war der Fahrer auf dem Weg nach Paris. Bis zu den Anschlägen in Frankreichs Hauptstadt interessierte diese Nachricht kaum jemanden. Der Waffenschmuggel aus Südost- und Osteuropa gehört seit zweieinhalb Jahrzehnten zur europäischen Realität: Erst sorgte der Kollaps des Ostblocks, dann die Balkankriege für reichlich Ware auf dem Schwarzmarkt. Wie viel davon heute noch über die Grenze geht, weiß niemand genau. Die Zahl der Waffenfunde brach mit dem Schengen-Abkommen ein - wegen der nun lückenhafteren Kontrollen, sagen Kritiker. … Anders gesagt: Rund 95 Prozent der 2014 konfiszierten Tatwaffen wurden nicht legal erworben oder gehalten.“

Es gibt einen unausgesprochenen Generalverdacht gegenüber Legalwaffenbesitzern
In Deutschland folgen Gesetzgeber und Behörden oft genug dem Prinzip „So wenig Waffen wie möglich ins Volk“ und legen geltendes Recht teilweise restriktiv aus. Das Bundesverwaltungsgericht bezieht sich ausdrücklich auf diesen Grundsatz, ohne ihn jedoch auch nur ansatzweise sachlich begründen zu können. Anders ausgedrückt: Wo bitte steht, dass der Grundsatz "so wenig Waffen wie möglich ins Volk" sinnvoll ist? Woher nimmt ein Gericht die Legitimation zur Formulierung dieses Grundsatzes? Was ist, wenn für die Innere Sicherheit in Deutschland etwas anderes sinnvoller wäre, z.B. ein Äquivalent zum Concealed Carry Permit? Wer sagt das es nicht so ist? ... Man sieht: Wir bewegen uns hier schlichtweg im Meinungsbereich.

In diesem Zusammenhang ist z.B. das grundsätzliche Verbot für Selbstladewaffen mit wechselbarem Magazin zu nennen, das sich aus einem Gerichtsurteil gegen einen Jäger ergeben hat und von  Behörden trotz jahrzehntelanger Rechtspraxis sogleich dahingehend interpretiert wurde, man dürfe die Waffen zwar noch besitzen, damit aber weder jagen, noch schießen, noch diese veräußern oder neue erwerben (bei geltender WBK und Jagdschein wohlgemerkt!).


Eine tierschutzkonforme Fangschusswaffe für Schwarzwild im Kal .357 SIG - bald illegal?


Natürlich gehört zu dieser Auffassung auch die Möglichkeit des anlasslosen Betretens der Wohnräume von Legalwaffenbesitzern zum Zwecke der Kontrolle von Waffen und Munition, die einige Kritiker für dem Grundgesetz widersprechend halten (die aus gutem Grunde nach der Diktaturerfahrung der Deutschen garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung).

Und schließlich geht die ganze Anti-Waffen-Diskussion von einem Generalverdacht aus, denn warum sonst sollte ein überprüfter Sportschütze nicht ohne weiteres ein AR-15 kaufen dürfen, eine zivile Sportwaffe, oder ein Jäger nicht anstandslos eine dritte Kurzwaffe?
Das ergibt nur Sinn, wenn man ihnen unterstellt, potenzielle Rechtsbrecher zu sein. Wenn diese Waffen, wie vorgeschrieben, ordnungsgemäß verwahrt sind und somit kein Unbefugter darauf zugreifen kann, sind sie nicht gefährlich. Denn nicht Waffen töten, sondern Verbrecher und Terroristen. Und die zu identifizieren und aus dem Verkehr zu ziehen, ist Aufgabe der Behörden.
Von jemandem, der nicht die Absicht hat, Amok zu laufen, schwere Straftaten oder Anschläge zu begehen, geht auch dann keine Gefahr aus, wenn seine Selbstladebüchse ein Wechselmagazin hat und schwarz angestrichen ist oder er neben dem .44er für die Nachsuche auf wehrhaftes Wild und dem .22er für die Fallenjagd noch eine 9x19 kauft, um damit jagdsportlich zu schießen und/oder einem verunfallten Wild einen Fangschuss anzutragen.

Eine Spekulation muss angesichts der Bedeutung des Themas für die Innere Sicherheit erlaubt sein, auch wenn sie zunächst zynisch klingt: Was wäre wohl passiert, wenn die Axtmorde von Würzburg von einem Sportschützen mit seiner legal besessenen Waffe verübt worden wären? Wären wir jetzt bereits wieder bei einer Diskussion um eine weitere Waffenrechtsverschärfung bis hin zum totalen Verbot?

Es bleibt also festzuhalten, dass ganz offenbar bei Teilen von Politik, Medien und Anti-Waffen-Lobbyisten (auch deren Motivation und Finanzierung lohnte sich einmal systematisch zu untersuchen) zweierlei Maß gilt, wenn es um Legalwaffen und Terrorismus bzw. Schwerstkriminalität geht. Der mitunter anzutreffende Generalverdacht gegen Jäger, Sportschützen und Sammler sowie reflexartige Gesetzesverschärfungen haben jedenfalls keine Entsprechung.
Es darf vermutet werden, dass als Motive hierfür u.a. auch Populismus (was hört sich für die Bürger sicher an?), Weltanschauung (man ist grundsätzlich gegen Waffen, Jagd, Sportschießen) und schlicht Ignoranz (man weiß gar nicht um Kriminalitätsrelevanz, illegale Waffen und die Gesetzeslage) mit eine Rolle spielen.
Zeit, dass sich die Waffenrechtsdiskussion endlich versachlicht!

Nachtrag: Nach nunmehr drei brutalen Gewalttaten in Deutschland innerhalb weniger Tage zeigt sich, dass ähnliche Überlegungen auch für andere Formen der Kriminalität gelten: Nach dem Axt-/Messeranschlag im Nahverkehrszug bei Würzburg gab es den Amoklauf eines Jugendlichen mittels einer im sogenannten Darknet online illegal erworbenen Waffe, die illegal reaktiviert (wieder schussfähig gemacht) wurde, einen Mord und weitere Körperverletzungen durch einen Flüchtling in Reutlingen, der ein am Tatort (Dönerlokal) an sich genommenes großes Messer verwendete und einen Bombenanschlag, ebenfalls durch einen syrischen Flüchtling auf einem Konzert in Ansbach (die Herkunft des Sprengstoffes ist noch unbekannt).