Der amerikanische Sezessionskrieg von 1861 bis 1865 war mit rund 650.000 Toten der verlustreichste Krieg, den die US-Amerikaner erlebten und durch Einsatz von gepanzerten Kriegsschiffen, der Eisenbahn als Transportmittel und von Telegraphen, Präzisionsgewehren mit Zielfernrohren und weittragenden Geschützen einer der ersten modernen Konflikte. Im Sezessionskrieg spielten auch Scharfschützen in größerem Umfang eine wichtige Rolle.
Verlauf des Krieges
Die Union versuchte zunächst die Hauptstadt der Konföderierten, Richmond in Virginia, einzunehmen, konnten jedoch durch den Sieg von General Robert E. Lee bei Manassas und die Invasion seiner Armee nach Maryland daran gehindert werden, die mit der Schlacht bei Antietam endete.
General Robert E. Lee
Unionstruppen eroberten 1863 die Hälfte Tennessees sowie den Verkehrsknotenpunkt Vicksburg in Mississippi und konnten damit diesen entscheidenden Flusslauf kontrollieren. General Lee versuchte daraufhin nach einigen militärischen Erfolgen seine zweite Invasion auf das Gebiet der Nordstaaten, scheiterte jedoch in der Schlacht von Gettysburg. Der Norden konnte durch seine Blockade der konföderierten Häfen zunehmend dessen Versorgung erschweren. Es schlossen sich zwei Unionsoffensiven an: Der Feldzug im Osten endete bei Petersburg, Virginia, ohne klaren Erfolg. Im Westen konnte Atlanta erobert werden und mit einem anschließenden Marsch zum Meer durch Georgia und in die Carolinas erneut Richmond in Virginia bedroht werden. Der Süden unterlag bei weiteren Versuchen, das Blatt zu wenden auch aufgrund der völligen Erschöpfung seiner Ressourcen u.a. aufgrund der wirtschaftlichen Überlegenheit des Nordens und seiner Strategie des totalen Krieges, die wesentlich auf General Sherman zurückging.
Scharfschützenverbände
Das Zitat ist legendär. “Sie könnten auf diese Entfernung nicht einmal einen Elefanten treffen”. Eine Sekunde später war Generalmajor John Sedgwick von den Unionstruppen tot. Erschossen von dem konföderierten Scharfschützen Ben Powell in Spotsylvania, Virginia, am 9. Mai 1864. Zwar töteten Scharfschützen nur zwischen zwei und drei Prozent aller Gefallenen beider Seiten im Sezessionskrieg. Aber sie schossen auf wichtige Ziele. Bevor Generalmajor Sedgwick erschossen wurde, hatten Scharfschützen beider Seiten bereits 15 Generäle und 26 Oberste und Oberstleutnante ausgeschaltet. Insgesamt wurden gemäß Regimentsgeschichten und anderer Quellen aus erster Hand nachweislich 23 Generäle und 37 Oberste und Oberstleutnante von Scharfschützen getötet. Ähnlich wie moderne Scharfschützen identifizierten die konföderierten und Unionssoldaten gegnerische Offiziere anhand ihrer Kleidung, ihrer Ausrüstung und ihres Verhaltens sowie anhand des Verhaltens ihres Umfelds: kleine berittene Gruppen, Berittene inmitten von Infanterie, Männer, vor denen salutiert wurde, Männer, die mit Blankwaffe führten oder die Truppen um sich sammelten, Offiziers- oder besser noch Generalsuniformen – all das konnte lohnendes Ziel von gezieltem Einzelfeuer sein. Weitere wichtige Ziele außer den Offizieren waren Artilleristen, Pioniere und gegnerische Scharfschützen.
John Lincoln "Johnny" Klem kämpfte mit 10 als Trommler by Shiloh,
er starb 1937 im Rang eines Generalmajor
Eine wesentliche Aufgabe war das Geplänkel. Truppen mit diesem Auftrag bewegten sich im Sezessionskrieg 300 bis 500 Meter vor der Haupttruppe, blieben immer in Bewegung und suchten Verbindung zum Gegner. Sie klärten permanent auf und schwächten und störten den Gegner durch gezieltes Feuer. Anders war die Aufgabe der normalen Infanterie, die im Wesentlichen eine Linie bildete und vorrückte. Ein Regiment mit voller Sollstärke umfasste rund 600 Mann und konnte damit eine Frontbreite von 150 bis 250 Metern einnehmen. Anders als die Scharfschützen kämpfte die normale Infanterie mit Salven und setzte nach Abfeuern der letzten Salve - rund 100 Metern vor dem Gegner - beim Sturmangriff nach wie vor auf die Blankwaffe, speziell das Bajonett.
Während zu Beginn des Konfliktes Scharfschützen selten formal organisiert und, wenn in festen Strukturen, oft taktisch wie normale Infanterie eingesetzt waren, setzte sich im Verlauf der Kampfhandlungen und nach spektakulären Ergebnissen wie dem Ausschalten wichtiger militärischer Führer ein systematisches Vorgehen durch. So war eine der wesentlichen organisatorischen Leistungen von General Lee Strukturierung des Scharfschützenwesens in den 36 Infanteriebrigaden Nord-Virginias Anfang 1864. Scharfschützen wurden organisch in speziellen Bataillonen zusammengefasst und dann in Kompaniestärke den einzelnen Regimentern zugeteilt. Obschon die angestrebte Stärke dieser Kompanien bei 50 Mann lag, wurde oft nur eine Stärke von 20 oder weniger Schützen erreicht.
Getötete konföderierte Geschützmannschaft
Wenige Scharfschützen waren formell militärisch trainiert worden. Ihre Kenntnisse gingen entweder auf sportliches Schießen (wie wir es heute nennen würden) zurück - mehr im Norden verbreitet - oder die Jagd - mehr im Süden vertreten.
Obschon es rund 50 Einheiten insgesamt gab, die das Wort Sharpshooters im Titel führten, haben sie nicht alle auch in dieser Funktion gekämpft. Andererseits haben in nahezu jeder normalen Einheit Männer ohne diese Bezeichnung permanent oder temporär als Scharfschützen gekämpft. Von der Bewaffnung her, nutzten sie in der Regel ihre "dienstlich gelieferten" 1861 Springfield (rund 1,5 Millionen Waffen wurden ausgegeben) oder 1853 Enfield (rund 900.000 dieser britischen Gewehre wurden ausgegeben). In den Händen eines normalen Soldaten, der ohnehin in der Regel im Rahmen von Salven schoss, sollen diese Waffen 250 Yards, in den Händen von Scharfschützen auf 500 Yards Mannziele getroffen haben. Später wurden auch Colt Model 1855 Revolving Rifles (fünfschüssig), Sharps Model 1859 Rifles und 17-schüssige Henry Unterhebelrepetierer eingesetzt (Schwerpunkt der Verwendung war dabei nicht der präzise Schuß über weite Entfernung, sondern das Plänkeln). Allerdings war die Beschaffung der Nord- und auch Südstaaten erstaunlich zurückhaltend Neuerungen gegenüber. Während die Südstaaten bald finanziell nicht mehr in der Lage waren, neue Waffentechnik in größerem Umfang anzukaufen, dominierte ausgerechnet im Norden Misstrauen gegenüber neuen Waffensystemen. Die Nordstaaten erwarben beispielsweise offiziell nur rund 1.700 Henry Rifles, die Soldaten selbst kauften privat aber ein Vielfaches davon, obwohl sie dafür rund einen Vierteljahressold anlegen mussten. Allein der Scharfschützenverband Birge’s Western Sharpshooters erwarb rund 1.000 Waffen.
Die Zielfernrohre dieser Zeit ermöglichten in der Regel eine dreifache Vergrößerung, durchaus aber auch schon bis zu 20facher Vergrößerung.
Die Zielfernrohre dieser Zeit ermöglichten in der Regel eine dreifache Vergrößerung, durchaus aber auch schon bis zu 20facher Vergrößerung.
Unionssoldat aus dem New York Regiment
Entgegen der landläufigen Meinung kämpfte eine ganze Reihe Schwarzer als Scharfschützen in der Konföderierten Armee. Einer der berühmtesten unter ihnen war Holt Collier, der als Sklave geboren wurde und als Kavallerist und Scharfschütze Dienst in der Armee des Südens leistete. Nach Kriegsende wurde er ein gefragter Jagdführer und begleitete u.a. US-Präsident Theodor Roosevelt 1902 auf Bärenjagd. Für die Nordstaatler blieben oftmals schwarze Scharfschützen, also Teil der militärischen Elite, in der konföderierten Armee und ihre Motivation ein Mysterium. So berichtete ein General der Nordstaaten: „Many men from my command were killed, and strange stories bruited about the precision of a negro marksman, a rebel”.
Scharfschützen hatten bei der Gefangennahme häufig wenig Aussicht darauf, zu überleben. In der Wahrnehmung des normalen Unions- oder konföderierten Soldaten oder Offiziers, töteten sie aus dem Hinterhalt, ohne Rücksicht und mit geringem eigenem Risiko. So inkonsequent diese Vorstellungen waren angesichts eines totalen Krieges, der auch die Bevölkerung z.B. durch blockadebedingte Versorgungsengpässe oder Artilleriefeuer in Mitleidenschaft zog, so ist die Erschießung gefangener Scharfschützen in größerem Umfang für beide Seiten verbürgt. Anders war es häufig, wenn Scharfschützen auf ihresgleichen stießen: Als beispielsweise vor Gettysburg die Reste der konföderierten Scharfschützen in Devil's Den, deren Einsatz einen erheblichen Blutzoll unter den Unionstruppen auf Little Round Top gefordert hatte, gefangen genommen wurden und mit dem schlimmsten rechneten - standen sie Unionsscharfschützen gegenüber, die sie schlicht in Gefangenschaft führten.
Berühmte Scharfschützen
Der Nordstaatler Hiram Berdan war kein Militär im eigentlichen Sinne. Er hatte keinerlei militärische Ausbildung und Praxis, als er sein erstes Scharfschützenregiment in den charakteristischen grünen Uniformen aufstellte. Er war aber Ingenieur, Erfinder, hatte Vermögen, war ein bekannter und erfolgreicher Sportschütze und besaß die Möglichkeit, sich direkt an Präsident Lincoln zu wenden. Damit erreichte er die Möglichkeit, einen eigenen Scharfschützenverband aufzustellen (Berdan's Sharpshooters), für den als Zulassungsvoraussetzung im Gegensatz zu vielen anderen eine Schießprüfung zu bestehen war. Dem ersten Scharfschützenregiment folgte bald ein zweites. Berdan diente im Rang eines Oberst, später wurde er Brigadegeneral (nach der Schlacht bei Chancellorsville) und Generalmajor (nach Gettysburg). Er stand im Ruf, keine herausragende Eignung als Feldkommandeur zu besitzen. Zweifellos sind neben einigen militärischen Erfindungen die Aufstellungen der Scharfschützenverbände mit ihrem besonderen Ethos, ihrer vergleichsweise rigorosen Auswahl und ihren unzweifelhaften militärischen Erfolgen beachtenswerte militärische Leistungen. Allerdings wurden die beiden Regimenter nach dem Ende der Verpflichtungszeit der meisten Soldaten (1864) aufgelöst und die verbliebenen Scharfschützen auf andere Verbände verteilt. Wir kennen Berdans Namen heute noch, weil die Patronen mit Zentralfeuerzündung, 1868 entwickelt, auf ihn zurückgehen.
Hiram Berdan
Ein berühmter Scharfschütze aus Berdans Verband war California Joe, eigentlich Truman Head. Der ehemalige Goldsucher in Kalifornien (eigentlich ein gebürtiger New Yorker), war bereits 52 Jahre alt, als er seinen Dienst bei Berdan beendete. Er galt als ruhig und freundlich und seinem Einfluss wird die Übernahme des Sharps Gewehrs für Berdans Regimenter zugeschrieben. Er selbst setzte außerdem nach wie vor ein schweres Präzisionsgewehr mit Zielfernrohr für gezielte Einzelschüsse über 500 Yards ein, so auch für den Kampf gegen konföderierte Scharfschützen. Nach einer Verwundung erholte er sich nicht wieder vollständig und verließ 1862 die Armee.
Einer der bekanntesten Scharfschützen und ältesten aktiven Kampfteilnehmer war John Burns. Burns hatte bereits im Krieg gegen Mexiko mitgekämpft und war wegen seines fortgeschrittenen Alters (68 Jahre) beim Ausbruch des Sezessionskrieges als Soldat abgelehnt worden. Während des ersten Tages der Schlacht bei Gettysburg gelang es ihm, Oberst Langhorne Wister, Kommandeur der Iron Brigade, davon zu überzeugen, in seinen Reihen zu kämpfen. Er kämpfte im Verlauf dieses Tages zusammen mit mehreren Verbänden der Brigade und schoss mit seinem überschweren altertümlichen Gewehr u.a. einen konföderierten Offizier vom Pferd. Als die Unionstruppen sich aus dieser Stellung zurückzogen, mussten sie Burns, der Arm-, Bein- und Brustwunden hatte, zurücklassen. Es gelang Burns offensichtlich die Konföderierten zu täuschen, so dass ihm als Nicht-Kombattanten in Zivilkleidung die Exekution erspart blieb und er ärztlich versorgt wurde. Ruhm erlangte er u.a. dadurch, dass er nicht zuletzt wegen seines Alters und seiner besonderen Geschichte nach der Schlacht fotografiert wurde und in der Presse auftauchte, so dass sogar Präsident Lincoln ihn traf, als er seine Rede Gettysburg Address hielt.
Der verletzte John Burns mit seinem Gewehr
Scharfschützen im Kampf
Die Schlacht von Gettysburg und die Gefechte um Little Round Top sind auch dem deutschsprachigen breiten Publikum durch den ausgezeichneten Film „Gettysburg“ bekannt geworden (der inhaltlich erste Teil, „Gods and Generals“ sei an dieser Stelle ebenso empfohlen). Little Round Top war auch Ziel eines Scharfschützeneinsatzes konföderierter Soldaten, die auf eine Entfernung von über 500 Yards Brigadegeneral Stephen Weed töteten und einen Artillerieoffizier, Leutnant Charles Hazlett, der dem General zur Hilfe eilte. Zuvor hatten Konföderierte in der Nähe bereits Generalmajor Warren schwer verwundet. Ebenfalls wurden Brigadegeneral Strong Vincent und Oberst Patrick O’Rourke auf Little Round Top getötet. Erst Artilleriefeuer auf die in den Felsen von Devil’s Den verschanzten Konföderierten und anschließende Angriffe von Unionstruppen beendeten das gezielte Scharfschützenfeuer der Konföderierten.
Die 43-tägige Belagerung von Vicksburg rief einen der massivsten Scharfschützeneinsätze beider Seiten des Sezessionskrieges überhaupt hervor. Konföderierte Geschützmannschaften konnten durchschnittlich weniger als zehn Minuten ohne gezieltes und verlustreiches Einzelfeuer schießen, ehe sie zum Schweigen gebracht wurden und der Bericht eines konföderierten Offiziers über den Alltag während der Belagerung leist sich wie eine Beschreibung des Grabenkrieges 1916 – fast täglich forderten Unionsscharfschützen Opfer, darunter auch die Brigadegeneräle Isham Garrot und Martin Edward Green sowie den Regimentskommandeur Oberst Eugene Erwin. Auch die Konföderierten setzten Scharfschützen ein. Einer der bekanntesten mit Nachnamen Elliot, wurde wegen seiner Einäugigkeit Old One Eye genannt. Er soll Unionssoldaten auf 1.000 Yards mit einer schweren belgischen Präzisionsbüchse getroffen haben.
Der Sezessionskrieg war einer der ersten modernen Kriege. Alle technischen Neuerungen wurden eingesetzt oder überhaupt erst für den Krieg entwickelt oder weiterentwickelt. Der Krieg wurde in Teilen bereits total und in weiten Teilen rücksichtslos auch gegen die Zivilbevölkerung geführt. Zwar fochten Scharfschützen in diesem Krieg bereits in größerem Umfang und teilweise auch in modern anmutender Gliederung. Und sie kämpften im Gegensatz zur normalen Infanterie in eigener Verantwortung an Stelle befohlener Salven. Allerdings setzten sich Auswahlprozess, Ausbildung und spezielle Bewaffnung erst im Verlaufe des Krieges durch. Scharfschützen erkämpften sich im Kampfgeschehen zunehmend ihren Platz: sie schalteten eine hohe Zahl an Offizieren aus und hielten wirkungsvoll Artilleriebesatzungen nieder. In geeigneten Situationen wie Belagerungen und sich langsam entwickelnden Schlachten schwächten sie den Gegner empfindlich und wirkten mitunter verheerend auf die gegnerische Moral. Allerdings wurden trotz all dieser Ergebnisse der Scharfschützentrupp oder größere Scharfschützenelemente von der übergeordneten militärischen Führung nicht nachhaltig und angemessen gefördert. Ihr taktischer Wert wurde zwar von Feldkommandeuren erkannt, fand aber nur in geringem Umfang Eingang in die Lehren, die amerikanische und andere höhere Militärs für die Folgezeit zogen. Die Briten sollten im Burenkrieg diese Lehren erneut machen.
Literatur
- Peter Brookesmith: Scharfschützen. Geschichte, Taktik, Waffen. Stuttgart 2006.
- Bernd G. Längin: Der Amerikanische Bürgerkrieg. Augsburg 1998.
- John L. Plaster: Sharpshooting in the Civil War. Boulder 2010.
- Roger Ford: Die Geschichte der Gewehre. Erlangen o.J.
- Philip Katcher: Sharpshooters of the American Civil War 1861–65. Oxford 2002.
- Civil War Letters (Augenzeugenbriefe)
- Fotos (Life Magazine)
- Fotos (National Archives)
- Civil War Books (Buchrezensionen)
- Projekt Big Country (US-Geschichte in Deutsch)